Interview Christina Schweinberger: „Die Tour de France der Frauen war der Wahnsinn“
Christina Schweinberger hat an der allerersten Tour de France Femmes avec Zwift teilgenommen. Die Österreicherin aus dem Team Plantur-Pura berichtet im Interview mit Alpecin Cycling, was das Besondere und Einzigartige für sie bei der Frankreich-Rundfahrt der Frauen war.
Wie hast Du die Tour de France der Frauen erlebt?
Ich habe mir bereits am ersten Tag gedacht, so etwas habe ich noch nie erlebt. Seitdem verstehe ich den Hype um die Tour der Männer noch viel mehr, wenn du da als Sportlerin selbst einmal dabei bist. Der erste Tag auf den Champs-Élysées war genauso speziell und großartig wie der letzte Tag hoch zur La Super Planche des Belles Filles. Jede Etappe hatte etwas ganz Besonderes. Zuschauer, Atmosphäre, Stimmung im Rennen wie auch vor und nach der Etappe im Team waren einfach der Wahnsinn. Das werde ich nie wieder vergessen – und das bewegt ich mich ein paar Tage später immer noch.
Du hast so etwas noch nie erlebt?
Ich bin im vergangenen Jahr bei den Weltmeisterschaften in Belgien gestartet, und das war auch schon speziell – im positiven Sinne. Aber das bei der Tour de France Femmes war noch mal eine Stufe höher und etwas ganz anderes. Ich habe es im Fahrerfeld gespürt. Jede einzelne Person wollte das Beste aus diesen acht Tagen herausholen; aus sich und aus der Tour natürlich. Bei anderen Etappenrennen gibt es auch mal einen Tag, der nicht ganz so wichtig ist.
Was war für Dich der schönste Moment?
Ich muss generell sagen, dass die Atmosphäre im Team das schönste überhaupt war die ganze Tour über. Wir alle sind so füreinander eingestanden und haben zusammen gearbeitet gelacht, geweint, gelitten und uns gefreut. Wir haben uns alle gegenseitig unterstützt. Das war ein ganz wichtiger Punkt. Jeder war hat sich für den anderen gefreut, wenn es gut gelaufen ist. Und wenn es nicht gut gelaufen ist, dann hat man sich auch gegenseitig aufgebaut. Es soll ja so sein, aber es war noch viel intensiver, wie ich es jetzt erlebt habe. Wenn ich jetzt eine Etappe heraussuchen müsste, dann wäre es schon die erste Etappe auf den Champs-Élysées mit der Team Präsentation am Eiffelturm.
Du hast gerade gesagt: „Das schönste war, dass jeder hat auf den anderen aufgepasst hat. Dann war sehr wahrscheinlich der schrecklichste Moment, als Deine Teamkollegin Laura Süßemilch so schwer gestürzt?
Auf jeden Fall. Ich habe das gesehen, es war rechts neben mir. Es waren schon so viele Stürze an dem Tag. Und ich dachte, nicht schon wieder die Laura. Es ist ja schon so, dass Stürze, die nicht so extrem aussehen schon die schlimmsten Verletzungen hervorrufen können. Als sie uns im Ziel erzählt haben, dass Laura so lange bewusstlos am Boden gelegen ist, war die Stimmung schon echt richtig down. Ich hoffe, es geht ihr bald wieder besser.
Es gab dazu einen Insta-Post von Euer Teamkollegin Yara Kastelijn, die selbst davon während der Etappe richtig geschockt war. Man bekommt das Gefühl, dass ihr Euch gegenseitig um Euch kümmert.
Ja, das stimmt. Bei uns war es natürlich noch mal etwas ganz besonders, da die Fahrerinnen, die in Frankreich am Start waren, alle beim Höhentrainingslager waren und dort nochmal so richtig zusammengewachsen sind. Das verbindet enorm. Und auch der gegenseitige Respekt füreinander ist sehr groß. Ich habe solch einen Respekt vor der Julie, die ja erst 19 Jahre alt ist. Sie hat das Weiße Trikot geholt, das war schon beeindruckend. Aber was sie an den Tagen darauf geleistet hat, war für mich persönlich noch viel beeindruckender.
Woran bestanden Deine Aufgaben im Team und im Rennen?
Wenn zu einem Sprint kam, war ich für das Lead-out vorgesehen. Ich war sozusagen die Erste, dann kam Sanne Cant und dann letztendlich Julie als unsere Sprinterin.
Auf den beiden Bergetappen sollte ich Yara unterstützen. Der Plan war am Samstag in der Ausreißergruppe ein paar Minuten Vorsprung herauszufahren und dann Yara in der Folge, wenn sie von hinten mit den Favoritinnen kommen würde, zu helfen – auf der Abfahrt und im Flachen. Aber wir wurden aber direkt, als es in den Berg reinging, eingeholt. Die erste Stunde an dem Tag war für mich die härteste. Ich habe da so viel investiert, damit ich in der Ausreißergruppe komme. Aber das hat nicht funktioniert und hat auch viele Teams geärgert, dass dieses taktische Manöver nicht geklappt hat.
Auf der Finaletappe war meine Aufgabe, dass ich Yara gut in den ersten Berg reinfahre und dort positionieren. Es war schon klar, dass Yara und ich nicht den Berg gleich schnell sein werden.
Deine Zwillingsschwester Kathrin fuhr die Tour de France der Frauen auch mit – für ein anderes Team. Habt Ihr euch während des Rennens oder am Start beziehungsweise im Ziel miteinander unterhalten?
Wir sind nie im gleichen Hotel gewesen. Daher haben wir uns nur im Rennen gesehen, wenn wir aneinander vorbei gefahren sind. Mal kurz checken, ob alles okay ist bei der anderen und dann ist wieder jede ihrer Wege gegangen. Das fühlte sich ein wenig komisch an, da wir in den vergangenen Jahren immer im selben Team gefahren sind. Da waren wir dann so eng, dass wir auch immer bei den gleichen Rennen gestartet sind. Jetzt ist das so ein Unterschied, aber es hilft uns beiden weiter, uns zu entwickeln. Wir unterstützen uns aber trotzdem weiter.
Wir haben uns am Start kurz unterhalten, wie es uns gegenseitig geht und wenn es nicht so gut gegangen ist, dann hat die eine versucht, die andere zu motivieren. Was ganz schlimm ist: man schaut ja auf die Teamkolleginnen, wenn sie stürzen. Aber jetzt kuckt man halt auch, ob die eigene Schwester in einem Sturz verwickelt ist. Da ist immer ein bisschen ein ungutes Gefühl dabei. Wenn man über Funk ‚Sturz‘ hört.
Du bist eine sehr gute Einzelzeitfahrerin. Hat Dir der Kampf gegen die Uhr gefehlt?
Ich hätte gerne ein Einzelzeitfahren bestritten bei solch einer Rundfahrt. Und auch so viele andere Mädels hatten den Wunsch, dass es zumindest in Zukunft eines sollte. Ellen van Dijk und Lisa Brennauer haben sich auch öffentlich dafür ausgesprochen, dass nur ein Zeitfahren in der World Tour in diesem Jahr, wirklich wenig ist. Ich glaube auch, bei solch einem Format wie der Tour de France der Frauen, dass so groß ist, jedes Team die Zeitfahrräder mitnimmt. Diesen Aufwand nimmt man dann schon auf sich.
War die Tour für Euch als Team ein Erfolg?
Wir haben andere Ergebnisse erzielt als die, die wir uns vorgenommen haben. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass Julie die Chance hat, das Weiße Trikot ein paar Tage zu tragen – mit ihren 19 Jahren. Es gab so viele gute Momente. 90 Prozent sind gut gelaufen bei den Sprintetappen und im Lead-out, da fehlen dann nur noch 10 Prozent damit es ein Top fünf-Ergebnis oder eine Podiumsplatzierung wird. Wir haben viele gute Momente mitgenommen, aus denen wir draus lernen können. Ich glaube auch, dass da in der Zukunft ein gutes Ergebnis herauskommt.
Perfekt war auf jeden Fall die Vorbereitung. Wir haben über das Team die Chance bekommen, dass wir uns im Höhentrainingslager alle zusammen auf die Tour vorbereiten. Diesen ‚Luxus“ hatten nicht viele Teams und das war wirklich cool, weil wir da schon auch als Team zu einer Einheit zusammengewachsen sind.
Wie sieht Deine Zukunft aus sprich was für Rennen fährst Du dieses Jahr noch – Du bist ja amtierende Österreichische Meisterin auf der Straße und im Einzelzeitfahren?
Ich fahre die Europameisterschaften in München in gut zwei Wochen in den beide Disziplinen. Dann folgt die Simac Ladies Tour in den Niederlanden und dann geht’s auch schon nach Australien – zu den Weltmeisterschaften. Die Saison geht gar nicht mehr so lange.
Fotos: Stefan Rachow/ mr.pinko, Photonews.be