Gravelbike-WM: Interview mit Jade Treffeisen
Bei den Gravel-Weltmeisterschaften hat die 31-jährige Jade Treffeisen im Rennen der Frauen Elite mit Rang vier für Furore gesorgt. Die Wirtschaftswissenschaftlerin war Teil einer vierköpfigen Spitzengruppe, die am Ende den Sieg unter sich ausmachte. Umso überraschender das Ergebnis, wenn man bedenkt, dass Jade erst 2017 mit dem Rennradfahren begonnen hat und 2019 ihr erstes Straßen-Rennen bestritt.
Mit Alpecin Cycling sprach die Bundesligafahrerin der Renngemeinschaft „Embrace The World“ über die Qualifikation zu den Gravel-Weltmeisterschaften und den großen Tag an der Seite der mehrfachen Weltmeisterin und des ersten Gravelbike-Champions Pauline Ferrand-Prevot.
Wie bist Du dazu gekommen, Gravel-Rennen zu bestreiten?
Wir waren mit ein paar Fahrern aus dem Embrace The World-Team im März dieses Jahres im Trainingslager auf Mallorca. Zu dem Zeitpunkt wurden gerade die UCI World Gravel Series gelauncht und es wurde auch publik, wie das alles ablaufen würde. Wir hatten da alle Lust drauf, was Neues auszuprobieren.
Wir sind dann in unterschiedlichen Konstellationen aus dem Team zu den Rennen gefahren. Ich fuhr meinen ersten Wettkampf dann in Frankreich. Niemand von uns aber auch von den anderen Startern wusste so genau, was wir zu erwarten hatten. Und wer fährt da überhaupt mit? Da waren dann zum Teil schon bekannte Gesichter dabei, die wir von Straßenrennen kannten – und auch viele Mountainbiker, die natürlich unglaubliche technische Skills besitzen.
Wie verlief Deine Premiere?
Ich bin einfach mal losgefahren – die Strecke war 135 Kilometer lang und hatte 2500 Höhenmetern. Irgendwann war ich Seite an Seite mit einer Niederländerin. Wir sind dann relativ lange zu zweit gefahren und haben uns dann gefragt wie viele, denn wohl vor uns sind. Immer mal wieder haben wir die eine oder andere Fahrerin überholt. Am am Ende hat sie gewonnen und ich bin Zweite geworden. Aber das haben wir beide gar nicht gewusst, als wir über die Ziellinie gefahren sind. Wir sind die ganze Zeit zusammengefahren und ich habe sie auch zwischendurch auf Asphalt mal abgehängt. Aber als Mountainbikerin hat sie mir dann auf dem letzten halben Kilometer eineinhalb Minuten gegeben, da wir da zum Schluss über solch einen muddy Cross-Kurs gefahren sind.
Da warst Du ja dann gleich unter den besten 25 Prozent und somit auch qualifiziert für die Weltmeisterschaften?
Ja, alle Podiumsplatzierten in den Altersklassen haben sich direkt für die WM qualifiziert. Aber das hat dann so viel Spaß gemacht, dass ich noch mal in Belgien und auch in Italien gestartet bin.
Mit welchem Ergebnis?
In Houffalize bin ich Vierte geworden und in Italien dann Fünfte. Von Rennen zu Rennen hat man dann aber gemerkt, dass diese Wettkämpfe immer beliebter werden. Es starteten zum einen mehr Teilnehmer, zum anderen haben sich dann auch mehr Elite-Fahrerinnen angemeldet. In Italien waren zum Beispiel die Straßen-Profis Tiffany Cromwell und Barbara Guarischi am Start.
Wie hast Du es denn geschafft, dass Du bei den Weltmeisterschaften bei der Elite starten durftest?
Am Anfang als die Serie publik gemacht wurde, wurde gar nicht kommuniziert, dass eine Weltmeisterschaft für die Elite sowie Rennen in den verschiedenen Altersklassen stattfinden würden. Wir sind immer davon ausgegangen, dass es lediglich ein einziges Rennen geben wird. Dann hat die UCI ein paar Wochen vor den Weltmeisterschaften mitgeteilt, dass es mehrere unterschiedliche Rennen geben wird. Für die Elite-Rennen waren aber nur Sportler berechtigt, die in einem UCI-Team fahren oder über die Wildcard ihres nationalen Verbandes startberechtigt wären. Jede Nation durfte dann 20 Wildcard insgesamt vergeben –Männern und Frauen.
Dann ging halt der Buschfunk los: Wer darf jetzt in welcher Kategorie starten? Letztendlich hat der BDR uns dann darüber informiert, dass diejenigen, die in Qualifikationsrennen in den Altersklassen aufs Podium gefahren sind, bei der Elite starten dürfen. Ansonsten wäre ich halt in meiner Altersklasse gestartet.
Was hast Du Dir für das Rennen ausgerechnet, als Du die Startliste gesehen hast und als Vorbereitung die Strecke abgefahren bist?
Nachdem ich wusste, dass ungefähr 15 Profi-Frauen am Start stehen und ich bei dem Qualifikationsrennen ja vorher durchaus mal ein Podium erreicht habe beziehungsweise in die Top fünf reingefahren bin, habe ich mir schon gedacht, wenn alles gut läuft und ich mich extrem anstrenge, dann können Top 15 oder sogar Top Ten drin sein. Allerdings wusste ich auch, dass gerade der erste der beiden Berge, die zu Beginn des Rennens erklommen werden mussten, mir nicht wirklich liegen würden. Denn wir sind ja direkt nach dem Start gleich in den ersten Berg reingefahren – sozusagen all-out. Zu Beginn eines Rennens ist das so gar nicht Meins. Ich muss erst ein bisschen warm werden, ehe es bei mir so richtig gut läuft. Da wusste ich schon, der erste Berg wird entscheidend sein, wenn ich den überlebe, dann kann’s weitergehen.
Und es ging weiter?
Ja, aber das war gar nicht so klar. Nach dem ersten Berg war ich gar nicht mehr in der ersten Gruppe. Ich musste diese ziehen lassen. Dadurch, dass wir keine Abstände erfuhren, wusste auch niemand so recht, wo er sich jetzt gerade befindet. Ich wusste nur: Oh, ich sehe meine Mannschaftskollegin Svenja (Betz – Anmerk. der Red.) nicht mehr. Ich hatte also eine kleine Lücke nach vorne und dann sind wir in die Abfahrt reingegangen. Diese war sehr technisch und eng. Barbara Guarischi ist direkt hinter mir gestürzt und vor mir ist eine Fahrerin gefahren, die Kurve nicht gekriegt hat. Als wir uns wieder sortiert hatten, haben wir die erste Gruppe schon gar nicht mehr gesehen. Auch weil es so verwinkelt war. Und dann sind auch die Motorräder an den kleinen Anstiegen stecken geblieben, die Piloten mussten absteigen und wir uns da irgendwie zwischendurch mogeln – das war schon alles recht turbulent.
Danach kam dann der zweite Berg und da war ich in einer relativ guten Verfolgergruppe. Wir sind dann zügig über den zweiten Berg drübergefahren, sind gut durchgekreiselt und haben dann den Anschluss an die Spitzengruppe geschafft.
Das war wohl so bei Kilometer 30 – also geschätzt. Als große Gruppe mit rund 20 Fahrerinnen sind wir dann am Fluss auf diesen schmalen Schotterstraßen entlanggefahren – in Einer- beziehungsweise Zweier-Reihe, weil gar nicht mehr Platz war. Das Tempo war die ganze Zeit recht hoch, aber es gab immer wieder Fahrrinnen, die attackiert haben. Man musste halt immer schauen, dass man sich in einer guten Position befindet. Denn es war in dieser Gruppe und bei dem Streckenverlauf schon schwierig, vor- beziehungsweise zurückzukommen. Die Italienerinnen waren in der Gruppe stark vertreten. Gefühlt hatten alle das azurblaue Nationalmannschaftstrikot an. Es gab verschiedene Attacken – unter anderem auch von Riejanne Markus. Die war einmal vorneweg, wurde aber wieder eingeholt. Und dann sind immer wieder die Italienerinnen vorne raus. Also ich kann natürlich nur das berichten, was ich gesehen habe. Ungefähr 60 Kilometer vor Ziel hat dann Chiara Teocchi, die am Ende Dritte geworden ist, attackiert. Sie hatte vielleicht einen Vorsprung von ein paar 100 Metern. Ich fuhr in der Verfolgergruppe am Hinterrad von der US-Amerikanerin Lauren Stephens. Als ich gesehen habe, dass diese antritt, dachte ich mir: ich fahr da jetzt einfach mal mit. Sie ist dann richtig zügig losgefahren und wir haben durchgewechselt. Als ich dann das nächste Mal nach links geguckt habe, waren Sina Frei und Pauline Prevot-Ferrand auch schon da.
Da warst Du ja in guter Gesellschaft?
Ja! Wir sind dann weitergefahren und ich dachte so für mich: Wow, mal fünf Minuten in der Spitzengruppe mit einer dreimaligen Weltmeisterin, das ist ja auch schon richtig gut. Wir sind dann weiter auf Zug gefahren und irgendwann dachte ich mir, die Gruppe läuft doch ganz schön gut.
Da eine Italienerin und eine US-Amerikanerin bei Euch in der Gruppe vorne mit dabei waren, haben diese Nationen sicher hinten auch nicht nachgeführt?
Ja, die hatten ihre Teamkollegen in der Verfolgergruppe und diese haben dann sicher die Beine stillgehalten. Wir sind dann weiter gekreiselt und es lief gut. Da dachte ich dann nur, einfach nur fahren und durchhalten. Es sind Kilometer um Kilometer vergangen. Wir waren dann 20 Kilometer vor Ziel zu viert, da die US-Amerikanerin nicht mehr mithalten konnte, und ich dachte für mich, das kann ich dann schon noch irgendwie durchhalten.
Haben die anderen drei beziehungsweise vier Fahrerinnen Dich unterschätzt?
Nein. Das Gefühl hatte ich gar nicht. Ich wurde behandelt wie jede andere auch und musste mich an die Regeln halten. In der Gruppe war klar: Entweder Du führst mit oder Du wirst irgendwann gedroppt. Wer dabeibleiben wollte, der durfte nicht nur im Windschatten fahren. Pauline hat auch alle motiviert, mitzuarbeiten. Sie war schon interessiert, dass die Gruppe läuft und dass wir dann auch zu viert in Richtung Ziel kommen.
Hast Du zu irgendeinem Zeitpunkt in der Gruppe mal mit einer Medaille geliebäugelt oder warst Du einfach nur froh, da mitfahren zu können?
Pauline hatte es auf einen Sprint angesehen. Das wussten wir alle. In Citadella habe ich gemerkt, dass die drei als Mountainbike-Profis so sicher durch die Kurven fahren, dass es für mich überhaupt schwierig wird, dort zu überleben. Das Einzige, was überhaupt möglich gewesen wäre, wäre Platz drei gewesen. Ich habe dann auch gemerkt, dass die Italienerin gegen Ende auch nicht mehr so frisch war. Aber sie hat einfach die Kurven viel besser genommen als ich. Wenn es nicht so technisch gewesen wäre zum Schluss, dann hätte ich vielleicht noch eine Chance gehabt auf Bronze. Aber bei meinen Skills (lacht).
Aber im Endeffekt bin ich schon so dankbar, dass ich überhaupt in der Gruppe mitfahren konnte. Ich habe mir da während des Renens gar nicht so einen Kopf drum gemacht, was am Ende möglich wäre. Ich war zu Beginn natürlich überrascht, dass ich mit diesen Fahrerinnen unterwegs bin. Aber ich war dann so im Tunnel, dass ich gar nicht weiter drüber nachgedacht habe. Ich habe mich stattdessen drauf konzentriert, sauber durch die Kurven zu fahren und die Position zu halten. Denn: Pauline ist so krass gefahren. Ich bin mir sicher, dass sie uns alle hätte abhängen können, wenn sie es gewollt hätte. Ich habe daher immer versucht, die Position hinter ihr zu vermeiden. Immer wenn sie vorne gefahren ist, ist sie so krass reingestiefelt, so dass es hinter ihr immer am schwersten war, zu fahren.
Jetzt wurde ja viel über das Material diskutiert. Einige haben sich gewundert, dass viele auf normalen Straßenrädern unterwegs waren und nicht auf Gravelbikes. Du bist einen Cyclocrosser gefahren. Warum?
Ganz einfach, weil ich einen habe und ja nicht gesponsert werde. Ich fühle mich da drauf super wohl. Das Canyon Inflite habe ich mir gekauft, nachdem ich wegen eines schweren Sturzes in aufrechterer Position trainieren musste. Ich konnte aufgrund meiner Rückenverletzung nicht so in die typisch gestreckte Position gehen und die Geometrie des Crossers war dann perfekt für mich. Die breiten Reifen sorgten dann noch für einen Puffer und mehr Komfort. Letztendich ist das wohl auch ein Grund, warum ich zum Graveln gekommen bin. Denn zuerst bin ich nur damit auf der Straße gefahren, aber dann habe ich auch Gefallen da dran gefunden, im Gelände rumzudüsen.
Was für Reifen bist Du im WM-Rennen gefahren – und mit wieviel Druck?
Ich war mit den Conti Terra Speed in 40 Millimetern unterwegs – vorne 2,3 und hinten 2,5 bar; tubeless versteht sich.
Fotos: Photonews.be, Privat