Strade Bianche – die Faszination des Neo-Klassikers in der Toskana

26.02.2024

Vom Pflaster Flanderns führt der WordTour-Kalender die Profis „schnurstracks“ auf den Schotter der Toskana. Das Eintagesrennen Strade Bianche eröffnet die italienische Trilogie – gefolgt von Tirreno-Adriatico und dem ersten Monument des Jahres Mailand-Sanremo. Die weißen Schotterpisten der Toskana sind die Kulisse für den modernen Gladiatorenkampf. Obwohl es 2007 erst seine Premiere feierte, ist die Strade Bianche mittlerweile ein Stück Kulturgut im Radsportkalender und hat das Zeug dazu, vielleicht in einigen Jahren das sechste Monument im Radsport zu werden.

Strade Bianche – das Paris-Roubaix des Südens

Doch warum fasziniert dieses Rennen nach nur so kurzer Zeit Fans und Fahrer gleichermaßen? Weil die Ursprungsidee des Rennerfinders Angelo Zomegnan verrückt wie brillant war.  Ein Paris–Roubaix des Südens hatte er im Kopf. Doch anstelle der Pflastersteinsektoren müssen die Fahrer über einzelne Sand- und Schotterpisten. Diese im Sommer staubigen weißen Straßen – strade bianche – verbanden über hunderte von Jahren Dörfer, Weingüter, Villen, Burgen und Schlösser miteinander.

Was distanziert betrachtet nach Reißbrett und Schablone klingt, erfüllt sich schnell mit Leben, wenn man sich die hügelige sattgrüne Landschaft der Toskana mit Zypressenhainen, Gehöften und Weinbergen vor Augen ruft. Doch damit nicht genug – das Ziel des Rennens sollte auch einer dramatischen Schlacht würdig sein. So entschieden sich die Organisatoren für den Piazza del Campo in Siena. Dank seiner Architektur einer der Touristenmagnete in Europa, beliebtes Fotomotiv und zwar nicht nur dann, wenn zwei Mal im Jahr auf diesem halbrunden Platz das berühmte Pferdrennen Palio ausgetragen wird.

Video: Strade Bianche

15 Sektoren mit 72 Kilometer „Gravel“

Während die Landschaft schöne Bilder für die Zuschauer erzeugt, sind es harte Strapazen für die Fahrer. Denn es rollt nicht wirklich gut durch die Toskana. Grober Schotter, feiner Sand, dazu rauer Asphalt gepaart mit den Hügeln, die nur aus der Ferne so lieblich aussehen. Die härtesten Passagen werden in Anlehnung an die wichtigsten Pave-Abschnitte bei Paris–Roubaix Sektoren genannt und mit Sternen gekennzeichnet – allein 15 solcher gibt es 2024.

Das Rennen favorisiert nicht einen einzigen Fahrertyp. Bergfahrer, Rundfahrer und Klassikerjäger jeglichen Couleurs können hier um den Sieg kämpfen. Das bestätigt ein Blick auf die Ergebnisliste der vergangenen Jahre.

Mit rund 180 Kilometern Länge, wovon mehr als 60 Kilometer über Schotter führen, war das Rennen nicht allzu lang. Die Rennzeit lag in den vergangenen Jahren um die fünf Stunden. All das verspricht von Beginn an ein interessantes Rennen und das vor den Positionsfahren vor den Sektoren, die nicht nur über Schotter, sondern oft auch steil bergauf führen, ist so wichtig wie im Frühjahr in Flandern. Es kann auch lohnen, in die erste Fluchtgruppe des Tages zu gehen und dann zumindest vorne reine zu fahren.
Inwieweit das 2024 noch Gültigkeit haben wird, wird man nach dem Rennen sehen. Denn 2024 führt das Rennen erstmals über 200 Kilometer; genauer über 215 Kilometer.

Rückblick auf 2021: Sieg durch Mathieu van der Poel

In 2021 gewann der Alpecin-Fenix-Profi Mathieu van der Poel das Rennen als erster Niederländer überhaupt. Van der Poel war immer im Bilde und setzte die entscheidenden Attacken auf dem elften und letzten Schotterabschnitt sowie am Schlussanstieg in Siena. Auf Schotter konnten mit Mühe nur der damalige Weltmeister Julian Alaphilippe (Deceuninck – Quick Step) und Egan Bernal (Ineos Grenadier) folgen. Im 15 Prozent steilen Schlussanstieg durch die engen Gassen ließ dann van der Poel mit einem fulminanten Antritt beide Mitstreiter stehen und triumphierte auf der Piazza del Campo.

Rückblick 2022: langes Solo von Tadej Pogačar

Rund 50 Kilometer vor dem Ziel attackierte der Slowene aus dem Team UAE Emirates auf eine Schottersektor so brachial, dass die gesamte Konkurrenz das Nachsehen hatte. Pogačar war der erste Fahrer, in der zugegeben noch jungem Geschichte des Rennens, dem ein solch ein langes siegreiches Solo gelang.

Tadej Pogačar bei seiner Attacke beim Radrennen Strade Bianche 2022

Rückblick 2023: Tom Pidcock macht es wie Pogačar im Vorjahr

Im letzten Jahr gewann der Brite Tom Pidcock (INEOS Grenadier) die 17. Austragung der Strade Bianche. Ähnlich wie Tadej Pogačar im Vorjahr griff das Multidisziplin-Talent ca. 55 Kilometer vor dem Ziel im Gravelsektor „Monte Sante Marie“ an und triumphierte am Ende nach unwiderstehlichem Solo in Siena. Der Mountainbike-Olympiasieger und ehemalige Cross-Weltmeister feierte damit seinen ersten Eintagessieg auf WorldTour-Niveau.

Fotos: Photonews, Jojo Harper