Jan Ullrich-Doku auf Amazon Prime
Die Dokumentation „Jan Ullrich – Der Gejagte“ gibt es seit Ende November 2023 auf Amazon Prime Video. Die vierteilige Doku befasst sich mit dem Aufstieg und Fall des einzigen deutschen Tour de-France-Siegers. Neben Ullrich selbst kommen auch seine Familie, Freunde, ehemalige Profis sowie Journalisten zu Wort.
„Er hat gelernt, zu leiden“, sagt TV-Kommentator Phil Liggett als das erste Mal bei dieser Doku Jan Ullrich im Gelben Trikot gezeigt wird. Es war bei der Tour de France 1997 und dieser Leidensweg hörte scheinbar nie auf. Anfangs nur physisch, später auch psychisch.
Wie auch? „Ich habe das nie verkraftet, 2006 aus dem Rennen genommen worden zu sein“, sagt der Protagonist der Amazon Prime Doku schonungslos ehrlich.
Ullrich wurde von seiner Familie, die der Radsport war, verlassen. So fühlte er seine Suspendierung von der Tour de France 2006 damals und wohl auch heute noch. Alle, die zuvor zu ihm gehalten hatten, haben ihn fallengelassen.
So komisch es klingen mag, aber auf die „schiefe Bahn“ geriet Ullrich erst nachdem er den Profi-Radsport verlassen hat. Und zwar aus freien Stücken, wenngleich auch schlecht beraten. Er hatte schlichtweg keine Aufgabe mehr. Denn er hatte nur gelernt, Rad zu fahren. Das zeigt besonders der zweite Teil.
Im Nachhinein wirkt dieser Rückzug wie ein Fehler, vergleicht man es mit anderen Profis, die beispielsweise in die Operation Puerto um den spanischen Mediziner Eufemiano Fuentes verwickelt waren. Einige haben danach die größten Siege in ihrer Karriere eingefahren wie Ivan Basso mit dem Giro d‘Italia Sieg 2010 oder Alejandro Valverde mit Vuelta-Sieg 2009 und seinem WM-Titel 2018.
Die Dokumentation vermittelt den Eindruck, dass Ulrich der Einzige war, der für Doping im Radsport in den 1990er und Nuller-Jahren überhart hat einstehen müssen. Und wenn man zurückblickt, dann ist das tatsächlich so. Zugegeben er agierte nicht immer geschickt, hatte nicht immer die besten Berater, aber ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wegen Betrugs am Sponsor findet auch Spiegel-Sportressortleiter Udo Ludwig „gaga“. Er ordnet genauso wie Doping-Experte Hajo Seppelt die Dinge ein – ganz sachlich.
Jan Ullrich entschuldigt sich
Dass Ulrich Doping zugibt, ist mehr eine Randnotiz. Denn es muss auch vorher schon jedem klar gewesen sein. Zumal er bereits 2015 Blutdoping in einem Interview mit dem Magazin Focus zugegeben hatte. Und zwischen den Zeilen wird auch klar, dass er darüber nichts mehr sagen wird. Einzig, was vielleicht den einen oder anderen überraschen wird, dass Doping Teil seiner Profi-Karriere von Beginn an war. Neu dagegen ist, dass er sich bei seinen Fans und den „sauberen“ Fahrern seiner Zeit entschuldigt.
Spannend in dieser vierteiligen Doku sind die Gespräche mit seinem Bruder Stefan, seiner Mutter Marianne Kaatz und seiner Ex-Frau Sara Steinhauser, die den „Verfall“ des einstige Radhelden hautnah erlebten und auch selbst Konsequenzen tragen mussten und noch immer müssen. Gerade im letzten Teil der Doku erklärt Sara Steinhauser, was das alles mit ihr gemacht hat.
Auch die Einordnung von Lance Armstrong hilft nochmal, um zu verdeutlichen in was für einem Dilemma „Ulle“ als erster deutscher Tour-Sieger steckte – und was für ein öffentlicher Druck auf ihm lastete. Extreme Höhen wie Tiefen – etwas das Armstrong, wie er sagt, nicht erlebt hat, da in den USA dem Radsport keine solche mediale Aufmerksamkeit geschenkt wurde.
Immer wieder wird auch die Rolle des Sponsors Telekom beleuchtet, sei es beim Doping, sei es bei diesem riesigen Erwartungsdruck, der auf dem Team nach 1995 lastete. Und auch die Arbeit der Medien wird durchaus kritisch hinterfragt. So ZDF-Sportjournalistin Claudia Neumann, dass die Medien ein Recht drauf abgeleitet hätten, dass er sich outen müsse. Und dann Teile der Öffentlichkeit in diesen Kanon miteinstimmten.
Jan Ullrich – ein Mann der Extreme. So schildert ihn auch Armstrongs langjähriger Team-Chef Johan Bruyneel. „Wenn er etwas will, dann gibt er Vollgas. Da will er wirklich alles geben. Wenn etwas schiefläuft, dann läuft es richtig schief.“
Das zeigt auch die vierte und letzte Folge, wo seine Abstürze gezeigt werden – und auch der Weg Schritt für Schritt heraus aus dem Dilemma. Allerdings hat er für sich erst angefangen, mit der Vergangenheit aufzuräumen. Er hofft, befreiter in die Zukunft zu gehen. Die Doku und die Auseinandersetzung mit den vergangenen knapp 30 Jahren waren sicher ein wichtiger Schritt.
Trailer zu „Jan Ullrich – Der Gejagte“
Link zur Doku „Jan Ullrich – Der Gejagte“ auf Amazon Prime Video.