Tour de France 2024: So starten die Fab Four in die Tour
Die Spannung steigt! Nur noch wenige Tage bis zum Start der Tour de France in Florenz. Wie fit sind die Protagonisten für den Kampf um Gelb, der wohl schon auf Etappe eins beginnt? In Teil fünf des ‚Fab Four‘-Formbarometer beleuchtet Bernd Landwehr, Chefredakteur des Cyclingmagazine, die vier Top-Favoriten kurt bevor es losgeht.
Was können Fans und Zuschauer von Titelverteidiger Jonas Vingegaard, Herausforderer Tadej Pogacar, Debütant Remco Evenepoel und Altmeister Primoz Roglic erwarten?
In den Kolumnen analysiert Radsport-Experte und Journalist Bernd Landwehr die Vorbereitung, ordnet die Leistungen ein und lässt so ein „Tour-Barometer der Fab Four“ entstehen.
Hier die erste, zweite, dritte und vierte Kolumne zu den Fab Four mit allen Infos.
Folge 5: Los geht’s – so starten die Fab Four in die Tour de France 2024
Jonas Vingegaard – Form-Fragezeichen
27 Jahre / Team Visma | Lease a Bike / Grand Tour-Siege: 2 x Tour / Tour-Teilnahmen: 3
Der Start bei der Tour de France ist für Jonas Vingegaard das Renncomeback seit dem schweren Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt im April. Genau 86 Tage sind seit dem Unfall vergangenen, bei dem sich der Tour-Titelverteidiger das Schlüsselbeinen Rippen brach, dazu einen Pneumothorax erlitt.
Wie gut ist die Form des Tour-Doppelsiegers? Auf diese Frage wird das Rennen eine Antwort geben. Klar, seine Mannschaft Visma | Lease a Bike hätte den Dänen nicht für das wichtigste Rennen des Jahres nominiert, wäre zu befürchten, dass er direkt abgehängt wird. Doch ob Vingegaard tatsächlich um den Gesamtsieg fahren kann, wird man wohl selbst nicht so genau wissen. Die Leistungsdaten aus dem Training hat man detailliert analysiert und daran lässt sich ablesen, wie stark er im Vergleich zum vergangenen Jahr ist. Doch nach langer Trainingspause wieder in den Rennbetrieb zu kommen, ist keine ganz einfache Sache. Vor allem nicht bei der Tour de France – dem stressigsten und hektischsten Rennen der Welt.
Vingegaard wird ganz sicher an den ersten Tagen von seinem Team besonders gut beschützt – so weit das bei der Tour möglich ist. Ob er sich auf den ersten kniffligen Etappen schadlos halten kann, bleibt abzuwarten. Einen ersten klaren Hinweis auf seine Bergform wird man bereits auf der vierten Etappen bekommen – dann geht es über den Alpen-Riesen Col du Galibier!
Ob Vingegaard im Vergleich zur Konkurrenz während der Tour etwas stärker wird, oder ihm vielleicht doch aufgrund der gestörten Vorbereitung etwas die Konstanz fehlt, wird sich wohl erst in Woche drei zeigen.
Sein Team hat sich große Mühe gegeben, die Favoritenrolle der Konkurrenz zuzuschreiben. Ob das Taktik oder Realismus war, bleibt abzuwarten. Von den letzten Eindrücken her sollte man Vingegaard nicht unterschätzen und ihn ganz sicher weit oben in der Liste der Favoriten einsortieren
Tadej Pogacar – Revanche & Double
25 Jahre / UAE Team Emirates / Grand Tour-Siege: 2 x Tour, 1 x Giro / Tour-Teilnahmen: 4
Den Giro d’Italia hat er souverän gewonnen, nun soll der Toursieg folgen. Wird er tatsächlich der erste Fahrer seit Marco Pantani 1998, der Giro und Tour in einem Jahr gewinnt? Versucht hatten es in der Zwischenzeit einige, doch alle Versuche scheiterten. So galt das Double als nahezu unmöglich. Doch nun kommt Pogacar, das vielleicht größte Rad-Talent aller Zeiten. Sein Team UAE setzte im Winter einen Plan auf und sie ziehen diesen bislang konsequent durch.
Strade Bianche, Mailand-Sanremo, Katalonien-Rundfahrt, Lüttich-Bastogne-Lüttich und Giro d’Italia – diese fünf Rennen hat Pogacar in diesem Jahr bestritten und abgesehen von Mailand-Sanremo (Rang drei) hat er alle Rennen gewonnen. Mit nur 31 Renntagen in den Beinen kommt Pogacar zur zweiten Grand Tour des Jahres – das sind nur fünf Renntage mehr, als Jonas Vingegaard bei seinen Siegen in den vergangenen beiden Jahren vor Tourstart sammelte.
Der Sieg beim Giro hat Pogacar ganz sicher Selbstbewusstsein gegeben und etwas den Druck genommen. Doch ganz sicher hat die Italien-Rundfahrt auch Körner gekostet – physisch und mental. Wie gut er die Doppelbelastung verkraftet, wird sich im Rennen zeigen – doch der Slowene geht als Top-Favorit auf den Gesamtsieg in diese Tour de France. Nach zwei Niederlagen gegen Jonas Vingegaard will er sich nun wieder Gelb holen und Revanche nehmen.
Das Team UAE schickt eine extrem starke Mannschaft zur Tour. Rouleure wie Nils Politt und Pavel Sivakov, dazu exzellente Kletterer wie Adam Yates und Joao Almeida. Der aktuell stärkste Fahrer hat die stärkste Mannschaft an seiner Seite – die Favoritenrolle ist klar vergeben.
Primoz Roglic – den Karriereplan vollenden
34 Jahre / Bora-hansgrohe / Grand Tour-Siege: 3 x Vuelta, 1 x Giro / Tour-Teilnahmen: 5
Giro d’Italia, die Vuelta a España, Monumente, Olympia-Gold – Primoz Roglic hat in seiner Karriere nahezu alles abgeräumt. Doch ein ganz großes Ziel hat er noch nicht erreicht – den Sieg bei der Tour de France. Roglic ist zum Team Bora-hansgrohe gewechselt, um seine letzten Chancen auf den Toursieg zu nutzen – an der Seite von Jonas Vingegaard wäre das wohl nicht möglich gewesen. Er hat sich voll auf die Tour konzentriert, das gesamte Team wird auf ihn ausgerichtet. Viele Chancen wird der 34-Jährige wohl nicht mehr bekommen – jetzt oder nie?
Das Jahr von Primoz Roglic verlief nicht ideal. Zu Beginn des Jahres kam er nicht so richtig in Tritt. Offenbar dauerte es eine Weile, ehe er sich im neuen Umfeld zurechtfand und richtig durchstarten konnte. Dann erwischte es ihn beim Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt. Zwar nicht so schwer wie Vingegaard und Evenepoel, aber auch er wurde zurückgeworfen.
Das Critérium du Dauphiné war für die gesamte Bora-Equipe eine Testlauf für die Tour de France. Roglic holte den Gesamtsieg und sammelte Selbstvertrauen. Doch derart souverän, dass man ihn zum Gelb-Favoriten auf Augenhöhe mit Pogacar machen muss, agierte er nicht. Roglic geht als Herausforderer zur Tour – als Kandidat für einen Platz auf dem Podium. Für sein Team, dass dann als „RedBull-Bora-hansgrohe“ antreten wird, wäre das Podium ein Erfolg. Doch für Roglic geht es nur um den Sieg. Einen Podestplätze bei der Tour hat er schon – es soll nun endlich der Sieg her.
Sein Team ist sehr stark, auf jedem Terrain – doch die Konkurrenz ebenso. In Top-Form kann er Pogacar und Vingegaard vielleicht die Stirn bieten, doch konstant über drei Wochen ein fehlerfreies Rennen auf Top-Level abzuliefern wird eine sehr große Herausforderung. Doch genau das braucht es wohl, will er Pogacar & Co. herausfordern.
Remco Evenepoel – Premiere
24 Jahre / Soudal-Quick Step / Grand Tour-Siege: 1 x Vuelta / Tour-Teilnahmen: 0
Das belgische Wunderkind startet in seine erste Tour de France. Unzählige Fans sind gespannt, wie gut Remco Evenepoel sich bei dieser Tour de France schlagen wird. Auch er hatte keine optimale Vorbereitung, war in den Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt verwickelt und brach sich dabei Schlüsselbein und Schulterblatt. Beim Critérium du Dauphiné gewann er zunächst souverän das Einzelzeitfahren, kam aber dann wieder zu Fall und war während der Bergetappen nicht auf dem Level der Top-Fahrer um Sieger Primoz Roglic.
Evenepoel hat die Vuelta gewonnen, war Weltmeister und hat mehrere Monument-Siege eingefahren – dennoch gehört er bei der Tour zum Kreis der Fahrer, die ums Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers kämpfen. Es ist seine erste Tour de France, in die er sicher top-motiviert startet, doch für den 24-Jährigen wird es in Zukunft wohl noch einige weitere Chancen beim größten Rennen der Welt geben.
Evenepoel geht nicht als Favorit auf einen Podestplatz in die Tour de France. Er will das Rennen kennenlernen, wichtige Erkenntnisse für die Zukunft mitnehmen und bald zurückkehren und um Gelb kämpfen. In seiner belgischen Heimat wird jedes seiner Rennen genau verfolgt und jede seiner Aussagen und Auftritte analysiert. Mit Pogacar und Vingegaard scheint er noch nicht mithalten zu können, und auch Roglic scheint stärker zu sein. Einen riesigen Leistungssprung zwischen Dauphiné und Tour darf man wohl nicht erwarten. Doch man muss abwarten, wie sich der Belgier schlägt.
Remco Evenepoel ist in Belgien ein Star. Er gilt als Wunderkind und als „der nächste Eddy Merckx“, der Belgien den nächsten Tour-Triumph bescheren soll. Bei seiner Premiere sind die Erwartungen sich noch nicht so extrem, auch wegen der eher schwachen Dauphiné. Vielleicht tut ihm das bei seiner Premiere gut.
Fotos: © A.S.O./Pauline Ballet, Stefan Rachow