Vorschau Straßenrennen Elite bei der Rad-Weltmeisterschaft 2022

23.09.2022

Am Samstag und Sonntag finden bei den Rad-Weltmeisterschaften in Australien die Straßenrennen der Elite-Männer und -Frauen statt. Der Kurs führt von Helensburgh nach Wollongong. Die Frauen müssen zwischen Start und Ziel 164,3 Kilometer und mehr als 2.400 Höhenmetern bewältigen. Die Männer fahren 266,9  Kilometer und „erklimmen“ dabei knapp 4000 Höhenmeter.

Das Rennen der Männer und Frauen ist, wenn man es auf der Karte ansieht, in drei unterschiedlich lange Abschnitte „zerlegt“. Nach dem Start in Helensburgh führen rund 27 Kilometer entlang der Küste nordwestlich in den Zielort Wollongong. Hier können die Profis noch ein wenig den Blick schweifen lassen und das Panorama sowie die Überfahrt über die berühmte Sea Cliff Bridge genießen. „Es ist eine typische Küstenstraße – links, rechts, rauf, runter – mit einer schönen Aussicht“, sagt Alpecin-Deceuninck-Profi Tobias Bayer, der für Österreich am Sonntag am Start steht.

Von Wollongong geht es auf eine 34,2 Kilometer lange Runde über den Mount Keira – den höchsten Punkt des WM-Kurses bei den Frauen wie bei den Männern. Der Anstieg ist 8,7 Kilometer lang aber im Schnitt nur fünf Prozent steil. „Der Berg kommt zu früh im Rennen, um für eine Entscheidung zu sorgen“, sagt Tobias Bayer. Zudem lässt sich der Anstieg gerade im oberen Bereich gut fahren: „Es ist oben raus ein schneller Berg“, so Bayer.

Am Ende dieser Schleife kehrt das Peloton nach Wollongong zurück und die rasende Fahrt auf dem City Circuit beginnt. Insgesamt 12-mal müssen die Männer diese 17,1 Kilometer lange Schleife absolvieren, ehe der Sieger feststeht. Bei den Frauen wird die Weltmeisterin nach sechs Runden gekürt.

„Der City-Circuit hat zwar viele Richtungsänderungen, aber durch die großen und breiten Straßen, lassen sich die Kurven Highspeed fahren – das hat ja das Mixed Relay gezeigt“, sagt der Österreicher, der diesen Wettbewerb bestritt.  „Gut möglich ist, dass wenn schnell gefahren wird, sich dort gar nicht so einfach Positionen gutmachen lassen“, so Bayer weiter.

Auf diesem Stadtkurs muss das Peloton zwei kurze, aber knackige Anstiege erklimmen. Zuerst den Mount Ousley. Er ist 900 Meter lang und durchschnittlich 4,5 Prozent steil. Er ist der Appetizer für den Mount Pleasant, der seinem Namen in einem Radrennen so gar keine Ehre macht. Er ist 1,1 Kilometer lang und durchschnittlich 7,7 Prozent steil. Jedoch in der Spitze hat er Rampen mit bis zu 14 Prozent Steigung – und zwar zu Beginn und auch am Ende.

Diese beiden „Hügel“ werden das Rennen bei den Männern entscheiden – vielleicht nicht erst in der Finalrunde, sondern schon früher. Die Anfahrt zum Ziel nach einer rasenden schnellen Abfahrt vom Mount Pleasant ist relativ flach bis auf eine kleine Welle an der Flamme Rouge.

Tobias Bayer sieht den zweiten Anstieg auf dem Stadtkurs als den Scharfrichter und rennentscheidend an. „Der Berg sieht auf dem Papier leichter aus als er tatsächlich ist. Man kommt nicht mit so viel Speed unten rein – trotz der Abfahrt davor. Dann ist der Mount Pleasant unten rein richtig steil, setzt dann zwischendurch noch mal ab, und wird oben raus wieder steil. Dieser Berg wird das Rennen definitiv schwer machen“, so Bayer.

Kurs der Straßen-WM: Parcours für Puncheure

Ein Parcours, der aufgrund seiner Länge und Topographie gepaart mit den Höhenmeter wie gemacht für Puncheure ist, die auch bei den Frühjahrsklassikern wie in Flandern oder den Ardennen vorne zu finden sind.

Einer, der allerdings auch in dieser Riege mitspielt, ist der zweifache Tour de France-Sieger Tadej Pogacar. Er besitzt nach solch einer langen kräftezehrenden Fahrt noch genügend Punch, um sich auch im Sprint gegen die Klassikerjäger durchzusetzen, wie er es zuletzt in Kanada beim Grand Prix Montreal bewiesen hat. Fraglich, ob er es bis zur letzten Runde drauf ankommen lässt oder mit einem Effort aus einer kleinen Gruppe schon früher attackiert und sich dann absetzt – wie bei seinem Sieg bei der Strade Bianche im Frühjahr.

Einziger Malus für „Pogi“ beziehungsweise sein Team: Sie haben nur die eine taktische Option. Teams mit einer Doppel- beziehungswese mehrfach-Spitze können versuchen, ihre Optionen auszuspielen. Allen voran die Belgier mit Wout van Aert und Remco Evenepoel, dann die Niederländer mit Mathieu van der Poel, Dylan van Baarle und Bauke Mollema oder die Franzosen mit einem starken Team um Titelverteidiger Julian Alaphilippe und Benoît Cosnefroy.

„Es wird interessant sein, wie sich die Mannschaften auf dem Parcours verhalten. Gerade die Teams, die vielleicht nicht den erklärten Favoriten beziehungsweise den Fahrertypen in ihren Reihen haben“, sagt Bayer. Er selbst kann sich auch gut vorstellen, dass die großen Nationen das Rennen früh schwer machen und schon in den frühen Runden auf dem Stadtkurs eine Zäsur herbeiführen. „da wird dann glaube ich auch kaum eine Nation mehr nachfahren wollen“, so Bayer und empfiehlt das Rennen schon früh am Fernseher zu verfolgen: „Ich glaube für die Zuschauer wird es ein richtig spannendes Rennen, da es möglicherweise schon früh eröffnet wird“.

Für den österreichischen Alpecin-Deceuninck-Profi ist Tadej Pogacar der Top-Favorit. „Wenn man seinen Auftritt in Montreal gesehen, dann weiß man doch wie megastark er ist. Wie er von vorne gesprintet ist und die Konkurrenz blieb gerade am Hinterrad. Aber natürlich ist auch mit den anderen Fahrern, die bei solchen Rennen standardmäßig zu den Favoriten zählen, wie Mathieu oder Wout zu rechnen.“

Parcours des Elite-WM-Straßenrennen der Männer

Das Frauen-Rennen bei den Weltmeisterschaften 2022 in Australien

Die Frauen starten einen Tag vor den Männern und fahren auf demselben Kurs – allerdings weniger Runden auf den Stadt-Circuit in Wollongong. Anstelle von 12 Runden wie die Männer müssen die Frauen insgesamt „nur“ sechs Mal über Mount Ousley und Mount Pleasant „drüberdrücken“.

Im Rennen der Frauen könnte im Gegensatz zum Männerwettbewerb der Anstieg hoch zum Mount Kiera für eine Zäsur sorgen. Für eine Entscheidung kommt der Berg rund 120 Kilometer vor dem Ziel noch zu früh, aber vielleicht bildet sich doch dort eine Spitzengruppe, deren Mitglieder das Rennen dann unter sich ausmachen. Nach dem Sturz im Mixed Relay steht ein Fragezeichen hinter der Form der Niederländerin Annemiek van Vleuten, eine der großen Favoritinnen. Allerdings hat das Oranje-Team mit Marianne Vos, die 2010 bei den letzten Weltmeisterschaften in Australien Zweite wurde, und Demi Vollering noch zwei weitere Anwärterinnen auf das Regenbogentrikot in ihren Reihen. Wie auch die Italienerinnen um Elisa Balsamo und Elisa Longo Borghini. Eine Chance auf eine Medaille hat auch die Polin Katarzyna Niewiadoma, die solche Rennen mag, wie ihr Sieg beim Amstel Gold Race 2019 zeigt. Aus deutscher Sicht könnte Liane Lippert, zuletzt Vierte bei der Vuelta a Espana, für eine Überraschung sorgen.

Parcours des Elite-WM-Straßenrennen der Frauen

Fotos: Photonews.be