Von Körperfett zu Power Output: Die Physiologie eines Tour de France-Profis
Die Tour de France ist nicht nur das prestigeträchtigste Radrennen der Welt, sondern auch eine der härtesten körperlichen Herausforderungen, die es im Sport gibt. Über drei Wochen legen die Fahrer unglaubliche 3.3000 Kilometer zurück. Dabei absolvieren sie rund 500.000 Pedalumdrehungen und schwitzen bis zu 150 Liter – genug, um eine Badewanne zu füllen. Doch wie schaffen es die Athleten, diese extreme Belastung zu meistern? Ein Blick in die Welt der Sportwissenschaft zeigt, wie außergewöhnlich die Körper der Tour-Profis wirklich sind.
Körpergewicht: 60 bis 66 Kilogramm
Die körperlichen Voraussetzungen der Tour-Teilnehmer sind beeindruckend. Während Sprinter oft muskulöser gebaut sind, wiegen die kletterstarken Allrounder, die um den Gesamtsieg kämpfen, typischerweise zwischen 60 und 66 Kilogramm. Das sind etwa 20 Kilogramm weniger als der durchschnittliche Mann in Großbritannien, der 83,6 Kilogramm auf die Waage bringt. Ihre Body-Mass-Indizes (BMI) bewegen sich zwischen 19 und 20 – ein Wert, der die Grenze zwischen „gesund“ und „untergewichtig“ markiert. Zum Vergleich: Tadej Pogačar, der Tour-Sieger von 2024, wiegt gerade einmal 66 Kilogramm.
Ruheherzfrequenz: 42 Schläge pro Minute
Die Herzen der Radprofis sind wahre Hochleistungsmaschinen. Daten von Fitness-Trackern wie Whoop zeigen, dass ihre durchschnittliche Ruheherzfrequenz bei nur 42 Schlägen pro Minute liegt – deutlich unter dem Normalbereich von 60 bis 100 Schlägen. Diese Effizienz erlaubt es ihren Herzen, 20- bis 60-mal weniger pro Minute zu schlagen und dennoch ausreichend Sauerstoff durch den Körper zu pumpen.
Körperfett: 5 Prozent
Darüber hinaus starten die Fahrer mit nur 5 Prozent Körperfett in die Tour – deutlich unter den 18 bis 24 Prozent, die als normal für Männer gelten. Diese geringe Fettmasse ermöglicht es ihnen, mit maximaler Geschwindigkeit die steilen Anstiege zu bewältigen.
Leistungsabgabe: durchschnittlich 300 Watt
Ein durchschnittlicher Tag auf der Tour verlangt den Fahrern einiges ab: Mit einer Leistung von 230 bis 250 Watt verbrennen sie etwa 900 Kalorien pro Stunde. Auf anspruchsvollen Bergetappen steigt die Leistung auf über 300 Watt, was einem Verbrauch von 1.100 Kalorien pro Stunde entspricht. Tadej Pogačar, einer der besten Fahrer der Welt, erreicht bei einer einstündigen maximalen Anstrengung (Functional Threshold Power) etwa 415 Watt. In explosiven Momenten wie Bergattacken oder Sprintduellen können die Spitzenwerte sogar 1.500 Watt übersteigen.
Der Schlüssel zu solchen Leistungen ist das sogenannte Leistungsgewicht, also die Wattzahl pro Kilogramm Körpergewicht. Während Amateurfahrer oft bei 3 Watt pro Kilogramm liegen, erreichen Tour-Profis Werte von 6 Watt pro Kilogramm – und das für eine ganze Stunde.
Power to weight-Verhältnis: 6 Watt pro Kilogramm
Die Tour de France ist bekannt für ihre steilen Anstiege und herausfordernden Bergetappen. In diesem Terrain entscheidet oft das Leistungsgewicht über Sieg oder Niederlage – also die maximale Leistung eines Fahrers im Verhältnis zu seinem Körpergewicht (Power-to-Weight-Ratio).
Während Spitzenprofis bei einer einstündigen Anstrengung etwa 6 Watt pro Kilogramm Körpergewicht erreichen, liegen Amateure bei rund 3 Watt pro Kilogramm. Freizeitfahrer kommen meist auf lediglich 1,8 Watt pro Kilogramm. Diese beeindruckenden Unterschiede erklären sich durch die außergewöhnliche Körperzusammensetzung der Profis: Sie verfügen über deutlich mehr Muskelmasse und erheblich weniger Körperfett als der Durchschnittsmensch.
Dank dieses Vorteils sind Tour-de-France-Fahrer in der Lage, dreimal so effizient zu fahren wie Hobbysportler – ein entscheidender Faktor, wenn es um die Jagd nach dem gelben Trikot geht.
Maximale Herzfrequenz : 1 Stunde und 25 Minuten
Die Tour ist nicht nur ein Rennen, sondern ein ständiger Kampf gegen die eigenen Grenzen. Laut der Datenanalyse von Whoop verbrachten die Fahrer auf der achten Etappe der Tour 2020 51 Prozent der Zeit in einem Herzfrequenzbereich von 80-90 Prozent ihrer maximalen Herzfrequenz und 38 Prozent in der Zone von 90-100 Prozent. Das bedeutet: 85 Minuten unter absoluter Volllast. Solche Belastungen sind für Hobbyfahrer unvorstellbar.
Zeitfahr-Leistung: 403 Watts
Ein Einzelzeitfahren zeigt, wie außergewöhnlich die Fahrer sind. Daten des Analysetools SRM belegen, dass Elitefahrer bei einem 40-minütigen Kampf gegen die Uhr konstant über 403 Watt treten können. Sie halten dabei eine Kadenz von 94 Umdrehungen pro Minute und eine Durchschnittsgeschwindigkeit nahe der 50 km/h – ganz ohne Windschatten.
Maximale Sauerstoffaufnahme – VO2 max: 70-80 mL/kg/min
Wissenschaftliche Untersuchungen haben bestätigt, dass Tour-Profis eine VO2 max von 70-80 mL/kg/min haben. VO2 max steht für die maximale Sauerstoffmenge, die eine Person während körperlicher Betätigung nutzen kann; und wird oft als Indikator für körperliche Fitness verwendet. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Mann im Alter von 30 bis 39 Jahren weist eine VO2max von 35 bis 40 auf – und eine Frau von 27 bis 31. Radprofis sind also buchstäblich 2 bis 3 Mal fitter als der Rest von uns.
Text: Mark Bailey