Tour-Sieger Geraint Thomas über den Pyrenäen-Berg Col du Portet
Geraint Thomas hat dem Col du Portet in seinem Buch „Radsportberge und wie ich sie sah“ ein Kapitel gewidmet. Ungewöhnlich doch, da er den Anstieg bis zu diesem Zeitpunkt nur ein einziges Mal im Rennen gefahren ist – 2018 auf der 17. Etappe. Mit seiner Leistung an diesem recht neuen Anstieg in den Pyrenäen festigte „G.“ seine Gesamtführung bei der Tour, die er letztendlich auch gewann.
Alpecin Cycling veröffentlicht Teile des lesenswerten Kapitels über den Anstieg – mit freundlicher Genehmigung des Covadonga Verlages, in dem das Buch auf Deutsch erschienen ist.
Auszug aus dem Buch „Radsportberge und wie ich sie sah“ von Geraint Thomas
„Nicht so berühmt, der Col du Portet. Würde man die Leute auffordern, ihn auf einer Karte zu zeigen, müssten die meisten wohl passen. Alpen? Pyrenäen? Ganz bestimmt Frankreich? Man weiß nicht mal genau, wie er richtig heißt. Ist es der Col du oder der Col de? Sagt man Portee oder Portett? Eins kann ich ganz klar sagen: Er war der härteste Anstieg von allen bei der Tour de France 2018. Er ist der härteste Anstieg, den ich je bei einer Tour de France gefahren bin seit meinem Debüt 2007.
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Der Col du Portet ist ein alpiner Anstieg in den Pyenäen
Du kommst in die Pyrenäen – dort befindest du dich nämlich – und die Anstiege sind generell steiler, kürzer und von rauerem Belag als ihre Gegenstücke in den Alpen. Der einzige richtig lange ist der Tourmalet. Hier unten im von den Atlantikfronten mit reichlich Regen gesegneten, im Sommer dampfgegarten Südwesten mangelt es nicht an Wäldern und Kehren und Abwechslung.
Der Portet wirkt, als wäre er am falschen Ort. 16 Kilometer lang, eine durchschnittliche Steigung von deutlich über 8 %, fast zehn Kilometer davon mit mehr als 10 %. Weithin offen und exponiert, fast durchgängig. Er bringt dich von der Talsohle in der kleinen Ortschaft Saint-Lary-Soulon bis hinauf in 2.215 Meter Höhe – 333 Meter höher als der Ventoux.
Ein alpiner Anstieg in den Pyrenäen; eine schweizerisch anmutende Hochgebirgsankunft im Baskenland. Und ein Profil wie gemalt für Kolumbianer, mit dieser Steilheit, dieser Länge, dieser Höhe. Es ist der reine Wahnsinn, wie man es auch betrachtet.
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Es gibt kein vorsichtiges Herantasten an den Portet. Es gibt keinen warmen Händedruck und keinen höflichen Austausch von Nettigkeiten. Er packt dich einfach an der Gurgel und fängt an, dich zu vermöbeln: 10 % Steigung auf dem ersten Kilometer, 10 % auf dem zweiten. Dann flacht es dramatisch ab und die Steigung purzelt im Sinkflug auf bloße 9,8 %. Zum Wohl.
Du klammerst dich an die Felswand zu deiner Rechten und schaust nach links in einen gähnenden Abgrund, der sich bis hinab zu den hübschen Häuschen zieht, die sich unten in der kleinen Ortschaft im Tal um den Fluss sammeln. Und so bleibt es eine Ewigkeit, Pedaltritt um schweren Pedaltritt, bis geradewegs hinauf in die Wolken. Die meisten Anstiege sind hinterhältige Schweinehunde.
Sie verbergen, was dir bevorsteht, verstecken es hinter Kurven oder in Wäldern. Nicht der Portet. Von der Talsohle an siehst du alles vor dir ausgebreitet. Okay, ihr Sportskanonen, nehmt das.
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Auf der anderen Seite ist er wie zwei Anstiege in einem. Du bringst den ersten hinter dich, die acht Kilometer, auf denen die Straße geradewegs in diesem unnachgiebigen Winkel hinaufführt.
Dann kommen die Kehren und die Höhe macht sich bemerkbar und die zweite Hälfte zeigt ihre grausame Fratze. Du siehst über dir die irrsinnigen Spitzkehren, als hätte man angefangen, die Straße zu bauen, und dann eingesehen, dass der Versuch aussichtslos ist, einen solchen Hang hinaufzukommen, und mit panischen Schlangenlinien weitergemacht. Es gibt keine Bäume. Es gibt kaum einen Busch. Nur kahler Fels und bleiches Gras. Hin und wieder eine Kuh oder ein Schaf, verdutzt darüber, dass nach all den Jahrhunderten Menschen auf Rädern hier heraufkommen.
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Col du Portet – „als würdest Du den Mond hinauffahren“
Es ist trostlos dort oben. Nicht ganz so trostlos wie am Ventoux, obwohl in gewisser Weise fast noch schlimmer, denn der Ventoux ist einfach ein Freak, wie er so ganz allein mitten in der Provence hockt mit seiner Geröllwüste, die du in der Art nirgendwo sonst findest. Dem Gipfel des Portet fehlt diese Erhabenheit. Dort gibt es nichts als bleiches Gras und Wind und Himmel. Im Anstieg von Vilaflor auf Teneriffa kannst du schnell mal vergessen, dass du dich in 2.100 Metern Höhe befindest, weil du in den Bäumen bist. Oben auf dem Portet ist nichts. Es kommt dir vor, als würdest du zum Mond hinauffahren.
Die Höhe. Es ist, als würde jemand auf deiner Brust sitzen. Du kannst den Sauerstoff nicht aufnehmen, nach dem deine Muskeln schreien. Es ist, als würdest du am Fuß des Anstiegs durch eine leere Klopapierrolle atmen und am Gipfel durch einen Strohhalm. Es ist wie eine umgekehrte Geburt: Je mehr du dich verausgabst, desto mehr schließt sich alles. Deswegen fährst du am Ende mit sperrangelweit geöffnetem Mund, wie ein Wal, der Krill einsaugt.
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Die Premiere des Col du Portet als Tour-Berg im Jahr 2018
So geschehen 2018. Es war ein seltsamer Tag, diese 17. Etappe, der irrsinnige, 65 Kilometer kurze Ritt ab Bagneres-de-Luchon, der zeitversetzte Start in Gruppen, der so ziemlich das Idiotischste war, was wir den ganzen Sommer gemacht haben. Nico Roche schickte mir an dem Morgen eine kurze Sprachnachricht. G, das wird schlimm, hebe dir etwas für die zweite Hälfte auf. Mach dir keinen Kopf wegen des Schotters, das ist nichts, womit du nicht umgehen könntest.
Es war der Tag, an dem Froomey erneut nicht gut drauf war, uns aber trotzdem anwies, Tempo zu machen, da Tom Dumoulin Schwierigkeiten zu haben schien. Aber am Portet zockst du nicht.
Die Höhe potenziert jede kleine Belastung, die du einstreust. Falls du schon müde bist, bedeutet der Sauerstoffmangel, dass es noch mehr wehtun wird. Und auch wenn es grausam klingt, gab es mir einen gewaltigen moralischen Schub, als Froomey über den Teamfunk vermeldete, sich nicht stark zu fühlen. Ich nehme an, das ist eine ganz natürliche Reaktion. Glaubst du, es würde dir anders ergehen, wenn du feststellst, dass einer der besten Rundfahrer aller Zeiten Probleme hat, du selbst dich aber gut fühlst?
Auf dem Papier ist der Portet ein Anstieg für reine Kletterer. Nairo Quintana und Dan Martin hatten wir ziehen lassen, keiner der beiden stellte im Gesamtklassement eine Gefahr dar. Aber in der zweiten Hälfte der dritten Tourwoche herrschen wegen der akkumulierten Erschöpfung in den Beinen andere Gesetze. Wer auch immer zu diesem Zeitpunkt der stärkste Fahrer im Rennen ist, ist auch an den härtesten Anstiegen im Vorteil. Auf den letzten Kilometern kam ich den beiden immer näher und insgeheim dachte ich, dass ich sie, wenn es nötig gewesen wäre, hätte einholen und die Etappe gewinnen können.“
Steckbrief des Buches „Radsportberge und wie ich sie sah“
Titel: Radsportberge und wie ich sie sah
Autor: Geraint Thomas
Verlag: Covadonga
Erscheinungsjahr: 2021
ISBN 978-3-95726-060-4
Umfang: 256 Seiten
Preis: 14,80 Euro
Zu bestellen direkt über den Shop des Covadonga-Verlages oder über den Buchhändler vor Ort.
Foto: mrpinko/Stefan Rachow