Die Saison 2025 hat begonnen und drei der „Fab Four“ – die vier Favoriten für die Tour de France – sind bereits Rennen gefahren. Jonas Vingegaard, Tadej Pogačar und Primož Roglič zeigten sich bereits. Nur Remco Evenepoel wartet noch auf sein Saisondebüt, scheint aber nach seinem Unfall im vergangenen Dezember im Plan zu liegen und wird voraussichtlich im April seine Rennsaison eröffnen.
Bis zum Start der Tour de France sind es noch etwas mehr als drei Monate – ein guter Zeitpunkt, um nach dem Saisonstart einen Blick auf den Leistungsstand, den Rennkalender und die Vorbereitung der „Fab Four“ auf die Tour de France 2025 zu werfen.
Bernd Landwehr, Chefredakteur des Cyclingmagazine, nimmt die vier Top-Favoriten auf ihrem Weg zum Grand Depart der Tour de France unter die Lupe. Er beleuchtet ihre Vorbereitung, analysiert ihre Leistungen und erstellt so ein „Tour-Barometer der Fab Four“.
Tadej Pogačar – Mit Siegen in die Saison gestartet
26 Jahre / UAE Team Emirates / Grand Tour-Siege: 3 x Tour / Tour-Teilnahmen: 5
Zwei Rennen, zwei Siege – Tadej Pogačar ist nahezu perfekt in die Saison 2025 gestartet. Bei der UAE Tour – Heimrundfahrt des Teams – war ein Sieg gefordert und den lieferte der Weltmeister souverän. Nicht so souverän, aber dennoch sehr beeindruckend war sein Sieg bei Strade Bianche. Ein Fahrfehler führt zu einem Sturz, doch von Abschürfungen und einem kleinen Schreck ließ sich Pogacar nicht irritieren. Die anschließende Aufholjagd und der souveräne Solosieg waren mit den von Sturzspuren gezeichneten Klamotten allerdings noch beeindruckender.
Der Einstand in die Saison verlief für den Weltmeister und Tour-Titelverteidiger also nach Plan. Der Weg zum Grand Depart wird ab jetzt ganz anders verlaufen als noch im vergangenen Jahr. Denn Pogačar wird nicht beim Giro d’Italia starten und im Frühjahr auch keine weiteren Etappenrennen bestreiten. Er fokussiert sich auf die Klassiker, will dort nach Möglichkeit abräumen.
Das umgestellte Rennprogramm sollte Pogacar nicht aus der Rolle des Top-Favoriten für den Toursieg entlassen. Eher im Gegenteil. Denn Pogačar wird nach den Klassikern eine Pause einlegen und sich dann auf die Tour vorbereiten. Läuft es nach Plan, wird er auf 15 Renntage bis Juni kommen, dann das Critérium du Dauphiné mit weiteren acht Renntagen als direkte Vorbereitung und Härtetest absolvieren. So wird er trotz üppigem Klassikerprogramm bis zum Tourstart in Lille einige Renntage weniger in den Beinen haben als 2024. Zudem dürfte er auch mental etwas frischer sein als nach einem intensiven Giro. Wenn alles nach Plan läuft!
Ohne Risiko ist sein Programm jedoch nicht. Die flämischen Klassiker bieten durchaus Gefahren. Schwere Stürze sind möglich, passieren immer wieder. Nicht immer gehen sie so glimpflich aus wie sein Ausrutscher bei Strade Bianche. Und genau aus diesem Grund wird man sich auch gut überlegen, ob Tadej Pogačar tatsächlich bei Paris-Roubaix an den Start geht, oder lieber nicht. Offiziell im Plan steht das Pflaster-Monument nicht, doch seine via Social Media dokumentierte Besichtigungsfahrt durch den Sektor im Wald von Arenberg heizte die Diskussionen um einen möglichen Roubaix-Start des Weltmeisters neu an.
Kein Rennen ist so gefährlich wie Roubaix, schnell kann ein Sturz schwere Verletzungen nach sich ziehen. Dass Pogačar irgendwann in seiner Karriere auch dort antreten wird, scheint sicher, doch wohl nicht in diesem Jahr.
Noch gehen dem Slowenen die Ziele auch ohne Roubaix nicht aus, auch nicht bei den Klassikern im Frühjahr. Mailand-Sanremo ist nur das erste große Ziel.
Aktuell steht Pogačar bei 100 Prozent Ausbeute – zwei Rennen, zwei Siege. Man darf gespannt sein, wie diese Bilanz sich entwickelt.
Jonas Vingegaard – Erst Sieg, dann Sturz
28 Jahre / Team Visma | Lease a Bike / Grand Tour-Siege: 2 x Tour / Tour-Teilnahmen: 4
„Wir haben Hausaufgaben mitbekommen“, sagte Sportdirektor Grischa Niermann mit Blick auf die vergangene Saison. Pogačar war übermächtig, Jonas Vingegaard bei der Tour ohne Chance. Welche Rolle der Sturz im Frühjahr und die schwierige Vorbereitung des Dänen spielte, ist nicht ganz klar. Er lieferte Karrierebestwerte in Frankreich ab – war gegen Pogačar dennoch wehrlos.
Das soll sich im Sommer 2025 ändern! Mit einer optimalen Vorbereitung und einem klaren Plan will man Pogacar herausfordern. In Sachen Rennplanung wurde auf Bewährtes gesetzt. Als Einstieg wählte man die Algarve-Rundfahrt, dann Paris-Nizza und anschließend die Katalonien-Rundfahrt im Frühjahr. Vor der Tour dann das Critérium du Dauphiné als letzten Härtetest.
Die Saison begann sehr ordentlich und Jonas Vingegaard holte in der Algarve den Gesamtsieg – dank eines überragenden Zeitfahrens. Visma | Lease a Bike scheint für die Tour-Revanche alles ausschöpfen zu wollen, um näher an Pogacar zu rücken. Die kurzen Kurbeln an Vingegaards Rad sorgten für Aufsehen – mit dem Sieg im Zeitfahren natürlich umso mehr. Überragend, so wie Pogacar bei seinen ersten Auftritten, fuhr Vingegaard jedoch nicht. Und bei Paris-Nizza kam dann nach einem Sturz das vorzeitige Aus.
Wieder muss Vingegaard sein Rennprogramm ändern, sagte den Start bei der Katalonien-Rundfahrt ab. Noch ist ausreichend Zeit bis zur Tour, doch schnell werden Erinnerungen an das vergangenenJahr wach, als ein Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt die Vorbereitung nachhaltig beeinflusste. So schlimm war der Rennunfall bei Paris-Nizza nicht, doch sicher hätte Vingegaard das Rennen lieber unversehrt beendet und mit einem positiven Gefühl verlassen als vorzeitig und schmerzhaft.
Zieht man den direkten Vergleich zu Pogačar, liegt Vingegaard aktuell ein ganzes Stück zurück. Doch was zählt, ist die Tour im Juli. Der Druck wird allerdings mit jedem Rückschlag größer. Vingegaard und seinem Team ist klar, dass von nun an eine störungsfreie Vorbereitung von Nöten ist, will man Pogačar im Sommer herausfordern.
Remco Evenepoel – Später Saisoneinstieg
25 Jahre / Soudal-Quick Step / Grand Tour-Siege: 1 x Vuelta / Tour-Teilnahmen: 1
Ein folgenschwerer Unfall im Training – ein Postauto, dessen Tür plötzlich aufging – Remco Evenepoel krachte voll dagegen. Schulterblatt gebrochen, Rippen verletzt, ein Bruch an der Hand waren die Folgen. Zudem wurde noch ein Nerv in der Schulter in Mitleidenschaft gezogen. Die Verletzungen in Folge des Unfalls machten einen Strich durch den ursprünglichen Saison-Fahrplan.
Die Reha verlief offenbar gut, doch wie weit Remco Evenepoel in Sachen Vorbereitung auf die Saison ist, lässt sich schwer abschätzen. Die Signale sind positiv, doch in den Rennzirkus wird er erst im April zurückkehren. Frühestens. Dass der Belgier Rückschläge wegstecken kann, bewies er bereits.
Nach dem schweren Sturz bei der Baskenland-Rundfahrt 2024 folgte eine extrem gute Saison! Tour-Podium, Doppel-Olympia-Gold, WM-Titel im Zeitfahren. Und dies war nicht das erste Mal, dass er Comeback-Qualitäten beweisen musste! Schon nach seinem sehr schweren Sturz bei der Lombardei-Rundfahrt 2020 musste sich Evenepoel mittels einer langen Reha zurückkämpfen. Die Fähigkeit, nach einem heftigen Rückschlag stärker zurückzukommen, zeichnet ihn aus. Seine mentale Stärke ist beeindruckend und sein Ehrgeiz ungebrochen.
Bei den Ardennen-Klassikern will Evenepoel ins Renngeschehen eingreifen, vor dem Amstel Gold Race eventuell bereits den Pfeil von Brabant als Einstieg nutzen. Ob er direkt konkurrenzfähig ist, bleibt abzuwarten. Doch bis zum Sommer bleibt noch reichlich Zeit sich in Tour-Form zu bringen.
Im Juli wird er wohl eine stärkere Mannschaft an seiner Seite haben als im vergangenen Jahr. Neben dem erfahrenen Allrounder Max Schachmann ist auch der tempoharte Pascal Eenkhoorn zum Team gestoßen. Dazu wurde der junge französische Kletterer Valentin Paret-Peintre verpflichtet. Neben Mikel Landa eine weitere Top-Option für die Unterstützung im Hochgebirge.
Sobald Evenepoel wieder bei Rennen auftaucht, sind die Blicke auf ihn gerichtet und es wird genau darauf geachtet, wie es um seine Form bestellt ist. Traut man den Informationen aus seinem Umfeld, ist schon im April mit einem starken Evenepoel zu rechnen.
Nach dem Rückschlag durch den Unfall könnte er mit Blick auf die Tour ganz sicher einen Moral-Boost vertragen. Mit Evenepoel wird im Juli in jedem Fall zu rechnen sein, bleibt seine Vorbereitung von nun an ungestört.
Primož Roglič – Erst zum Giro d’Italia, dann Tour
35 Jahre / Red Bull-Bora-hansgrohe / Grand Tour-Siege: 4 x Vuelta, 1 x Giro / Tour-Teilnahmen: 6
Im vergangenen Jahr schied Primož Roglič zur Hälfte der Tour nach einem Sturz aus. Anschließend holte er bei der Spanien-Rundfahrt mit einer durchaus beeindruckenden Leistung den Sieg. In dieser Saison setzt man wieder auf die Tour, will das Podium angreifen und das Top-Duo Pogacar-Vingegaard herausfordern. Der Plan für das „Projekt Gelb“ sieht bei Red Bull-Bora-hansgrohe in diesem Jahr aber ganz anders aus!
Roglič soll möglichst ohne Druck mit einem guten Gefühl zur Tour kommen. Die Grundlage dafür soll er beim Giro legen. Idealerweise mit einem Platz auf dem Podium, eventuell sogar dem Rosa Trikot im Gepäck. Die Idee, dass er dann gegen die Überflieger „nichts zu verlieren hat“ und befreit auffahren kann, ist nachvollziehbar. Doch was ist, wenn es beim Giro nicht läuft? Dann bleibt zumindest bei der Tour die Chance, sich dafür zu revanchieren – so kann man es positiv sehen.
Primož Roglič scheint nicht in der Lage zu sein, einem Pogačar in Bestform zu folgen. Es braucht eine perfekte Tour, etwas Glück und einen klugen Plan, will er gegen Pogačar und Vingegaard tatsächlich um den Sieg fahren. Doch genau das ist das Ziel! Das Gelbe Trikot fehlt Roglič, es würde die Vollendung seiner herausragenden Karriere bedeuten. Doch im Kampf gegen Pogačar und Vingegaard wird es extrem schwer, dieses Ziel zu erreichen. Viele Chancen wird er zudem nicht mehr bekommen, befindet er sich im Spätsommer seiner Karriere.
Mit dem geplanten Grand Tour-Doppel aus Giro d’Italia und Tour de France fällt sein Programm im Frühjahr sehr reduziert aus. Algarve-Rundfahrt und Katalonien-Rundfahrt, das war’s. Dazu reichlich Trainingslager, auch in der Höhe. Das Team hat mächtig investiert, auch in die technische Ausstattung, das Fachpersonal und die Möglichkeiten flexibel in der Höhe zu trainieren. Dank Red Bull steht ein üppiges Budget zur Verfügung – da wurde vielfältig investiert.
Von einem perfekten Saisoneinstand war Roglič 2025 allerdings weit entfernt. Gesamtrang acht am Ende der Algarve-Rundfahrt, hinter Fahrern wie Romain Grégoire und Maximilian Schachmann. Doch Roglič weiß, dass er sich bis zum Giro steigern muss. Und dabei nicht zu früh in Top-Form sein darf, damit ihm nach dem Giro nicht bei der Tour die Puste ausgeht. Als wolle er genau das signalisieren, fuhr er in Portugal mit unrasierten Beinen.
Noch bleibt genügend Zeit bis zum Giro, doch lange wird er nicht mehr hinterherfahren dürfen, bis man sich zumindest Gedanken macht, in der Chefetage des Teams. Es wäre sicher gut, würde sich eine positive Tendenz abzeichnen, bei der Katalonien-Rundfahrt. Leider gibt es dort kein Zeitfahren, wo man einen Fortschritt in dieser Disziplin mit einem guten Ergebnis nachweisen könnte. Denn nach all den Investitionen in Personal und Equipment hatte man sich sicher mehr erhofft als ein 12. Platz bei einem Zeitfahrparcours in der Algarve, der Roglič wie auf den Leib geschneidert schien.
Das nächste Rennen wird zeigen, wo Roglič steht. Mit Blick auf den Giro d‘Italia sollte er in Katalonien zumindest ein Signal senden. Das würde auch seinen Kollegen Selbstvertrauen geben.