Tour de France 2020: Die wichtigsten Erkenntnisse nach der zweiten Woche
Tadej Pogacar – doch menschlich!
Tadej Pogacar erlitt am Col du Granon eine empfindliche Niederlage. Jonas Vingegaard beziehungsweise das Jumbo-Visma-Team „crackte“ ihn auf dieser schweren Alpen-Etappe. Doch war es vermeidbar – oder lag es tatsächlich an der taktischen Raffinesse des niederländischen Teams? Die einen sagen, die anderen so. Unbestritten: Jonas Vingegaard war extrem stark. Die Ex-Profis wie Andy Schleck und Stuart O’Grady glauben mehr an einen taktischen Fehler, nämlich dem Moment als Pogi unnötigerweise den Galibier von vorne fährt mit Vingegaard im Schlepptau. Auch die Sprints, um zu zeigen, wer der Endschnellere ist, bringen nur etwas fürs Ego. O‘Grady geht sogar noch einen Schritt weiterer und sagte er in seiner Kolumne für den australischen Fernsehsender SBS, Pogacar fehle das taktische Mastermind Alan Peiper, der ihn bei den zwei vorhergehenden Austragungen „geguidet“ hat.
Danish Dynamite: ein Sommermärchen
Schreiben jetzt auch die Radsportler aus Dänemark ein Sommermärchen, so wie die deren Fußballnationalmannschaft 1992 bei der Europameisterschaft tat? Momentan sieht es stark danach aus. Auch wenn bei den drei Etappen in Dänemark nicht mehr als in Bergkönig herauskam, so liefen sie ab den Alpen zur Höchstform auf. Erst holte sich Magnus Cort den Etappensieg in Megeve, dann triumphierte Jonas Vingegaard am Col du Granon und übernahm die Gesamtführung. Und Mads Pedersen fuhr seine Ausreißerkollegen auf dem 13. Abschnitt von Bourg d’Oisans nach Saint-Etienne in Grund und Boden. Gut möglich, dass da noch was kommt – und aus dem bislang kleinen ein großes Sommermärchen wird. Das hatten die Dänen im Radsport übrigens schon 1996 – mit dem Tour-Sieg von Bjarne Riis. Doch darüber spricht heute keiner gerne.
Ineos-Grenadier mit Top-Perfomance in Lauerstellung
Aus den drei Kapitänen, mit denen das Team in die Tour gegangen waren, sind längst zwei geworden – doch Geraint Thomas und Adam Yates machen ihre Sache verdammt gut. G liegt mit nur wenigen Sekunden auf Rang zwei auf dem dritten Platz der Gesamtwertung, Yates folgt auf Rang fünf. Und der erst 22 Jahre alte Tom Pidcock hat in unwiderstehlicher Manier, fast der gesamte Abschnitt über von vorne fahrend, die Königsetappe über den Galibier hoch nach Alpe d’Huez gewonnen – und sich so nebenbei in die Top Ten zurückgearbeitet. Ein „Nebenprodukt“ diese Leistungen – die britische Equipe führt die Mannschaftswertung an – und dürfte sie bei dieser Konstellation auch kaum mehr aus den Händen geben.
Romain Bardet zurück zu alter Stärke
Der Franzose war die Hoffnung der Franzosen als noch für AG2R fuhr. Zweiter in der Gesamtwertung der Tour 2016, Dritter 2017. Doch der Druck, endlich der „Erlöser“ für die Grand Nation zu ein und nach dem großen Bernard Hinault wieder Gelb nach Paris zu tragen, wurde ihm genauso wie seinem Landsmann Thibaut Pinot auf Dauer zu viel. Bardet wechselte zur Saison 2021 zur niederländischen Equipe DSM – um ohne Druck Rennen fahren dürfen. Doch plötzlich war er beim Giro auf einem Podiumsplatz, ehe er das Rennen aufgeben musste. Angeblich ohne GC-Ambitionen bei der Tour gestartet, ist Bardet bester Franzose und mit den Pyrenäen kommen seine Berge noch. Gut möglich, dass er sich noch aufs Podium fährt. Falls nicht, ist er den französischen Fans zwei tolle Woche beschert – vor allem als er „Pogi“ am Glandon stehenließ.
Die Crux der Sprinter
In den bislang 15 absolvierten Etappe gab es gerade mal drei Massensprints. Wenig für eine Tour – zu wenig? Geht es nach den Sprinter-Teams, dann ja – doch sie selbst bekleckern sich nicht immer mit Ruhm, den es fehlen Allianzen, um die Ausreißer einzuholen. So war auf Etappe 13 das Team Alpecin-Deceuninck nach dem Sturz des Lotto-Soudal-Sprinters Caleb Ewan allein auf weiter Flur. Erst viel zu spät schaltete sich mit Bikeexchange-Jayco ein zweites Team ein. Andere Mannschaften mit Sprintern und noch ohne einen einzigen Etappensieg wie DSM oder B&B-Hotel hielten dagegen die Füße still. Auch die Equipe Quick-Step-Alpha Vinyl hat wenig Vertrauen in ihren schnellen Mann – so scheint es zumindest.
Grund dieser „neuen“ Entwicklung ist natürlich auch, dass viele andere Mannschaften gleich ganz ohne Top-Sprinter angereist sind wie Trek-Segafredo, EF Education-EasyPost oder die Teams konzentrieren sich geschlossen auf die Gesamtwertung.
Fotos: Photonews.be