Interview mit Mike Kluge zur Cyclocross-WM

01.02.2023

Mike Kluge gehört zu den erfolgreichsten deutschen Cyclocrossern. Drei Mal wurde der gebürtige Berliner Weltmeister im Cross: 1985 und 1987 bei den Amateuren sowie 1992 bei den Profis. Danach zählte „Mike the Bike“ zu den Pionieren im Mountainbikesport und gewann den Gesamtweltcup 1990. Als Trainer führte er Athleten zum Gewinn dreier WM-Titel. Im Interview mit Alpecin Cycling spricht Mike Kluge über das Duell zwischen Mathieu van der Poel und Wout van Aert bei der Cyclocross-WM in Hoogerheide, seinem WM-Triumpf sowie die Zukunft des Cyclocross.

Mike, Dir ist der Name van der Poel schon seit mehreren Jahrzehnten ein Begriff…

Ja. Adrie van der Poel, Mathieus Vater, war einer meiner härtesten Rivalen als ich Cyclocross-Rennen gefahren bin. 1992 als ich Weltmeister bei den Profis in Leeds wurde, war er der eigentliche Favorit auf den Titel.

Aber es kam dann anders…

Ja, ich wollte den Titel unbedingt und hatte in der Saison alles auf die Weltmeisterschaften ausgerichtet. Trotz eines Sturzes im Rennen konnte ich gewinnen und so ein erfolgreiches Comeback feiern.

Du warst davor schon zwei Mal Weltmeister bei den Amateuren – 1985 und 1987. Warum kam danach die Durststecke?

Na ja, ich bin ja Berliner – und da bietet einem das Nachtleben natürlich schon allerlei Ablenkungen. Und nach meinen beiden Regenbogentrikots habe ich dann mehr gefeiert als trainiert.

Wie hast Du es doch noch geschafft, die Kurve zu kriegen?

Animiert durch den Film Rocky Teil IV, in dem der Protagonist ja wieder zurückkehrt und sich nochmal komplett auf ein Ziel fokussiert. Dafür bin ich extra in den Schwarzwald gezogen, um nicht die Versuchungen der Großstadt vor Augen zu haben und habe sehr hart an mir gearbeitet.

Zurück zu van der Poel. Adrie wurde dann 1996 im Alter von 36 Jahren das erste und einzige Mal Cyclocross-Weltmeister der Profis. Sein Sohn Mathieu kämpft am Sonntag bereits um seinen fünften Titel. Was verbindet die beiden?

Neben der Physis natürlich und den technischen Skills, auch die Strategie mehrgleisig – also in verschiedenen Disziplinen – zu fahren. Auch Adrie ist damals auf der Straße gefahren und war erfolgreich, gewann eine Tour-Etappe und Klassiker. Er hat damals bewiesen, dass beide Disziplinen perfekt miteinander harmonieren – und hat das ja an seine Söhne weitergegeben.

Und wo liegt der Unterschied zwischen Adrie und Mathieu?

Als ich gegen Adrie gefahren bin, war er schon älter und gesettelter. Er war taktischer unterwegs als sein Sohn Mathieu heute – so macht es mir den Anschein. Und Mathieu hat natürlich nicht nur väterlicherseits (Anmerk. der Redaktion: Adries Vater war ebenfalls Rennfahrer), sondern auch mütterlicherseits über seinen Großvater Raymond Poulidor die perfekten genetischen Voraussetzungen.

Apropos Unterschiede – wo siehst Du diese zwischen Mathieu van der Poel und Wout van Aert?

Zuerst einmal finde ich, dass sie in Summe gleichstark sind – und eine Klasse für sich. Auch wenn Tom Pidcock bei den Weltmeisterschaften starten würde, hätte er, so glaube ich, keine Chance gegen die beiden. Von der Physis wirkt Mathieu etwas spritziger, Wout dagegen hat einen irren Motor und macht das über sein Drehmomemt wett. Technisch hat Wout aufgeholt, fährt aber etwas defensiver und verhaltener. Mathieu dagegen aggressiver. Aber genau diese Unterschiede machen die Rennen ja so spannend.

Was ich mir manchmal wünschen würde, ist, dass Matthieu nicht gleich in die Offensive geht. Er hat ja den Drang, sofort nach vorne zu stürmen. Taktisch wäre es vielleicht manchmal etwas schlauer, er würde an Position drei oder vier fahren und schauen, wie seine Gegner die Schlüsselstellen im Rennen nehmen. Wenn er vorne fährt, geht er natürlich nicht das Risiko ein, dass ein Fahrer vor ihm stürzt, ihn selbst so zu Fall bringt oder aufhält. Aber er kann sich natürlich den Gegner auch nicht so schön zurechtlegen, wie, wenn er hinter ihm fährt und ihn im geeigneten Moment überrumpelt beziehungsweise attackiert. Außerdem stehst Du, wenn Du führst, immer unter einem besonderen Druck. So habe ich das jedenfalls immer empfunden. Daher war es für mich beispielsweise besser, erst ab der Hälfte oder sogar dem letzten Drittel des Rennens zu attackieren und die Führung zu übernehmen. So habe ich es auch bei meinem Weltmeistertitel in Leeds gemacht. Da gab es immer einen Teil mit einer ansteigenden Straße, wo keiner die Führung übernehmen wollte und sich alle angeschaut haben. Im letzten Renndrittel habe ich dann von hinten kommend attackiert und bin drüber gezogen. Die anderen haben sich kurz angeguckt und das Momentum des Stillstands in meiner Gruppe habe ich sozusagen genutzt, um einen Vorsprung herauszufahren. Aber das ist natürlich alles auch Typsache und der Erfolg gibt Mathieu auch recht. Aber das wäre vielleicht noch eines der wenigen Dinge, an denen er arbeiten könnte.

Kommt der Kurs in Hoogerheide einem von beiden entgegen?

Nein – da sehe ich keinerlei Unterschiede. Einzig, dass Mathieu noch die Niederlage von 2014 bei der U23-Welzmeisterschaften im Hinterkopf hat. So etwa vergisst man nie so ganz und das kann einem Druck machen, selbst wenn er seitdem auf dem Kurs zig-mal gewonnen hat.

Du bist selbst auch auf dem Kurs in Hoogerheide gefahren?

Ja, da war er noch etwas verändert im Vergleich zu heute. Wenn es trocken bleibt beziehungsweise nicht sonderlich viel regnet, dann ist es ein schneller Kurs, da die Strecke viel über die Wiese verläuft. Ist es nass, dann verändert sich der Charakter, da sich in den Senken das Regenwasser sammelt und dann mehr durch den Matsch gelaufen als gefahren wird. Auch die Passagen, die an den Wällen entlanglaufen, können bei Nässe sehr sehr rutschig werden und den einen oder anderen aus der Spur werfen. Aber das eröffnet natürlich auch technisch starken Fahrern Chancen. Ich denke da an Kevin Kuhn aus der Schweiz, der ausgezeichnete fahrtechnische Skills besitzt und diese dann für sich nutzen kann, um vielleicht um eine Medaille zu kämpfen.

Könntest Du Dir vorstellen, dass die Weltmeisterschaft bei den Männern erst im Zielsprint zwischen Mathieu van der Poel und Wout van Aert entschieden wird?

Durchaus. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich. Die beiden sind trotz ihrer Unterschiede, wenn man alle Faktoren zusammenrechnet, dann doch so nah beieinander.

Cyclocross erfährt ja in den vergangenen Monaten eine unglaubliche Popularität? Worin liegt das Deiner Meinung nach?

Da muss man differenzieren. In Benelux war das schon immer so. Aber in den anderen Nationen haben die drei Großen – Mathieu van der Poel, Wout van Aert und Tom Pidcock – dafür gesorgt, dass sich jetzt auch der Radsportfan, der sich bislang nur für die Straßenrennen interessiert hat, plötzlich Cyclocross ansieht. Das war in den Jahren zuvor nicht so, dass die Protagonisten im Cross prestigeträchtige Tour-de-France-Etappen gewinnen, sich das Gelbe Trikot holen oder Radsport-Monumente wie die Flandern-Rundfahrt gewinnen. Und sie beweisen ja auch, dass es mit einem cleveren Saisonaufbau möglich ist, in zwei und mehr Disziplinen erfolgreich zu sein.

Das ist ein unglaubliches Momentum, das der Crosssport gerade erfährt – und das muss er auch nutzen.

Auch außerhalb von Benelux?

Ja. Da könnten wir auch in Deutschland von profitieren. Nicht von jetzt auf gleich. Aber mit einem Programm über drei bis fünf Jahre, an dessen Ende eine Weltmeisterschaft in Deutschland steht, wäre es möglich, auch wieder deutsche Fahrer in die Weltspitze zu bringen.

Wie müsste das aussehen?

Beispielsweise mit einer Rennserie in Deutschland, die auch angemessene Preisgelder ausschüttet, damit internationale Fahrer antreten, und so wiederum für die Medien interessant sind –  gepaart mit einer guten Nachwuchsarbeit. Denn Cyclocross ist eine so tolle Sportart, wo Du zum einen natürlich in Sachen Fahrtechnik unheimlich viel lernst, was Du auch auf der Straße anwenden kannst. Zum anderen ist es ein sehr familiärer und sozialer Sport, bei dem man sich gegenseitig hilft, unterstützt und respektierst. Das zeigen Wout van Aert und Mathieu van der Poel doch am allerbesten, die seit Kindertagen gegeneinander fahren. Und es gewinnt immer der Beste. Anders als auf der Straße, wo Du schon von Deinem Team profitierst oder auch je nach Taktik am Erfolg gehindert wirst.

Fotos: soq.media, Roth-Foto