Brennan Wertz gewinnt US-Meisterschaften im Gravel-Biking
Gravel-Profi und Alpecin Cycling-Kolumnist Brennan Wertz hat die nationalen Meisterschaften in den USA im Graveln gewonnen. Der 27 Jahre alte Kalifornier setzte sich dabei gegen starke Konkurrenz durch. Darunter auch der Top-Favorit und Fünfte der letztjährige Gravel-Weltmeisterschaften Keegan Swenson durch.
Doch weder vor noch während des Rennens hätte es den Anschein, als ob Brennan überhaupt eine Chance den Titel hätte. In seiner Kolumne auf Alpecin Cycling erklärt er aus seiner Sicht das Rennen und berichtet, wie es ihm auf den 211 Kilometern in Nebraska ergangen ist:
US-Meisterschaften: Brennan Wertz über sein Gravel-Rennen
„Endlich habe ich es geschafft. Es war immer ein Traum von mir, die Nationals, wie sie bei uns heißen, zu gewinnen. Im vergangenen Jahr war ich knapp dran. Am Ende war ich dritter und neben der Qualifikation für die Gravel-WM eines war, waren die US-Meisterschaften eines, eines, wenn nicht sogar mein Saison-Highlight.
Dabei war die Vorbereitung darauf chaotisch oder schlichtweg nicht existent. Rund einen Monat zuvor habe ich mir wohl kurz vor dem Steamboat Gravel eine COVID-19 Infektion aufgesackt. Ich musste nicht nur meine Teilnahmen am Rennen absagen, sondern auch zwei Wochen komplett pausieren. Ich hatte schon einmal zuvor Corona, doch dieses Mal so, so war mein Gefühl, hatte es mich besonders erwischt.
Nach den zwei Wochen Trainingspause waren die ersten Fahrten der totale Horror. Lockere ein- bis zweistündige Fahrten endeten mit brutal schweren Beinen, die ich sonst nur von langen Rennen oder extrem anstrengenden Trainingsblöcken kannte. So dauerte auch meine einzige lange Einheit vor den nationalen Meisterschaften gerade mal dreieinhalb Stunden – und die Intensität ging in Richtung Coffee Ride.
Keine Ahnung, wie ich ein Rennen von einer Dauer von ungefähr sechs Stunden überstehen sollte, dachte ich mir. Allerdings dachte ich mir auch, es sind nur einmal im Jahr nationale Meisterschaften. So fuhr ich hin – ohne große Erwartungen. Ich wollte das Rennen auf mich zukommen lassen.
Obwohl ich sonst ein Typ bin, der in puncto Material eher das Risiko scheut, dachte ich mir, ich habe dieses Mal nichts zu verlieren. So habe ich dann mein Setup fürs Rennen aggressiv gewählt. Ich startete mit meinem Allroad- und nicht meinem Gravelbike, montierte vorne ein großes Kettenblatt mit 54 Zähnen und zog 44 Millimeter breite Slicks auf. Warum nicht alles riskieren?
All or Nothing! Wenn man weiß, dass meine Mitstreiter aufgrund des weichen Untergrunds und vieler Sandpassagen mehr auf Mountainbike reifen, setzte. Doch ich dachte, wenn ich überhaupt eine Chance habe, dann zum Ende hin mit den Slicks, die einfach viel, viel schneller rollen.
Aber 211 Kilometer müssen halt auch erst einmal abgerissen werden. Vor allem gegen diese Konkurrenz – die stärksten US-Athleten. Neben dem Titelverteidiger Keegan Swenson, der bei uns in den Staaten so ziemlich jedes Gravel Rennen dominiert und auch bei der Gravel-WM im vergangenen Herbst Fünfter wurde, fuhr noch Colby Simmons mit. Ein zwanzig Jahre alter Straßen-Profi aus dem Visma-Lease a Bike Development Team und Bruder des bekannten Radprofis Quinn Simmons. Diese beiden galten insgeheim als die Favoriten.
„Mir fehlte die Explosivität“
Im Rennen gingen zu Beginn viele Attacken, und es bildete sich auch unterschiedliche Gruppen. Ich merkte schnell, dass mir die Explosivität komplett fehlte und oftmals eine Lücke zu meinem Vordermann riss, die ich mühsam wieder schließen musste.
Es fühlte sich für mich unglaublich zäh an, und ich hatte wirklich nie das Gefühl, in einen Rhythmus zu kommen. Ich litt viel mehr als sonst. Mehrmals sah ich am Straßenrand meinen Freund und Fotografen Jim Merithew stehen und überlegte fast jedes Mal, wenn ich ihn sah, ob es nicht besser wäre, auszusteigen und mich in sein Auto zu setzen.
Aber irgendetwas hielt mich davon ab. Ich weiß bis heute nicht, was es war. Aber es schien ja die richtige Entscheidung zu sein. Die Meilen vergingen. Immer wieder bildeten sich Gruppen. Kurz vor der Hälfte gab es einen Anstieg mit sehr viel Sand. Da lief alles wieder zusammen.
Oftmals schauten wir uns an und irgendwie war gar kein so richtiger Zug in der Gruppe, obwohl natürlich das Grundtempo schon hoch war. Ich versuchte die ganze Zeit in meinem Körper hineinzuhören und ihm irgendwas Positives zu entlocken, doch keine Chance. Die Beine fühlten sich schwer an. Es kam überhaupt nicht zum Flow. Es fühlte sich an, wie richtig harte Arbeit wie sonst bei intensiven Intervallen.
Nach einer Verpflegungszone, in der ich auch eine kalte Wasserflasche zum herunterkühlen bekam, wurde mir plötzlich klar: ‚Ich bin noch hier und ich fühle mich okay.‘
Es waren noch gut 60 Kilometer bis ins Ziel und ich fuhr immer noch in der Gruppe mit den Besten mit. Ich sezierte vor meinem geistigen Auge die noch kommende Strecke und wusste, dass die Schwierigkeiten in den zwei Anstiege lagen. Vom Gipfel des letzten waren es noch 25 Kilometer bis ins Ziel. Das Wissen um das Finale gab und den kühlen Kopf durch die Erfrischung gaben mit wohl etwas Moral. Genauso wie die Tatsache, dass wir in der Spitzengruppe zu zehnt waren. Also, die Top Ten konnte mir keiner mehr nehmen. Nicht schlecht mit der Vorbereitung, dachte ich mir.
Der erste der beiden Anstiege fuhren wir als Gruppe gemeinsam hoch. Der finale Anstieg könnte also die Entscheidung bringen. Es attackierten dann auch Simmons und Swenson mit vier anderen Fahrern. Ich musste reißen lassen, war aber in guter Gesellschaft, als ich mich umblickte. Ebenfalls große Jungs, die einen Gang stehen lassen konnten, waren um mich rum. Wir erreichten den Gipfel mit rund 30 Meter Rückstand und konnten gemeinsam das Loch schließen und waren wieder vorne angekommen.
Noch knapp 25 Kilometer mit Rückenwind und Rollers – also gut zu fahrende kürzere Anstiege – standen uns noch bevor. Auch in diesem Moment habe ich keinen Gedanken darauf verwandt, wie es wäre, das Rennen zu gewinnen und mir eine Taktik zurechtzulegen. Für eine lange Attacke fehlten mir die Beine. Ein Sprint wäre reine Glückssache.
Colby Simmons attackierte jetzt gefühlt jede Meile. Andere auch. Doch die Löcher wurden immer wieder geschlossen. Keiner kam weg. Dann kam vor den finalen asphaltierten Kilometern noch die Fahrt durch tiefes, ausgetrocknetes Flussbett. Es ging steil runter und wieder rauf durch tiefen Sand. Ich musste defensiv fahren, um nicht zu stürzen. Als ich wieder hochschaute, war die Gruppe weg.
Das Loch zu schließen, schien unmöglich. Ich war frustriert. Aber die Gruppe vorne lief nicht, weil sich alle angekuckt haben. Ich trat einen großen Gang und versuchte, wieder ranzukommen. Genau in dem Moment, als ich die Gruppe erreichte, nahmen alle wieder raus und schauten sich an. Ich nutze das Momentum und meine Geschwindigkeitsüberschuss und flog förmlich an den anderen vorbei. Ich nahm den Kopf tief und trat einfach weiter. Nach zehn Sekunden traute ich mich umzudrehen, und sah, dass die Gruppe breit fuhr und alle sich gegenseitig ansagen. Aber ich hatte noch 500 Meter bis ins Ziel, in denen ich noch einmal alles gab.
Sieg bei den Nationals. Ein Traum geht in Erfüllung. Über was ich mich aber genauso gefreut habe als über den Erfolg, sind die vielen ehrlichen Glückwünsche meiner Mitstreiter. Jeder, der mit mir auf die letzten Kilometer gegangen ist, hat mir im Ziel aufrichtig gratuliert gegönnt.
Jetzt noch einen guten Trainingsblock absolvieren und ich bin hoffentlich gut vorbereitet auf die Gravel-Weltmeisterschaften in Belgien.“
Fotos: Jim Merithew / @tinyblackbox