Flandern-Rundfahrt: „Die Chance meines Lebens“ – Rückblick von Ex-Radprofi Jörg Ludewig

31.03.2022
Joerg Ludewig beim Radrennen Flandern-Rundfahrt im Jahr 2004

Blick zurück: Ex-Profi Jörg Ludewig über seine Premiere und seine weiteren Teilnahmen an der „Ronde van Vlaanderen“ – dem zweiten Monument einer jeden Radsportsaison.

Mein erstes Mal bei der „Ronde“; das war direkt in Jahr eins beim italienischen „Team Saeco“, also im Jahr 2000. Das weiß ich noch wie heute. Im feuerroten Trikot und bei meiner „Traum-Mannschaft mit den „geilen Bikes aus den USA“.

Voller Zuversicht und Vorfreude, aber auch tierisch aufgeregt ob der Verantwortung und der riesigen Zuschauerkulisse. Mein Job war es damals, meinen Kapitän und Freund Dario Pieri so gut wie möglich zu positionieren. Ich musste dafür sorgen, dass er als einer der ersten auf die Pflasterabschnitte fährt und ihn, wann immer nötig, aus dem Wind heraushalten. Meine Beine waren gut – die von Dario noch besser. Er war einer, der das Kopfsteinpflaster überhaupt nicht spürte, förmlich damit spielte.

Am Ende wurden all seine und meine Mühen belohnt – mit einem zweiten Platz fürs Saeco-Team.

Die „Maschine“ Andrei Tchmil kam als Solist an. Mein Kapitän Dario Pieri gewann nur vier Sekunden später den Sprint einer 30-köpfigen Verfolgergruppe. Ich für mich hatte zwar kein zählbares Ergebnis auf dem Papier, bin aber gut zurechtgekommen und war „stolz wie Bolle“, trotz eines „DNF“. Verrückt und kaum zu glauben, dass das bereits 22 Jahre her sein soll …

In den folgenden Jahren verrichtete ich bei unterschiedlichsten Wetterlagen bei der Ronde brav meine Helferdienste für Fahrer wie Mirko Celestino oder „Toto“ Commesso. Solch ein Top-Resultat erreichten wir als Saeco-Team leider aber nie wieder.

Laut meiner Kapitäne und der Teamleitung war ich ein wertvoller Helfer, was auch mein viermaliges DNF relativiert. Mein Job war halt zumeist bei Rennkilometer 200 erledigt – und ich dann auch ;-).

2004 bekam ich durch einen kuriosen Rennverlauf und extrem gute Tagesform die Chance, auf eigene Rechnung zu fahren. Die Leader waren nicht in der erhofften Topform und so hieß es für mich: Attacke. Schnell nach dem Start befand ich mich in „der“ Ausreißergruppe und fuhr vielleicht das Rennen meines Lebens. Unser zweiter Mann fürs Ergebnis, „Toto“, war zwar auch in der Gruppe, aber leider bereits am Oude Kwaremont distanziert.

Fit war ich, nach dem ich mich in einem privaten dreiwöchigen Trainingslager auf Mallorca in Form gebracht hatte. Die Bräune meiner Beine so früh im Jahr war echt … ok ok, bisserl Bräunungscreme-Support für die Moral aber auch tausende richtig harter Trainingskilometer. Die Crux war nur, dass fast jeder meiner Mitstreiter in dieser Fluchtgruppe noch seinen Kapitän hinten im Peloton sitzen hatte, so dass wir gerade gegen Ende nicht mehr richtig auf Zug gefahren sind.

Im Nachhinein denke ich oft noch daran, ob ich nicht mein Herz in die Hand hätte nehmen sollen und auf den letzten 30 Kilometern eine „Bulette“ hätte raushauen sollen. Fünf Kilometer vor Geraardsbergen einfach mal voll von hinten mit Sprinterlücke, um mit etwas Vorsprung in die Muur zu fahren… Oder zumindest so clever mit meinen Kräften haushalten sollen, dass ich wie ein Kollege in der Fluchtgruppe, Leif Hoste von „Lotto Domo“, einfach mitspringen hätte können, als Steffen Wesemann, der spätere Sieger, uns ein- und überholte. Kollege Hoste, der mehrfach die Führung in unserer Gruppe verweigerte, wurde am Ende immerhin noch sehr guter Zweiter.

Hätte hätte Fahrradkette …

Wenig versöhnlich, aber ein kleiner Achtungserfolg: Am Ende gewann ich noch den Sprint um Platz 14 – vor so großen Rennfahrern wie Johan Museeuw und Peter van Petegem. Auch das ist mir nie wieder passiert.

Fazit: Carpe diem und nie zu viel Respekt vor der eigenen Courage.

Foto: Roth-Foto