Interview mit Nils Politt: „Abteilung Attacke bei der Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix“
Team Katusha Alpecin-Radprofi Nils Politt ist „heiß“ auf die Frühjahrsklassiker. Im Interview mit Alpecin Cycling erklärt er, was ihn an diesen Rennen in Flandern so fasziniert und was er sich für die Flandern-Rundfahrt und für Paris-Roubaix ausrechnet.
Flandern oder Paris-Roubaix – welches ist Ihr Lieblingsrennen?
Ach, ich will mich da gar nicht festlegen. Ich mag alle Frühjahrsklassiker in Flandern, auch den E3 Preis, Omloop Het Nieuwsblad oder Dwars door Vlaanderen. Bei der Ronde und in Roubaix ist natürlich noch viel mehr Stimmung, aber ich mache da keine Unterschiede. Roubaix liegt mir sicher als Fahrertyp am besten. Bei dem Rennen bin ich ja auch im vergangenen Jahr erstmals in die Top Ten bei einem Klassiker gefahren.
Woher rührt diese Liebe zu den Frühjahrsklassikern?
Zum einen bin ich schon als Jugendlicher und in der U23-Klasse gerne diese Wettkämpfe gefahren und habe Belgien seitdem in mein Herz geschlossen. Die Stimmung ist hier einzigartig. Das Publikum kann dich mitreißen und versteht auch sehr viel von den Rennen und weiß über die Fahrer Bescheid. Zum anderen liegt mir die Art, wie hier gefahren wird und der Charakter der Rennen. Abteilung Attacke – heißt hier das Motto. Das sind echte Ausscheidungsrennen. Es ist immer ein kleiner Krieg – im positiven Sinne. Nicht umsonst sagt man ja, dass diese Rennen mit dem Messer zwischen den Zähnen gefahren werden. Nach jeder Helling, nach jedem Pflasterabschnitt, oftmals nach jeder Kurve, wenn der Wind ungünstig steht, verkleinert sich das Feld. Ich liebe es einfach, auf den engen Straßen und dem Pflaster angriffslustig zu fahren. Eine Flachetappe bei der Tour de France ist dagegen langweilig, da man bis 20 Kilometer vor Ziel im Peloton vor sich hin zockelt.
Sie mögen es also, zu leiden?
Sozusagen; es gibt mir einen Kick. Ich weiß ja, wofür ich es mache. Ich mag es, ein hohes Tempo zu bolzen, zwei Stunden lang Anschlag zu fahren und an meine Leistungsgrenzen zu gehen. Mein Körper hat mir diese Fahrweise beziehungsweise den Stil auch vorgegeben. Immer noch einen draufsetzen und auch nach sechs Stunden im Sattel noch einen Sprint raushauen.
„Abteilung Attacke“, das haben Sie beim E3-Preis, der „kleinen Ronde“ vor ein paar Tagen bewiesen, als Sie Sechster geworden sind?
Ja, der Moment war günstig, als ich attackiert habe. So konnte ich mich lange vorne halten. Was mich aber sehr optimistisch gestimmt hat, ist, dass die Form passt. Ich bin gut aus Paris-Nizza herausgekommen, die 300 Kilometer bei Mailand-Sanremo haben mir auch nochmal Schub gegeben. Wenn du nach Mailand-Sanremo noch keine Form hast, dann kannst du dir diese bis Roubaix auch nicht mehr aufbauen.
Hand aufs Herz, welches der zwei Monumente liegt Ihnen mehr?
Ich glaube, um bei der Ronde ganz vorne zu sein, brauche ich noch das eine oder andere Jahre für den nächsten Step. Ich merke ja von Jahr zu Jahr, dass ich besser werde. Aber bei der Flandern-Rundfahrt fehlen mir da sicher noch ein paar Prozent, um bis zum Schluss jede Attacke mitgehen zu können. Bei dem Rennen zählen auch ganz einfach die Gesamtlebenskilometer und da habe ich als 25-Jähriger einfach noch weniger als ein 30-Jähriger. Aber: Ich baue von Jahr zu Jahr mehr Standgas auf, das stimmt mich zuversichtlich. Bei Paris-Roubaix dagegen, kann ich mit meiner Fahrweise den anderen dann auch schon wehtun.
Inwiefern?
Ich kann da dann einfach meinen Gang stehen lassen und wie beim Zeitfahren über längere Zeit hohe Wattwerte treten. Paris-Roubaix ist aus dieser Perspektive einfacher für mich, weil keine Berge drin sind. Zudem empfinde ich Paris-Roubaix schon als ein sehr spezielles Rennen. Bis zum Wald von Arenberg ist es sehr stressig. Danach ist, wenn man vorne mit dabei ist, alles offen. Dann kann ich auch beginnen, zu spielen.
Ihr Performance Manger Erik Zabel hat gesagt, Paris-Roubaix ist im Vergleich zur Flandern-Rundfahrt mehr ein Abenteuer als ein Radrennen, weil so viel passieren kann, was sich vorher nur schwer kalkulieren lässt.
Exakt. Man weiß nie, wo man am Ende landet. Im schlimmsten Fall im Krankenhaus. Mein ehemaliger Sportlicher Leiter Torsten Schmidt hat mal vor Paris-Roubaix gesagt, dass das ein komisches Gefühl für ihn ist. Er sitzt zwar im Auto und ihm kann nichts passieren, aber er schickt seine Krieger in eine Schlacht, deren Ausgang völlig ungewiss ist.
Gibt es Schlüsselstellen bei Paris-Roubaix, wo die Attacke lohnt?
Nein, man muss auf den neuralgischen Abschnitten gut in Position fahren, aber die Rennfahrer entscheiden selbst aus der Situation heraus. Die entscheidende Attacke kann auf dem Carrefour de l‘Abre gesetzt werden oder aber auch schon auf dem Sektor Mons-en-Pévèle rund 50 Kilometer vor dem Ziel. Das weiß man im Voraus nie so genau.
Sie sind der Leader Ihres Teams bei den zwei Monumenten. Wie fühlt es sich an?
Ehrlich gesagt fühle ich mich nicht als Leader. Wir haben bei den Rennen in Flandern eine starke Mannschaft am Start und wollen die Wettkämpfe generell offensiv fahren, dafür haben wir mit Marco Haller, Mads Würtz Schmidt, Jens Debusschere und Viacheslav Kuznetsov erstklassige Fahrer. Umso mehr Fahrer wir vorne haben, umso besser sind doch unsere taktischen Möglichkeiten. Und wenn einer sich stark genug fühlt, bei Kilometer 120 loszufahren, dann kann er einem Teamkollegen vielleicht noch im Finale helfen. Das habe ich vor einigen Jahren selbst so gemacht als Alexander Kristoff in Flandern unser Leader war. Ich bin ein großer Freund einer offensiven Fahrweise.
Wünschen Sie es sich bei Paris-Roubaix lieber matschig und schlammig oder trocken und staubig?
Trocken soll es sein. Bei Regen ist einfach die Sturzgefahr viel viel höher. Ich bin das mal in der U23 bei Regen gefahren. Das war ein Massaker. Die Gefahr, bei Matsch und Schlamm auf den Paves zu stürzen und sich schwer zu verletzen, ist dann riesengroß. Selbst wenn man selbst nicht betroffen ist, fühlt sich das gar nicht gut an.
Nun sind Frühjahrsklassiker auch immer eine Materialfrage. Mit was fahren Sie?
Ich fahre wie bei jedem Rennen mein Canyon Aeroad mit der elektronischen Schaltung von Sram und Scheibenbremsen. Sollte es in Flandern nass sein, werde ich sehr wahrscheinlich von den 25 Millimeter Continental-Reifen auf 28 Millimeter breite Reifen wechseln, die haben eine etwas weichere Mischung und besseren Grip auf Regen. Diese Reifen fahre ich auch in Roubaix.
Foto: Team Katusha Alpecin / Gettysport
Facebook
Twitter