Tour de France 2022: Interview mit Alpecin-Deceuninck-Sportdirektor Christoph Roodhooft

29.06.2022

Vor dem Start der Frankreich-Rundfahrt 2022 sprach Alpecin Cycling mit Christoph Roodhooft, Sportdirektor des Teams Alpecin-Deceuninck, über die Ambitionen der Pro Conti- Equipe.

Ist das Gelbe Trikot für das Team ein Ziel in der ersten Woche?

Im vergangenen Jahr war es das sowie auch das Rosa Trikot beim Giro d‘Italia in diesem Jahr. Bei der Tour 2022 ist es für uns nicht realistisch, darauf hinzuarbeiten und den Druck so unnötig zu erhöhen. Wenn es die Möglichkeit gibt, werden wir versuchen sie wahrzunehmen. Aber das Gelbe Trikot ist nicht unsere Zielsetzung.

Die da wäre?

Unsere Ambition ist ein Etappensieg. Wenn wir den holen, sind wir zufrieden.

Wie gut sind Mathieu van der Poels Chancen im Einzelzeitfahren in Kopenhagen?

Theoretisch besteht eine Möglichkeit, dass er das Zeitfahren gewinnt. Theoretisch aber nur, denn seine Chancen liegen bei drei bis fünf Prozent. Bei dem Sieg an der Mûr-de-Bretagne im vergangenen Jahr lagen seine Chancen dagegen vorher bei 80 Prozent.

Welche Etappen sind für Mathieu van der Poel und für Jasper Philipsen geeignet?

Da gibt es einige. Alleine in der ersten Woche gibt es viele Möglichkeiten für uns als Team. Neben den Klassiker-Etappen in Frankreich und Belgien, glaube ich, dass die beiden Etappen in Dänemark uns liegen dürften.

Sie erwarten nicht den klassischen Massensprint auf Etappe zwei und drei?

Dänemark ist ein gefährliches Terrain für Sprinter. Die Hügel sind ein bisschen zu lang für sie, zudem muss den ganzen Tag wegen des Windes vom Meer, der Richtungswechsel und der kleinen Straßen sehr aufmerksam gefahren werden. Da kann das Feld schnell reißen.

Wer ist für Sie der absolut stärkste Sprinter im Feld?

Auf dem Papier ist es auf jeden Fall Fabio Jakobsen und bei der Tour of Belgium hat er es wieder bewiesem. Normalerweise brauchst du als Sprinter auch immer ein wenig Glück, aber er war auch so im klassischen Massensprint der absolut Stärkste. Wir werden trotzdem versuchen ihn zu schlagen – mit Jasper und dem gesamten Team.

Was unterscheidet die fünfte Etappe der Tour von Paris-Roubaix?

Das Peloton ist ein völlig anderes. bei Paris-Roubaix stehen Fahrer am Start, die das Rennen auch unbedingt fahren wollen. Bei der fünften Tour-Etappe ist das völlig anders. Da sind sicher mehr als die Hälfte des Pelotons einfach froh, wenn die Etappe vorbei ist. Deren Ziel ist es, dass sie beziehungsweise ihre Leader keine Zeit verlieren. Das Feld der Fahrer, die um den Sieg kämpfen, wird so viel kleiner sein als bei Roubaix. Wir werden zwei Rennen im Rennen sehen.

Wie wichtig ist ein früher Erfolg bei einer Grand Tour und wie ändert sich dadurch die Stimmung im Team? Geben die Fahrer dann die viel zitierten 110 Prozent?

Es gibt kein sogenanntes “added value“ durch einen Sieg. Ein Fahrer kann nur 100 Prozent geben. Ich würde eher sagen, wenn Du keinen Erfolg hast, nimmt die Leistungsfähigkeit ab – vielleicht auf 95 Prozent oder sogar weniger.

Könnte das Grüne Trikot im Verlauf der Tour ein Ziel für das Team werden?

Das Grüne Trikot ist immer ein bisschen im Hinterkopf – das muss ich schon zugeben. Aber es ist gerade zu Beginn einer Grand Tour auch unvorhersehbar, wie die Etappen verlaufen und wie der Punktestand nach einigen Tagen sein wird. Wie werden vorerst keine zusätzlichen Anstrengungen unternehmen, um darum zu kämpfen oder gar unsere Taktik danach ausrichten.

Was bedeutet es für ein Team, ohne GC Fahrer ins Rennen zu gehen?

Ich persönlich mag das Fahren auf die Gesamtwertung nicht. Du hast nur ein einziges Ziel in den dreieinhalb Wochen, dem Du nacheiferst. Wir dagegen haben mit unserer Strategie, die Möglichkeit 21-mal zu gewinnen. Für mich macht es das ungleich spannender und abwechslungsreicher.

Wie flexibel kann man eine Teamtaktik gestalten?

Wir machen unsere Pläne vor der Tour für jede einzelne Etappe. Und dann adaptieren wir natürlich von Tag zu Tag, abhängig vom Rennverlauf  und der momentanen körperlichen Verfassung der Fahrer.

Wie groß ist die Angst im Peloton vor einer Corona-Welle?

Niemand sehnt sie herbei, aber ich denke, dass die unaufhaltsam sein wird.

Fotos: Photonews.be