Tour de France 2024: Wer der Fab Four ist schon in Tour-Form?

14.06.2024

Countdown Richtung Tour de France. In Teil vier des ‚Fab Four‘-Formbarometer beleuchtet Bernd Landwehr, Chefredakteur des Cyclingmagazine, die vier Top-Favoriten auf ihrem Weg zum Grand Depart der Tour de France.

Wie ist der aktuelle Formzustand zwei Wochen vor dem Tour-Start von Jonas Vingegaard, Tadej Pogacar, Remco Evenepoel und Primoz Roglic? Welche Erkenntnisse konnte aus dem Critérium du Dauphiné gezogen werden? Wie stehen überhaupt die Chancen von Titelverteidiger Jonas Vingegaard wettbewerbsfähig zum Grand epart an der Startlinie zu stehen.

In den Kolumnen analysiert Radsport-Experte und Journalist Benrd Landwehr die Vorbereitung, ordnet die Leistungen ein und lässt so ein „Tour-Barometer der Fab Four“ entstehen. 

Hier die erste und zweite und dritte Kolumne zu den Fab Four mit allen Infos.

Folge 4 – zwei Wochen bis zum Grand Depart

Jonas Vingegaard – startklar?

27 Jahre / Team Visma | Lease a Bike / Grand Tour-Siege: 2 x Tour / Tour-Teilnahmen: 3

Lange Zeit war unklar, ob Jonas Vingegaard bei der Tour de France 2024 überhaupt starten kann. Ganz sicher, dass er am 29. Juni in Florenz mit der Startnummer 1 steht, ist es noch immer nicht, doch die Signale sind positiv. 

Seit einem schweren Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt im April hat der Titelverteidiger kein Rennen bestritten. Schlüsselbeinbruch, Rippenbrüche, Pneumothorax – die Verletzungen waren heftig. Erst zwei Monate vor dem Tourstart kehrte Vingegaard überhaupt auf das Rad zurück, begann mit der Vorbereitung auf der Straße. 

Rund einen Monat vor Tourstart hieß es von seinem Team Visma | Lease a Bike, die Chancen für seine Teilnahme würden bei 50/50 stehen. Dennoch reiste Vingegaard ins Trainingslager nach Tignes, trainiert mit den Kollegen intensiv. Rund zwei Wochen vor dem Start der Tour de France scheinen die Chancen auf seine Teilnahme stark gestiegen. Man rechne mit seiner Teilnahme, heißt es aus dem Umfeld des Teams. Klingt deutlich optimistischer als zuletzt. Eine Startgarantie gibt es aber (noch) nicht.

Wie gut kann die Form von Jonas Vingegaard mit derart eingeschränkter Vorbereitung sein? Steht er auch mit mittelprächtiger Form beim schwersten Radrennen der Welt am Start, weil er der amtierende Doppelsieger ist und das Gesicht seiner Mannschaft? Oder ist er tatsächlich mit solch Talent gesegnet, dass er auch mit einer derart holprigen Vorbereitung konkurrenzfähig ist? 

Die Performance-Abteilung seines Teams wird diese Frage wohl anhand seiner Leistungsdaten im Trainingslager vor Tourstart beantworten können. Die Fans hingegen müssen wohl abwarten, bis es bei der Tour zur Sache geht. 

Tadej Pogacar – voll im Plan

25 Jahre / UAE Team Emirates / Grand Tour-Siege: 2 x Tour, 1 x Giro / Tour-Teilnahmen: 4

Nach dem souveränen Giro-Sieg hat sich Tadej Pogacar ein Päuschen gegönnt und dann die Vorbereitung auf die Tour de France in Angriff genommen. Bislang scheint alles nach Plan zu verlaufen, glaubt man den Aussagen seines Teams. 

Pogacar ist seit dem Giro zwar selbst kein Rennen gefahren, wird aber dennoch genau verfolgt haben, was seine Kollegen beim Critérium du Dauphiné und der Tour de Suisse machten. Nils Politt, Tim Wellens, Marc Soler – sie zeigten beim Critérium du Dauphiné eine sehr ordentliche Leistung und machten deutlich, dass die Form stimmt. Die Kletterfraktion um Adam Yates und Joao Almeida brilliert bei der Tour de Suisse und zeigt sich ebenfalls in Tour-Form. Nur der Ausstieg von Juan Ayuso beim Critérium du Dauphiné könnte die Vorfreude auf das Tour-Team etwas trüben. Ayuso hatte sich bei einem Massensturz verletzt und musste das Rennen aufgeben.

Tadej Pogacar rückt nach und nach in die Rolle des Top-Favoriten auf den Toursieg. Seine beeindruckende Vorstellung beim Giro, dazu das bärenstarke Aufgebot seines UAE-Teams für die Tour de France – die Konkurrenz wird ihr volles Potenzial abrufen müssen, um gegen den Slowenen bestehen zu können. 

Doch bei allem Optimismus im Team UAE bleibt eine Frage bis zur allerletzten Etappe offen: Wie gut verkraftet Tadej Pogacar die Belastungen von zwei Grand Tours in Folge? Lautet die Antwort „exzellent“, und bleibt Pogacar gesund, wird man wohl den nächste Double-Sieger seit 1998 in die Radsport-Geschichtsbücher schreiben.

Primoz Roglic – Sieg fürs Selbstvertrauen

34 Jahre / Bora-hansgrohe / Grand Tour-Siege: 3 x Vuelta, 1 x Giro / Tour-Teilnahmen: 5

Nachdem es in dieser Saison für den Bora-hansgrohe-Neuzugang noch nicht so richtig rund lief, setzte er nun ein Ausrufezeichen: Primoz Roglic gewann das Critérium du Dauphiné. Ein Erfolg, der nicht nur für sein Selbstvertrauen als Booster wirkt, sondern der gesamten Mannschaft Rückenwind verleiht. Denn das Critérium du Dauphiné war für die gesamte Equipe eine Testlauf für die Tour de France. Nahezu der komplette Kader, aber auch die Team-Mitarbeiter brachten sich beim Critérium du Dauphiné in Tour-Team-Stimmung. Mit zwei Etappensiegen und dem Gelben Trikot von der Generalprobe nach Hause zu fahren ist ein großer Erfolg! 

Doch nicht alles lief ideal. Das Zeitfahren von Roglic war ordentlich, auch wenn er auf Remco Evenepoel mehr als 30 Sekunden verlor. Doch es zeigte sich erneut, wie verwundbar der Kapitän ist, wie schnell der Traum von Gelb ausgeträumt sein kann. Im verheerenden Massensturz erwischte es auch Roglic – er kam zwar nicht ohne Verletzungen davon, konnte aber weitermachen und das Rennen gewinnen. 

Es blieb aber nicht bei dem einen Sturz für den Slowenen. Und am letzten Tag hatte Roglic große Mühe, sein Leadertrikot gegen Matteo Jorgenson zu verteidigen. Am Ende rettete er acht Sekunden Vorsprung ins Ziel. Sieg ist Sieg, aber bei der Tour de France wird der Gegner Tadej Pogacar heißen – sicher ein anderes Kaliber als der hochtalentierte Jorgenson.

Ob am letzten Tag des Rennens die Schwäche von Roglic eine Folge der Stürze war, die Versorgungs-Stategie nicht optimal funktionierte, oder andere Dinge eine Rolle spielten, ist von außen schwer zu beurteilen. Teamintern wird man genau analysieren, woran es gelegen hat und welche Verbesserungsmaßnahmen mit Blick auf die Tour nötig sind. Hingegen deutlich zu sehen war die Stärke des Teams Bora-hansgrohe und die absolute Leaderrolle von Primoz Roglic. Ob Jai Hindley oder Aleks Vlasov, Nico Denz oder Bob Jungels – sie alle opferten sich zu 100 Prozent für ihren Kapitän auf. 

Roglic kann zwei Wochen vor der Tour mit Selbstvertrauen und der Gewissheit eines starken Support-Teams in Richtung Florenz blicken. Doch zieht man Vergleiche zur Konkurrenz, dürfte die Favoritenrolle eher bei Tadej Pogacar liegen als bei ihm. Dies kann taktisch ein Vorteil sein, doch will Roglic tatsächlich den Girosieger herausfordern, ihn Mann gegen Mann bezwingen, muss er sich bis zum Tourstart noch gewaltig steigern.

Remco Evenepoel – abgehängt?

24 Jahre / Soudal-Quick Step / Grand Tour-Siege: 1 x Vuelta / Tour-Teilnahmen: 0


Beim Zeitfahren am vierten Tag holte er sich mit einem souveränen Sieg das Gelbe Trikot. Satte 39 Sekunden Vorsprung auf GC-Konkurrent Primoz Roglic. Einige Experten verstiegen sich bereits zur Aussage, Evenepoel würde dieses Critérium du Dauphiné ganz sicher gewinnen. Doch in den Bergen war der Belgier nicht konkurrenzfähig. 

Man muss bei der Beurteilung seiner Leistung berücksichtigen, dass Evenepoel in den Massensturz während der fünften Etappe involviert war. Bei seinem ersten Rennen seit dem Unfall bei der Baskenland-Rundfahrt im April, wo er sich Schlüsselbein und Schulterblatt brach, krachte er wieder auf die lädierte Schulter. Auf den Sturz wollte Evenepoel den Unterschied zur Spitze des Rennens nicht schieben. Auf Gesamtrang sieben, noch hinter Roglic-Helfer Aleksandr Vlasov, beendete Evenepoel das Critérium du Dauphiné.

Sein Teamchef sprach von etwas zu viel Gewicht, Evenepoel von „85 Prozent Form“. Drei Wochen vor dem Start der Tour de France bleibt nicht mehr viel Zeit, an den Stellschrauben zu drehen. Es wirkt, als wäre dem Belgier und seinem Team längst klar, dass er nach der schweren Verletzung im April nicht bis zum Tourstart in Top-Verfassung kommen kann. 

Der Auftritt von Remco Evenepoel beim Critérium du Dauphiné lässt ihn vielleicht aus dem Kreis der Top-Favoriten auf das Tour-Podium verschwinden. Doch das kann ihm gut tun – nimmt es den Druck von Medien und Öffentlichkeit, vor allem in seiner Heimat. 

Evenepoel geht vermutlich nicht in Top-Form in seine erste Tour de France. Schaut man auf den Parcours des Rennens, fällt sofort die extrem schwere Schlusswoche auf. Man könnte also annehmen, es wäre nicht so schlecht, ausgeruht und nicht ganz mit Form-Peak ins Rennen zu gehen. Doch diese Tour startet auch extrem schwer und man kann direkt auf den ersten vier Etappen reichlich Rückstand kassieren, ist man nicht konkurrenzfähig.

Remco Evenepoel geht wohl als Außenseiter in seiner erste Tour. Er will das größte Rennen der Welt kennenlernen, schauen, wie es für ihn läuft. Mit dem mittelfristigen Ziel, in wenigen Jahren als einer der Favoriten zu starten und sich den Sieg zu holen. Mit diesem Plan im Kopf, kann es für Evenepoel durchaus gut sein, nicht direkt den Druck eines der Top-Favoriten zu spüren. 

Und Etappensiege könnten auch für ihn ein großes Ziel sein, wenn er früh feststellen, muss dass die Top Fünf im  Gesamtklassement mit den Umständen der Vorbereitung in diesem Jahr kein erreichbares Ziel ist.

Fab Four: Das Form-Barometer der Tour de France-Favoriten – Teil drei

Fab Four: Das Form-Barometer der Tour de France-Favoriten – Teil zwei

Fab Four: Das Form-Barometer der Tour de France-Favoriten – Teil eins

Fotos: © Stefan Rachow

Das könnte Dich außerdem interessieren