Tour-Tagebuch mit Silvan Dillier: Durchgefroren und klitschnass durch die Alpen
Der Schweizer Team Alpecin-Fenix-Profi Silvan Dillier führt während der Tour de France 2021 ein Tagebuch auf Alpecin Cycling. Heute erklärt der Schweizer Meister, wie er die beiden schweren Etappen in den Alpen erlebte, warum ein kurzer Stopp manchmal sinnvoll sein kann und dass im Gruppetto auch richtig Radrennen gefahren wird.
Die zwei schwere Alpen-Etappe liegen hinter uns. Hier mein Resümee: Auf der ersten Alpenetappe war ich vom Start bis ins Ziel im Grupetto. Wir wurden gleich am ersten Anstieg abgehängt, da es von Kilometer null gleich berghoch. Es hat sich eine riesengroße Gruppe gebildet, die dann letztendlich bis ins Ziel immer größer geworden ist. Dabei waren auch einige Fahrer aus der Favoriten-Gruppe, die zurückgefallen sind wie Geraint Thomas oder Primoz Roglic. Auch Alejandro Valverde, der zu Beginn in der Spitzengruppe war, stieß dann im Laufe des Rennens zu uns.
In solch einem Grupetto wird bei der Tour übrigens nicht gebummelt, sondern richtig Radrennen gefahren. Die Sprinter sind berghoch schon fast am Limit. Da ich nicht ganz so endschnell und schwer bin, kann ich mich da noch unterhalten. Auf der Ebene oder auf den welligen Zwischenstücken wird dann richtig gebolzt und wir fahren 50 bis 60 km/h, damit wir nicht zu viel Zeit verlieren – schließlich wollen wir innerhalb des Time Cuts das Ziel erreichen.
Der neunte Tagesabschnitt am Sonntag – also die zweite schwere Alpenetappe mit der Bergankunft in Tignes – war ein ganz spezieller Tag für mich. Denn es ist etwas passiert, was nicht sehr oft bei mir vorkommt: Ich fuhr lieber bergauf als bergab. Es war so kalt, dass es berghoch hoch noch okay war. Bergrunter dachte ich mir, hoffentlich erfriere ich jetzt nicht. Es hat den ganzen Tag geregnet und wir sind richtig hoch in die Berge gefahren – teilweise über 2000 Meter. Da war es dann dementsprechend kalt.
Ich musste dann auch am zweitletzten Berg des Tages – dem Cormet de Roselend – kurz anhalten, um mir eine Regenjacke und Handschuhe überzuziehen. Dabei half mir auch unser Sportlicher Leiter. Denn allein hätte ich es wohl nicht mehr geschafft. Die Hände waren so kalt, die Klamotten klamm. Ich war komplett durchnässt und da findet man dann irgendwie kaum den Arm mehr, um in die Jackenärmel hineinzufinden.
Man verliert durch solch einen Stopp vielleicht 30 bis 45 Sekunden, aber die sind es dann definitiv wert – gerade im Hinblick auf den weiteren Verlauf des Rennens. So vermeidet man auch, nicht komplett auszukühlen und noch mehr Energie zu verlieren als sonst schon. Einige Fahrer haben auf Etappe neun definitiv ihr Limit erreicht. Sie sind komplett leer ins Ziel gefahren und haben vielleicht sogar einen Hungerast erlitten. So etwas ist für den Verlauf der Tour de France definitiv nicht förderlich. Deshalb waren es gut investierte 45 Sekunden.
Am Montag ist erst einmal Ruhetag und dann geht es in Richtung Provence, wo es ja wärmer sein soll – hoffentlich 🙂
Foto: Team Alpecin-Fenix