Am 22. März starten 175 Radprofis zum ersten Monument des Jahres 2025: Mailand-Sanremo. Die Strecke mit Startort in Pavia führt über 299 Kilometer, die berühmten drei Capi sowie die Schlussanstiege Cipressa und Poggio auf die Zielgerade Via Roma in Sanremo.
Die „Classicissima di Primavera“ ist das erste Radsport-Monument der Saison – und eines der unberechenbarsten Rennen im gesamten Kalender. Über eine Distanz von knapp 300 Kilometern entfaltet sich eine einzigartige Dynamik: Während andere Klassiker mit Kopfsteinpflaster, giftigen Rampen oder unzähligen Anstiegen aufwarten, ist Mailand-Sanremo eine Geduldsprobe. Doch genau darin liegt der Reiz. Hier geht es nicht um Sekunden auf brutalen Hellingen, sondern um das perfekte Timing. Es ist die längste Sprint-Vorbereitung der Welt – bis jemand die Nerven verliert oder sein Chance in der Attacke sieht.
Letzteres könnte in diesem Jahr durchaus früher passieren. Denn Tadej Pogačar will in Sanremo triumphieren – und hat kein Intresse an einem Sprint.
Die Strecke von Mailand-Sanremo 2025
Wie auch schon im Vorjahr starten die Profis in Pavia. Die Stadt in der Lombardei wird auch in den kommenden drei Jahren der Startort sein. Nach dem Start und einem kurzen Abstecher nach Rivanazzano und Salice Terme kehrt das Peloton auf die traditionelle Route zurück, die seit über 110 Jahren Mailand mit der Riviera di Ponente verbindet. Über Ovada und den legendären Passo del Turchino geht es hinunter ans Ligurische Meer. Ab Genua-Voltri folgt das Rennen dem symbolträchtigen Küstenverlauf der Via Aurelia über Varazze, Savona und Albenga.
Capo Mele, Capo Cervo, Capo Berta – die Spannung steigt
Ab jetzt beginnen bereits die Positionskämpfe für die kommenden Hügel und Wellen. Rund 60 Kilometer vor dem Ziel ist das Finale eröffnet. Hinter dem Küstenort Laigueglia werden nun in kurzer Folge Capo Mele, Capo Cervo und Capo Berta in Angriff genommen. An ihnen beginnt bereits das erste Ausscheidungsfahren.
Cipressa – der erste große Test
Danach rast das Peloton mit hohem Tempo am Meer entlang in Richtung Cipressa. Der Anstieg beginnt gut 22 Kilometer vor dem Ziel und ist 5,6 Kilometer lang. Im Schnitt nur 4,1 Prozent steil, kann dieser Berg bei hohem Tempo für die Sprinter zu einem schwer zu überwindenden Hindernis werden. Zumal das Tempo hier oft extrem verschärft wird, um entweder noch verbliebene „frühe“ Ausreißer einzuholen oder neue Angriffe zu vereiteln. Auch wenn viele Experten sagen, dass es von der Cipressa bis ins Ziel zu weit ist, um einen Ausreißversuch zu starten, versuchen es einige Profis immer wieder.
Poggio – der Moment der Wahrheit
9,2 Kilometer vor dem Ziel knallt das Peloton mit rasender Geschwindigkeit in die Straße, die hoch zum legendären Poggio di Sanremo führt. 3,7 Kilometer mit durchschnittlich 3,7 Prozent Steigung reichen für ein Ausscheidungsfahren aus. Der Poggio ist so etwas wie das natürliche Eliminierungssystem von Mailand-Sanremo. Hier entscheiden Taktik und Rennintelligenz über Sieg oder Niederlage. Die entscheidenden Faktoren:
Platzierung: Wer zu weit hinten ist, verliert sofort den Anschluss.
Antritt: Die besten Fahrer attackieren oft 800-1000 Meter vor dem Gipfel.
Abfahrt: Hier kann man das Rennen gewinnen – oder es für immer verlieren.
Die Abfahrt vom Poggio ist berühmt-berüchtigt. Kurven, Serpentinen, enge Straßen – wer hier nicht alles gibt, hat am Ende keine Chance. In der Vergangenheit haben Fahrer wie Vincenzo Nibali oder Matej Mohorič gezeigt, dass man das Rennen genau hier entscheiden kann. Oder wieder zurückkommen kann, so wie Alpecin-Deceuninck-Profi Jasper Philipsen (Foto unten), der das Rennen 2024 gewann.
Das Finale von Mailand-Sanremo auf der Via Roma
Nach der Abfahrt sind es noch gut zwei Kilometer bis zur Ziellinie. Die Straßen von Sanremo sind breit, die letzten 750 Meter schnurgerade. Wer hier in einer Gruppe ankommt, muss auf seinen Sprint vertrauen. In den vergangenen Jahren haben Fahrer wie Jasper Philipsen (2024), Mathieu van der Poel (2023), Matej Mohorič (2022) gezeigt, dass unterschiedlichste Rennfahrer hier gewinnen können – von Sprintern über Puncheure bis hin zu Ausreißern mit Abfahrtstalent.
Die Favoriten für Mailand-Sanremo 2025
Die Favoriten für Mailand-Sanremo 2025 Wer gewinnt das erste Monument der Saison 2025? Tadej Pogačar auf der Via Roma oder ein alter Bekannter? Jemand, der schon einmal bei Mailand-Sanremo triumphiert hat, wie Mathieu van der Poel, Jasper Philipsen oder auch Julian Alaphilippe.
Zum engeren Favoritenkreis zählen neben „Pogi“ und van der Poel auch der Däne Mads Pedersen und Filippo Ganna. Pedersen zeigte sich bei Paris-Nizza in Topform und ließ auf den Bergetappen so manchen Kletterer hinter sich. Gleiches gilt für Ganna. Der großgewachsene Italiener wirkt „gefühlt“ ein paar Kilo leichter als im Vorjahr, wurde Zweiter beim Etappenrennen Tirreno Adriatico. Die beiden Letztgenannten haben im Vergleich zum Vorjahr noch eine Schippe draufgelegt. Aber es wird reichen.
Und was ist mit Tom Pidcock, der in den ersten Rennen als Klassementfahrer von sich reden machte. Aber sein Trainer will, dass er erst die großen Eintagesrennen gewinnt, bevor er sich auf die Gesamtwertung der Grand Tours konzentriert. Hinzu kommt mit Julian Alaphilippe ein ehemaliger Sanremo-Sieger, der bei Paris-Nizza vor Leichtigkeit und Explosivität nur so strotzte. Auf die Unterstützung seines neuen Teams Tudor kann er sich bedingungslos verlassen.
Angenommen, Pogačar würde, wie für 2024 geplant, bereits an der Cipressa attackieren und die anderen Fünf würden ihm folgen oder ihn in der Abfahrt einholen. Dann könnte das eine Vorentscheidung sein. Vorausgesetzt, die anderen kreiseln mit dem Tour-de-France-Sieger bis zur Einfahrt Poggio. Denn sowohl Pedersen als auch van der Poel haben mit Jonathan Milan und Jasper Philipsen noch Sprinter in ihren Teams. Auf dem Papier, denn das Rennen könnte schon auf den drei Capi so schwer werden, dass zumindest Milan abreißen lassen muss.
Vielleicht gesellt sich auf der technisch anspruchsvollen Abfahrt von der Cipressa ein Abfahrtsspezialist wie Matej Mohorič dazu? Dann könnte die Gruppe noch etwas größer werden. Ist das Szenario Attacke auf der Cipressa unwahrscheinlich? Nein! Denn nach den Erfahrungen des Vorjahres kann es nicht im Interesse von Tadej Pogačar sein, mit einer Attacke bis zum Poggio zu warten.
Entscheidend wird sein: Wen nimmt er mit beziehungsweise wer ist in der Lage mitzugehen? Gibt es Windschatten zwischen Ausstieg Cipressa und Einstieg Poggio und welche Teams haben Interesse, vor allem aber Manpower in Sachen Nachführarbeit.
Auf jeden Fall wird es zumindest im oberen Steilstück von Poggio di Sanremo Attacken geben. Denn Pogačar will am liebsten alleine ankommen und nicht explosive Fahrer wie Ganna, van der Poel und Pedersen ins Ziel chauffieren.