Paris-Roubaix: Radprofis über ihr „erstes Mal“ in der Hölle des Nordens
Paris–Roubaix ist für die meisten Radprofis ein sehr sehr spezielles Rennen. Hier erklären sie, warum es einen so hohen Stellenwert besitzt und wie es ihnen bei ihrer allerersten Teilnahme ergangen ist. Mit Silvan Dillier, Jonas Rickaert und Jasper Philipsen sind auch drei Fahrer fürs Team Alpecin-Fenix am Sonntag wieder am Start, die über Premierenerfahrung hier berichten. Genauso wie Michel Cornelisse, der als Sportlicher Leiter im Begleitfahrzeug des Teams, die taktischen Geschicke leitet.
Silvan Dillier (BMC Racing Team) im Jahr 2014
DNF (did not finish)
„Meine erste Teilnahme bei Paris–Roubaix 2014 ist nicht wirklich eine Erfolgsgeschichte. Nach rund hundert Kilometern bin ich vor einem der ersten Kopfsteinpflasterabschnitte in einer Kurve gestürzt. Glücklicherweise war gleich ein Mechaniker unseres Teams zur Stelle. Im Nachhinein stellte sich das allerdings mehr als Unglück heraus.
Denn das Begleitfahrzeug im Rennen ist dann an mir vorbeigefahren, da sie gesehen haben, dass sich jemand um mich kümmert. Nachdem ich mit dem Mechaniker zusammen mein Rad gecheckt habe, bin ich wieder in den Sattel und losgefahren. Kaum war ich auf dem nächsten Pave-Stück knallt mir das Schaltwerk ins Laufrad und reißt ab. Denn beim Sturz hatte sich das Schaltwerk verbogen – was wir beide unglücklicherweise übersehen hatten. Die Schläge der Kopfsteinpflasterfahrt haben dann „den Rest erledigt“.
Da sich unser Begleitfahrzeug mit meinem Ersatzrad aber viel weiter vorne im Rennen befand, habe ich mich nur fünf Minuten später im Besenwagen wiedergefunden, der mich dann direkt ins Ziel chauffierte.
Nichtsdestotrotz kann ich mittlerweile mit besseren Erinnerungen auf Paris-Roubaix zurückschauen (Silvan Dillier wurde bei seiner nächsten Teilnahme im Jahr 2018 Zweiter, Anmerk. der Redaktion).“
Tony Martin ( Etixx – Quick Step) im Jahr 2016
76. Platz
„Es war für mich eine große Ehre, überhaupt dort am Start zu stehen. Respekt hatte ich vor diesem Rennen schon. Es war aber auch eindrucksvoll, die gesamte Atmosphäre dort einmal live zu erleben, da ich Roubaix bis zu diesem Zeitpunkt nur aus dem Fernsehen kannte. Es war schon ein ganz besonderes Erlebnis, nicht nur das Rennen, sondern auch die ganze Vorbereitung mit der gesamten Etixx-Quickstep-Crew und natürlich mit Tom Boonen. Es hat alles sehr viel Spaß gemacht und der gesamte Rennverlauf war natürlich auch aus meiner Sicht gigantisch. Mit einer kleinen Gruppe die Spitze zu bilden bei solch einem Rennen, war schon einzigartig.
Das Finale war bei meiner ersten Teilnahme noch nicht das Wichtigste. Deswegen war ich auch froh, dass ich meine Arbeit für Tom Boonen (wurde am Ende Zweiter, Anmerk. der Redaktion) in Ruhe erledigen konnte.“
Jonas Rickaert (Topsport Vlaanderen – Baloise) im Jahr 2016
DNF (did not finish)
„Paris-Roubaix ist meiner Meinung nach der schönste Klassiker. Es ist ein Rennen, bei dem man immer versuchen muss, es zu beenden – was mir leider noch nicht gelungen ist. Das Rennen wird als die Hölle des Nordens bezeichnet, nicht ohne Grund. Es ist tatsächlich eine Hölle für den ganzen Körper. Der beste Beweis dafür sind die Hände nach dem Rennen. Es ist das härteste Rennen, das es gibt, sowohl physisch als auch psychisch. Wenn man den ganzen Tag über kein Pech hat, kann man es im Finale weit bringen. Ich hoffe, dass ich eines Tages die Trophäe aus Kopfsteinpflaster in die Höhe stemmen kann.
Von meiner ersten Teilnahme 2016 weiß ich noch, dass ich an diesem Tag wirklich durch die Hölle gegangen bin. Ich musste vor dem ersten Kopfsteinpflasterabschnitt das Rad wechseln. Ich kam zurück und fuhr gut in den Sektor hinein, aber nach 200 Metern stürzten sie vor mir, und ich konnte nicht verhindern, dass ich auch zu Boden ging. Ich hatte starke Schmerzen in den Rippen, aber ich stieg wieder aufs Rad, weil ich unbedingt das Velodrom erreichen wollte. In einem bestimmten Moment war ich allein und sah meine Mutter am Straßenrand. Ich stieg in ihr Auto, und wir fuhren zum Ziel und dann ins belgische Krankenhaus, wo die Untersuchungen ergaben, dass ich mir ein paar Rippen gebrochen hatte. Das ist es, woran ich mich von diesem Tag erinnere. Eine Menge Pech.
Im nächsten Jahr, bei meiner zweiten Teilnahme, war es mehr oder weniger die gleiche Story. Ich musste wieder das Rad wechseln und fand mich in einer Fünfergruppe wieder. Nur 40 Kilometer vor dem Ziel passierten wir eine Verpflegungszone, wo die anderen vier Fahrer vom Rad stiegen, als sie ihre Betreuer sahen, und das Rennen aufgaben. Ich war also wieder einmal allein, aber ich wollte unbedingt ins Ziel kommen.
Leider kam irgendwann der Hunger, und ich hatte große Mühe, weiterzufahren. Gerade als ich ins Velodrom einfahren wollte, schlossen sie die Tore vor mir. Ich habe in meiner gesamten Karriere noch nie so viel geweint wie an diesem Tag. Ich denke, wenn man Paris-Roubaix beenden will, sollte man den Zeitschnitt vergessen. Ich habe mich so sehr bemüht und in der Hölle des Nordens so hart gekämpft, um an diesem Tag die Ziellinie zu erreichen, dass es ein schwerer Schlag war, als sie die Tore vor mir schlossen.“
Michel Cornelisse (Superconfex-Yoko -Opel) im Jahr 1988
Platz 68
„Auch wenn es sich komisch anhört, ich kann mich noch ziemlich genau an das gesamte Rennen erinnern. Es war mein erstes Profijahr und demnach auch mein erstes Paris-Roubaix. Ich war in der Ausreißergruppe des Tages und diese hat es auch bis zur Ziellinie geschafft. Ich hatte allerdings einen Platten nach dem Wald von Arenberg und unser sportlicher Leiter war – wie es üblich ist – bei den Leadern unserer Mannschaft. Und Edwig Van Hooydonk zählte zu den Favoriten auf den Sieg. Daher hat es einige Zeit gedauert, bis ich mein Laufrad wechseln konnte. Ich schaffte es nicht mehr zurück in die Gruppe, welche bis Roubaix durchkam.
Wenn ich diesen Sonntag im Mannschaftwagen aufs Pflaster zurückkehre, werde ich mich an alles erinnern. Das ist immer ein sehr besonderes Gefühl. Ich hatte das Rennen damals beendet. Ich glaube ich bin Paris-Roubaix sechs Mal gefahren und habe es nur einmal nicht bis zum Ziel geschafft. Mein erstes Roubaix war nicht meine schlechteste Leistung. Ich war damals Neo-Profi und wollte sehen, wie ich mit den großen Fahrern des Pelotons mithalten kann.“
Maurizio Fondriest (Ecoflam) im Jahr 1987
DNF (did not finish)
„Gleich in meinem ersten Jahr als Neo-Profi musste oder vielmehr durfte ich in die Hölle des Nordens. Ich wusste nicht so recht, was mich erwartet. Lediglich durch ein paar Rennen in Belgien mit dem italienischen Nationalteam wusste ich über die Intensität eines Kopfsteinpflaster-Rennens. Tatsächlich fuhren wir dort die letzten Kilometer von Paris-Roubaix.
Als ich an meiner ersten Teilnahme am Start stand, war ich sehr aufgeregt. Ich hatte mir auf jeden Fall zum Ziel gesetzt, l das Rennen zu finishen. Nach 220 Kilometern war mein Traum aber vorüber. Ich hatte einen Sturz und musste in den Besenwage einsteigen. Ich war sehr geknickt.
Ein Jahr später – in meiner zweiten Profisaison – stand ich wieder am Start. Ein Jahr später – in meiner zweiten Profisaison – stand ich wieder am Start. Ein paar Wochen zuvor wurde ich Zweiter bei Mailand-San Remo und trat an, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Ich fuhr das ganze Rennen über vorne mit und wurde am Ende siebzehnter. Es war schlicht überwältigend.“
Jasper Philippsen (UAE Team Emirates) im Jahr 2019
DNF (did not finish)
„Paris-Roubaix ist für jeden Rennfahrer etwas Besonderes. Die erste Teilnahme ist etwas ganz Besonderes. Ich habe immer noch die großen Menschenmassen an der Strecke und speziell innerhalb der Pavés im Kopf. Das ist eine atemberaubende Stimmung. Vor meinem ersten Kopfsteinpflaster Teilstück war ich sichtlich nervös. Kurze Zeit später wusste ich warum. Die Pace ist einfach nur hart, es ist ein Kampf um Positionen, damit du nicht die ganz schlechten Stellen erwischt.
Gleiches galt der Ausreißergruppe. Es wird mit sehr hoher Intensität gefahren, dass es schwer für eine Gruppe war, sich überhaupt zu bilden.Am Ende meines ersten und bislang einzigen Roubaix musste ich vor dem Ziel aufgeben. Ich hatte es nicht bis ins Velodrom geschafft. Das möchte ich dieses Jahr unbedingt nachholen.“
Jörg Ludewig (Saeco) im Jahr 2000
OTL (out of time limit)
„Paris-Roubaix 2000 war mein ein erstes, wirklich großes Fahrradrennen für meinen Traum-Rennstall Saeco zu dem ich zur Saison 2000 wechselte. 1999 noch im Gerolsteiner-Trikot unterwegs war ich doch unglaublich aufgeregt und wollte das Ding bei sehr guten Bedingungen und Temperaturen über 10 Grad sowie trockener Straße unbedingt zu Ende fahren, was mir zumindest – aber mit fast 33 Minuten Rückstand und demnach außerhalb des Zeitlimits – dann auch gelungen war.
Im Ziel dann erntete ich Kopfschütteln, schallendes Gelächter und völliges Unverständnis meiner seit Jahren etablierten Team Kollegen von Saeco, die auf mich warten mussten und in großer Eile waren, um per Shuttle-Bus noch pünktlich ihre Flieger nach Hause zu bekommen…
Ich war völlig perplex, dachte erst, man würde im Spaß mit mir schimpfen. Abe nein – das war vollkommen ernst gemeint. So treffen dann Welten und unterschiedliche Anschauungen aufeinander.
Am Ende war ich mausetot, aber glücklich, hatte vier oder fünf Reifendefekte – drei davon selbst verschuldet, weil ich „völlig breit im Delirium“ wirklich mit Anlauf und Kopfüber in jedes Schlagloch gefahren bin, was sich vor mir aufgetan hatte!
20 Kilometer vorm Ziel kam dann endgültig der Mann mit dem Hammer und die absolute Hungermacke. „Stuey“ (Stuart O’Grady, Anmerk. der Redaktion) hat mich dann noch aus seiner Tasche verpflegt. Ich glaube es war ein völlig durchweichter und schweißgetränkter verstaubter Reiskuchen von morgens 7:00 Uhr, der zur leckersten Mahlzeit wurde, die ich mir in dem Moment vorstellen konnte.
Leider hat es trotz einer magischen Anziehungskraft und Hassliebe für mich nie zu einem tollen Ergebnis gereicht; im Jahr 2003 konnte ich aber wenigstens als „Relais-Station“ fungieren und dem späteren Zweitplatzierten Dario Pieri aus meinem Team meine beiden Laufräder spendieren, als er neben mir fahrend vorn und hinten auf Pflaster Durchschlag hatte und ein Teamauto sicher vier bis fünf Minuten gebraucht hätte – das war mein persönlicher, größter Moment in der „Hölle des Nordens“.
Marco Haller (Katusha) im Jahr 2012
OTL (out of time limit)
„Ich kann mich noch sehr gut an mein erstes Paris–Roubaix erinnern. Es war in meinem ersten Jahr als Profi bei Katusha. Ich war auch gar nicht dafür vorgesehen und hätte eigentlich zum Circuit de la Sarthe fahren sollen, soweit ich mich daran erinnern kann. Ich habe kurz vorher meinem Sportdirektor noch eine Nachricht geschrieben, ob er nicht an mich denken kann, falls aufgrund von Verletzung oder Krankheit eines etatmäßigen Fahrers vielleicht noch ein Platz frei werden sollte.
Dann hat es wirklich noch geklappt, dass ich einen Platz im Team bekommen habe. So schnell ging mein größter Traum in Erfüllung.
Ich war schon sehr nervös und es hat schon ein wenig gedauert, bis ich mich ins zweite Pedal eingeklickt habe. Man hoppelt ja auch auf Kopfsteinpflaster heraus aus dem Startbereich in Compiegne. Das ist dann keine einfache Angelegenheit, vor allem, wenn man dann noch ein wenig aufgeregt ist.
Das Rennen selbst verlief für mich dann eher bescheiden. Ich bin relativ früh gestürzt, und habe mich nichtsdestotrotz – wenn auch abgeschlagen – ins Ziel gekämpft. Aber ich hatte leider das Pech, dass es eines der schnellsten Austragungen aller Zeiten war und das Stundenmittel sehr hoch war. Ich durfte zwar noch auf die Radrennbahn und über die Ziellinie fahren, war aber eine Minute zu langsam und bin aus dem Zeitlimit gefallen. So bekam ich keine offizielle Wertung, was meines Erachtens ein bisschen bescheuert ist. Denn wenn ich schon einmal dort bin, dann können sie mich auch werten. Es muss ja kein Zeitlimit geben, weil ich am Folgetag die nächste Etappe fahren muss – wie bei einer Rundfahrt.
Auf jeden Fall hängt das Trikot seitdem ungewaschen zu Hause in einer Glasvitrine mit Startnummer und allem Drum und Dran.“
Stephan Schreck (Team Telekom) im Jahr 2000
DNF (did not finish)
„Mein erstes Roubaix war leider viel schneller zu Ende, als ich es mir erhofft hatte. Ein Jahr zuvor war ich das Espoirs-, also Nachwuchsrennen in der Hölle des Nordens bereits gefahren: – nicht ganz glücklich und daher wollte ich es besser machen. Es war zwar mein erstes Jahr als Profi, aber Walter Godefroot nominierte mich bereits für solch einen Klassiker.
Auf den ersten Pflasterabschnitt bin ich leider zu weit hinten reingefahren. Gerade als ich mich wieder vorgekämpft hatte, brüllte mich mein Teamkollege „Schaffi“ (Jan Schaffrath, Anmerk. d. Redaktion) vom Rad. Er hatte Defekt und ich war nun mal unser achter Fahrer – sprich ich musste ihm mein heiles Vorderrad überlassen. Es dauerte dann einige Zeit, bis ich Ersatz aus unserem Materialwagen bekam. Kaum hatte ich mich wieder den Anschluss ans Peloton geschafft, ereilte mich selbst ein Platten. Dieses Mal hielt aber niemand mehr an, sondern unser Mechaniker reichte mir das Laufrad einfach raus aus dem Begleitfahrzeug. Selbst ist der Schrauber.
Ich war dann abgehängt und stieg maßlos enttäuscht nach rund 160 Kilometern in unseren Camper, der am Streckenrand stand. Zum Glück war da Otto Wiedemann von unserm Sponsor Adidas. Ein glühender Radsportfan und feiner Mensch. Er heiterte mich ein wenig auf und wir fuhren gemeinsam ins Ziel in Roubaix. Wie viele andere Sportler verbindet mich mit der Königin der Klassiker eine Hass-Liebe.“
Video: Stephan Schreck bei Paris – Roubaix 2000
Fotos: Photonews.be, Stefan Rachow/mr. Pinko, Benedict Campbell