Wie stark sind die vier Top-Favoriten Jonas Vingegaard, Tadej Pogačar, Primož Roglič und Remco Evenepoel auf dem Weg zur Tour de France 2025 – ihrem Saisonhöhepunkt? Das erklärt Teil drei des ‚Fab Four‘-Formbarometer zur Tour de France 2025. Bernd Landwehr, Chefredakteur des Cyclingmagazine, verfolgt ihre Vorbereitung, ordnet ihre Leistungen sowie Ergebnisse ein und erstellt so ein „Tour-Barometer der Fab Four“.
Das erste Drittel der Saison 2025 ist Geschichte – die Zeit der Grand Tours beginnt und die Tour de France rückt näher. Weniger als zwei Monate sind es noch bis zum Grand Depart in Lille. Die „Fab Four“ – die vier großen Favoriten auf den Gesamtsieg der Tour de France -gehen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Vorzeichen in den nächsten Saisonabschnitt. Tadej Pogačar verabschiedet sich mit reichlich Selbstvertrauen in eine Pause, Remco Evenepoel hat einiges an Arbeit vor sich, Primoz Roglič steht beim Giro unter Erfolgsdruck und Jonas Vingegaard hat abseits des Renngeschehens die Schlüsseletappen der Tour inspiziert. So steht es um die Fab Four bevor es in die entscheidende Vorbereitungsphase geht.
Hier zu den ersten und zweiten Folge mit allen Infos.
Tadej Pogačar – viel Selbstvertrauen durch ein (fast) perfektes Frühjahr
26 Jahre / UAE Team Emirates / Grand Tour-Siege: 3 x Tour / Tour-Teilnahmen: 5
Das gesamte Frühjahr des Slowenen lief nahezu perfekt. Rang drei in Sanremo war das schlechteste Endergebnis bei seinen acht Saison-Rennen. Schon das allein ist beeindruckend. Strade Bianche und Flandern-Rundfahrt gewonnen, Zweiter bei Paris-Roubaix. Das Frühjahr verlief bis zu den Ardennen-Klassikern exzellent.
Doch nach Paris-Roubaix stellte sich die Frage, ob Pogačar nach dem langen ersten Rennblock ein wenig die Luft ausgeht. Denn beim Amstel Gold Race zog er zunächst wie gewohnt davon, wurde aber von Remco Evenepoel und Mattias Skjelmose wieder eingeholt und am Ende vom Dänen abgesprintet. Seit der UAE-Tour Mitte Februar fährt Pogačar auf Top-Niveau – ein langer Zeitraum – auch wenn sein Rennprogramm eher überschaubar blieb. Doch sowohl beim Fleche Wallonne als auch bei Lüttich-Bastogne-Lüttich machte Pogacar klar, wer der Chef im Peloton ist. Er gewann beide Rennen, jeweils extrem souverän.
So verabschiedet sich Tadej Pogačar in eine kleine Pause, an die sich die intensive Tour-Vorbereitung anschließen wird. Mit reichlich Selbstvertrauen wird der Weltmeister in die finale Trainingsphase für die Tour starten – denn nach diesem Frühjahr geht er mit dem Wissen in den (Kurz)Urlaub, dass er aktuell der beste Fahrer der Welt ist.
Jonas Vingegaard – Training & Tour-Recon in den Pyrenäen
28 Jahre / Team Visma | Lease a Bike / Grand Tour-Siege: 2 x Tour / Tour-Teilnahmen: 4
Seit seinem sturzbedingten Ausstieg bei Paris-Nizza im März war es still um Jonas Vingegaard geworden. Zwar gab es die Info, dass er nach auskurierter Gehirnerschütterung wieder trainiert, viel mehr sickerte aber nicht durch. Ende April machten dann via Social Media Videos die Runde, die den Dänen beim Training in den Pyrenäen zeigten. Hobbysportler hatten den Ex-Toursieger ein Stück bei seiner Trainingsfahrt begleitet. Entspannt und nett sei der Däne gewesen, berichteten die Hobbysportler – genau so kennt man ihn.
Vingegaard bereitet sich in Ruhe auf die Tour vor, absolviert akribisch sein Programm. Wie so oft wird er dabei auch häufig von Grischa Niermann begleitet, dem Sportdirektor seines Teams.
Gleich drei schwere Pyrenäen-Etappen sind Teil des Parcours der Tour de France 2025. Darunter das Bergzeitfahren nach Peyragudes. Das Team Visma | Lease a Bike ist bekannt dafür, gerade die Zeitfahren akribisch vorzubereiten. Wenig verwunderlich, dass man die Chance ohne Renneinsatz nutzte, sich die Bergetappen anzuschauen. Col du Soulor, die Steigung nach Hautacam – Vingegaard wird nicht nur die Anstiege genau inspiziert haben.
Wie es um die Fitness des Dänen bestellt ist – ob er im Plan ist, oder in der Vorbereitung sogar schon weiter als gedacht – es bleibt sein Geheimnis. Erst Anfang Juni wird man ein Gefühl dafür bekommen, wie stark Jonas Vingegaard tatsächlich ist – dann startet er beim Critérium du Dauphiné – dem letzten Härtetest vor der Tour de France.
Primoz Roglič – Giro d’Italia-Sieg im Visier
35 Jahre / Red Bull-Bora-hansgrohe / Grand Tour-Siege: 4 x Vuelta, 1 x Giro / Tour-Teilnahmen: 6
Die erste Grand Tour der Saison ist der Giro d’Italia. Im vergangen Jahr war es Tadej Pogacar, der zunächst den Giro bestritt und dann zur Tour reiste. Er gewann beide Rennen souverän. In diesem Jahr ist es Primoz Roglič, der zunächst die Italien-Rundfahrt absolviert und dann nach Frankreich reist.
Die Idee hinter dem Giro-Tour-Doppel ist klar: Primoz Roglič soll aus einem guten Giro Selbstvertrauen mit zur Tour nehmen. Möglichst ohne Druck nach Frankreich reisen. Doch dafür braucht es einen guten Giro. So verlagert man bei Red Bull-Bora-hansgrohe auch die Druckphase – von der Tour auf den Giro. Dieser Druck wird nun zusätzlich verstärkt.
Roglič selbst hat ein sehr gutes Frühjahr gezeigt, spätestens mit dem Sieg bei der Katalonien-Rundfahrt überzeugt. Doch die Klassiker-Fraktion der RedBull-Mannschaft enttäuschte. Man konnte kaum Akzente setzen, fuhr bei den Klassikern hinterher. Nun steigt der Druck, man muss endlich abliefern.
Die Ziele der Mannschaft wurden im Winter mutig formuliert, von Zurückhaltung keine Spur. Das Giro-Team bekommt nun die schwachen Klassiker der Kollegen zu spüren – startet mit mächtig Erwartungsdruck in die Italien-Rundfahrt. Zwar haben die Giro-Fahrer wenig mit den ausbleibenden Erfolgen bei den Klassikern zu tun, doch der Druck auf das gesamte Team wächst enorm – der Giro muss erfolgreich werden!
Primoz Roglič ist Druck gewohnt, sein erfahrenes Giro-Team ebenso. Dennoch wäre ein frühes Erfolgserlebnis bei der Rundfahrt von großer Bedeutung. In den Sieger-Flow kommen, den Spirit der erfolgreichen Vuelta 2024 wiederbeleben – das wäre mit einem frühen Etappensieg ganz sicher einfacher zu realisieren.
Und sicher fährt Primoz Roglič bei der Italien-Rundfahrt auch ein wenig um seinen Tour-Status. Der Routinier ist zwar klarer Tour-Kapitän im Team, doch man wird genau hinschauen, wie sich Roglic im Vergleich zu den anderen Top-Fahrern schlägt. Dieser Giro kann für Roglič auf dem Weg zur Tour wegweisend sein. Im Erfolgsfall wird das gesamte Team Motivation und Selbstvertrauen tanken, geht es schief, wird der Druck noch weiter steigen.
Remco Evenepoel – Comeback mit Licht und Schatten
25 Jahre / Soudal-Quick Step / Grand Tour-Siege: 1 x Vuelta / Tour-Teilnahmen: 1
Seinen Saisonstart hatte Remco Evenepoel nach dem schweren Trainingsunfall im Dezember lange aufschieben müssen. Erst zu den Ardennen-Klassikern kehrte der Belgier wieder ins Peloton zurück. Genau genommen wählte er den Pfeil von Brabant als erstes Rennen – dort holte er vor heimischem Publikum überraschend den Sieg. Nur zwei Tage später stand mit dem Amstel Gold Race der erste große Ardennen-Klassiker an. Und Evenepoel lieferte ein famoses Rennen. Er konnte die Lücke zum enteilten Tadej Pogacar schließen, musste sich am Ende im Dreiersprint gegen Pogacar und Mattias Skjelmose dann aber mit Rang drei begnügen. Dennoch ein achtbares Ergebnis und zudem ein sehr starkes Rennen.
Doch der Auftakt des Ardennen-Tripels war sein bester Klassiker-Auftritt. Weder beim Fleche Wallonne, noch bei Lüttich-Bastogne-Lüttich konnte er mit den Besten mithalten. Nach solch langer Verletzungspause und nur recht kurzer Vorbereitung ist es wenig verwunderlich, dass Evenepoel noch etwas die Substanz fehlt. Doch der ehrgeizige Belgier hatte sich wohl etwas weiter gewähnt und die ohnehin kritische belgische Öffentlichkeit ging hart mit ihm ins Gericht.
Als Evenepoel im finalen Anstieg bei Lüttich-Bastogne-Lüttich abgehängt war und das TV-Motorrad neben ihn fuhr, zog der Belgier abrupt die Bremse, um sich dem Blick der Kamera zu entziehen. Eine Szene, die x-fach wiederholt und medial ausgeschlachtet wurde. Selbst frühere SportlerInnen, die wegen mentaler Probleme ihre Karriere vorzeitig beendeten und nun als TV-ExpertInnenen tätig sind, lachten über Evenepoels „Vorfall“ und „Ego“. Ein weiterer Beleg für den Sonderstatus des Belgiers, dessen Rennen und Verhalten stets genau begutachtet und ausgewertet werden – vor allem in seiner Heimat.
Zufrieden war Evenepoel selbst nicht, nahm die Tour de Romandie zusätzlich in sein Rennprogramm auf – direkt nach den Ardennen-Klassikern. Er zeigte dort ein gutes Rennen, stellte sich in den Dienst des Teams und holte am Schlusstag im Zeitfahren den Etappensieg. So verbesserte er sich zudem noch auf Gesamtrang fünf.
Wenn die Teilnahme in der Romandie dafür gedacht war, das geschundene Selbstvertrauen wieder aufzubauen, und sich mit Blick auf die Tourvorbereitung Selbstbewusstsein und Belastung zu holen, so kann man festhalten – dies gelang! Bis zum Start der Tour de France bleibt Evenepoel noch reichlich Zeit an der Form zu feilen und die Basis zu festigen. Sein Ehrgeiz scheint ungebrochen und auch dieses Mal ist er nach einem harten Rückschlag erfolgreich zurückgekommen. Durchaus beeindruckend!
Alle Folge des Tour de France-Favoritenchecks
Fab Four: Das Form-Barometer der Tour de France-Favoriten – Teil zwei
Fab Four: Das Form-Barometer der Tour de France-Favoriten – Teil eins