Tour de Friends: Etappen-Fahrt für Hobbyradsportler
Manche Ideen hören sich so verrückt an, dass man sie einfach mal machen muss. 660 Kilometer. 11 000 Höhenmeter. Stelvio. Fünf Tage. 400 Teilnehmer. Drei Mädels. Ein Team. Das war das Setting für Alpecin Cyling-Member Nora Helene Turner: Zusammen mit zwei Freundinnen bestritt sie die Etappen-Fahrt über die Alpen und die Dolomiten – die Tour de Friends. Hier ihr Bericht.„Etappen-Fahrt? Klingt etwas sperrig, aber eine bessere Beschreibung gibt es dafür nicht. Bei der Tour de Friends handelt es sich nämlich nicht um ein Rennen, sondern um eine große, gemeinsame Ausfahrt mit Freunden. Die Idee dafür kam dem Radrace-Team, weil sie bei Rennen durch die schönsten Gegenden fuhren, aber außer dem Hintern vom Vordermann nicht wirklich etwas von der Umgebung mitbekamen. Ob man das nicht ändern könne? Gesagt, getan: Dieses Jahr fand bereits die dritte Austragung statt, dieses Mal ging es über die Via Claudia Augusta von Augsburg nach Feltre. In diesem Blogpost nehmen ich Nora, vom Team Alpecin 2018, Mary aus Deutschland und Patricia aus Wien Euch mit zu den Highlights unserer Tour de Friends – und zu den Momente, die am schwersten waren.
Tag 1: Anreise & Riders-Briefing
Mary: Ich hatte einen recht kurzen Weg nach Augsburg, denn ich wohne und studiere im schönen Marburg. Los ging es am späten Vormittag, und als wir dann endlich alle in unseren jeweiligen Zügen saßen, ging es in unserer WhatsApp-Gruppe rund: Haben wir wirklich alles eingepackt? Wie sind die anderen Fahrer so drauf? Wie gehen wir die verschiedenen Etappen an? Hat überhaupt jeder die Strecken auf seinem Wahoo? Ich bin ja ein Last-Minute-Packer, deswegen hatte ich in der Nacht davor nicht besonders viel geschlafen. Obwohl: vielleicht waren es auch die Nerven? Als ich in Augsburg ankam, sammelte sich sofort eine kleine Traube von Teilnehmern vor dem Bahnhof, und als dann auch der Zug von Nora und Patricia ankam, rollten wir alle gemeinsam zum Startpunkt. Da wusste sofort, dass es uns nicht schwer fallen würde, Anschluss zu finden. Denn wie einer der wichtigsten Hashtags andeutet, teilen wir eine Passion miteinander, und das sind Fahrräder. Trotzdem war die Ankunft ein bisschen einschüchternd. So viele Leute, so viele schöne Fahrräder, Personal, das die Infrastruktur organisiert: es war wirklich richtig viel los! Vor Ort konnte man auch noch jede Menge Equipment testen und sogar ausleihen, wie zum Beispiel ABUS-Helme!
Beim Briefing gingen wir noch einmal die gängigen “Regeln” in Gruppenausfahrten durch: Handzeichen geben, keinen Müll hinterlassen, aufeinander acht geben… Bei jedem Checkpoint würden wir uns einen Stempel in unser Booklet holen müssen. Außerdem können wir dort unsere Flaschen auffüllen, Snacks von den Bewohnern der Dörfer probieren oder einen Espresso genießen.
Wir checkten noch in unser erstes Hotel ein, bereiteten unser Equipment für den kommenden Tag vor und schliefen zur Wiederholung der Tour de France Etappe ein. Gut so, denn der nächste Tag sollte es in sich haben!
1. Etappe: Von Augsburg nach Füssen, 120 km, 1000 HM
Nora: Ach du Schande. Wie bekomme ich das nun alles wieder in meinen Rucksack? Man könnte sagen, dass ich ein bisschen die Team-Mutti war und mir im Vorhinein über alle Möglichen Eventualitäten den Kopf zerbrochen habe. Das zeigte sich nun auch in dem ganzen Zeug, das vor mir wirr auf dem Boden lag. Zwar hatten wir auch eine sehr genaue Packliste erhalten, ich habe mich aber getrost über diese hinweg gesetzt. Wenn ich euch einen Rat geben darf, ist es, drei mal darüber nachzudenken, ob ihr etwas WIRKLICH braucht. Eine Rennrad-Regenjacke ist zum Beispiel auch super, um abends draußen rumzusitzen, ein Baselayer kann auch das T-Shirt am Vorabend sein, bevor es bei der Ausfahrt durchgeschwitzt wird.
Da standen wir nun am Start und hatten, um ehrlich zu sein, etwas Bammel. Klar, das ist kein Rennen, das Gefühl war der Pre-Start-Nervosität bei Wettbewerben aber zum verwechseln ähnlich! Unser Gepäck ließen wir im Shuttle zurück und überprüften noch einmal den Reifendruck. Da heute einige längere Gravel-Passagen auf dem Programm standen, entschieden wir uns für 4,5 bis 6 bar Druck in unseren Conti-Reifen – dann ging es auch schon los!Nach einem etwas holprigen Start durch das Stadtgebiet von Augsburg fanden wir schnell zwei andere Teams und da unser Tempo recht ähnlich war, fuhren wir die nächsten 50 Kilometer zusammen. Meist führte uns die Strecke über Schotterwege und wenig befahrene Nebenstraßen, irgendwann entschieden wir uns, auf der Hauptstraße zu bleiben und ein wenig Tempo zu machen. Unsere Beine fühlten sich wahnsinnig frisch an und wir waren so motiviert: es war einfach traumhaft, in der Gruppe durch Deutschland zu düsen und etwas zu plaudern. Bis wir anhielten, um uns die Regenjacken anzuziehen.
Ab dann griff Rule #5: wir wurden so richtig nass. Ich fühlte das Wasser in meinen Schuhen bei jedem Pedaltritt “herum-schwappen” und irgendwann war auch die beste Regenjacke durch. Erschwerend kam hinzu, dass der kleine Gravel-Weg durch ein Waldstück zu einer richtigen Schlamm-Schlacht wurde. Irgendwann rückte dann aber auch schon das Ziel in greifbare Nähe, und trotz der paar Tropfen von oben wartete in Füssen beim Festspielhaus eine richtige Party auf uns. Wir stärkten uns mit Maultaschen, wuschen unsere Räder und rollten in unser zweites Hotel, um unsere Sachen zu waschen, unsere Schuhen trocken zu föhnen und den Supermarkt zu plündern.
Etappe 2: Von Füssen (DE) nach Nauders (AT), 150 km, 2.500 HM
Patricia: Nachdem Nora und ich gestern den Checkpoint verpasst hatten und nach 120 km schon etwas hungry waren, ging es heute mit genug Verpflegung in der Rückentasche los in Richtung der ersten 2 Pässe: das Hahntennjoch und der Reschenpass. Grade der erste Anstieg ist nicht zu unterschätzen: los geht’s mit einer recht steilen Rampe, dann gondelt man ein bisschen dahin, bis es an die letzten 5 km geht. Hier fielen die Steigungsprozente auf unserem Wahoo nie unter 10 Prozent. Umso größer war die Freude, als wir oben ankamen. Rein in die Windjacken und los ging die wunderschöne Abfahrt nach Imst – wo auch schon der erste Checkpoint auf uns wartete. Unsere Flaschen füllten wir mit Wasser, unsere Bäuche mit einem Eiskaffee und weiter ging die Reise.
Jetzt hieß es ein wenig Kilometer fressen, deswegen teilten wir uns auf. So konnte jeder sein liebstes Tempo in Richtung Reschenpass fahren, außerdem hatte Nora etwas mit ihrem Umwerfer und ich mit einer meiner Schuhplatten zu kämpfen. Uns erwartete auch noch einmal einige Gravel-Passagen, immer begleitet durch ein absolut traumhaftes, tiroler Panorama.
Der Reschenpass war im Vergleich zum Hahntennjoch am Vormittag eine gemütliche Bodenwelle, obwohl nach den bisherigen 140 km durch Österreich und die Schweiz die Beine schon ein bisschen schwer wurden. Wir wussten aber, dass uns in Nauders ein besonderes Highlight erwarten würde – das spornte uns noch einmal zusätzlich an. Angekommen im Ziel kümmerte sich direkt ein Mechaniker um unsere “Wehwehchen” während wir uns bereit zum Abendessen auf über 2000 Meter Seehöhe machten, und zwar mit einer Gondel! Dieses Mal spielte auch das Wetter mit, sodass wir danach noch alle unsere Sachen vom Vorabend in der Abendsonne trocknen konnten.
Etappe 3: Nauders – Kaltern, über das Silfser Joch! 190 km mit 3.300 hm
Mary: Die Königsetappe! Ich freute mich irgendwie auf diese Fahrt und dachte: „Wie schwer kann dieser Aufstieg wirklich sein?“ Nun, wir sollten es herausfinden. Wir begannen mit einer Abfahrt und einem flachen Teil, und ich schaffte es irgendwie, Nasenbluten zu bekommen. Na toll. Ich weiß nicht, ob das irgendetwas damit zu tun hat, dass wir uns auf 1500 m Höhe befanden, aber es hat definitiv lange gedauert, bis es aufgehört hat zu bluten. Zum Glück haben einige Leute angehalten, um mir zu helfen. So war es die ganze Woche über, alle achteten aufeinander und stellten sicher, dass es anderen gut ging, bevor sie weiterfuhren. Ich denke nicht, dass sich jemand in dieser Woche alleine gefühlt hat! Grade in schweren Momenten waren es auch die anderen, die einen motivierten, weiter zu machen. Pedalstroke after Pedalstroke.
Bevor ich vergessen habe, das zu erwähnen, ist das Stilfserjoch wirklich hart. Immerhin: nicht besonders steil, aber es schien einfach nie zu enden. Ein besonderer Punkt, an den ich mich erinnere, war die 29. Kehre, an dem ich den Gipfel zum ersten Mal sehen konnte. Nun, ich habe mindestens eine weitere Stunde gebraucht, um es dort rauf zu schaffen, da sich dieser Berg netterweise den steilsten Teil für den Schluss aufgehoben hatte. Aber die Aussicht war bei jeder weiteren Kehre einfach noch beeindruckender! Es mag für mich als Niederländerin eigenartig klingen, aber obwohl der Anstieg lange und teilweise hart war, würde ich den Stelvio am liebsten sofort noch einmal bezwingen! Möglicherweise auch wegen der Abfahrt, diese war 16 km lang und sehr technisch mit ungefähr 40 scharfen Kurven, aber wieder absolut fantastisch. Das beste kommt aber noch: Auf meiner Abfahrt vom Stelvio über den Umbrail-Pass bin ich die viertschnellste Frau überhaupt gewesen!
Danach bin ich alleine zum zweiten Checkpoint gefahren, weil Nora etwas entspannter runterfahren wollte. Dort habe ich zwei Typen gefunden, mit denen ich nach Kaltern gefahren bin. Aufgrund der guten Rotations-Teamarbeit haben wir es geschafft, relativ schnell zu sein und uns dennoch ein bisschen zu erholen. Der letzte Anstieg ins Ziel war absolut umwerfend. Ich konnte nicht glauben, dass dieser kurze Anstieg über 300 Meter nach dem Aufstieg auf das Stilfserjoch so unglaublich schwer war. Ich habe buchstäblich die Meter von 185 bis 190 km gezählt. es war so schön, danach über die Ziellinie zu fahren. Ich ging sofort ins Hotel und machte Yoga in der Hoffnung, dass es meine Beine für den nächsten Tag retten würde. Nora fuhr während dessen noch immer: Nach einer falschen Abzweigung fuhr sie mit Jannis aus Hamburg und Rene aus Frankfurt im No Drop Team und nach und nach sammelten sie all jene auf, die auch noch unterwegs waren und nicht aufgeben wollten. Um 21:30 Uhr rollte dann auch das letzte Team über die Ziellinie im wunderschönen Kaltern und wir schliefen wohl selten so gut, wie nach diesem Tag!
Etappe 4: Von Kaltern nach Levico Terme, 107 km mit 2.600 HM
Patricia: “Frisch ist was anderes!” lachten wir beim Aufstehen über unsere steifen Beine, aber nach einer Stärkung sah der Tag schon ganz anders aus. Heute ging es etwas später als gewohnt los und wir waren sehr dankbar für die Erholung auf der Abfahrt gleich zu Beginn. Weiter ging es durch die Apfelgärten von Südtirol und langsam wachten wir alle wieder auf! Geil! Radfahren! Das ist das, wofür wir da sind, und eine extra Portion Motivation holten wir uns durch die fantastischen Labestation in Italien.
Hier warteten keine unfassbar langen Anstiege mehr auf uns, eher ein ständiges Auf- und Ab. Aber nach dieser Hammer-Etappe gestern fühlte sich heute einfach alles leicht an und so konnten wir die Dolomiten umso mehr genießen. Ich spürte, dass ich noch ganz schön viel Energiereserven übrig hatte und fuhr mit einer der schnelleren Gruppen mit, während Nora & Mary ihre Plauderrunde fortsetzten. Umso größer war die Freude, als wir uns alle 3 beim zweiten Checkpoint wieder sahen und unsere Füße etwas im Wasser baumeln lassen konnten, während wir uns über die letzten paar Kilometer austauschten.In Levico Terme erwartete uns ein absolut traumhaftes Hotel direkt in der Innenstadt und so füllte wir unsere Speicher noch einmal mit einer richtig guten Pizza und einem Glas italienischen Rotweins auf.
Etappe 5: Von Levico Terme nach Feltre, 95km mit 2.200hm
Nora: “It’s the finaaaaal countdooooown, düdüdüüüü…” mit diesem Lied erfreute ich schon gestern meine Mitfahrer auf dem letzten Anstieg, heute sollte die ganze Etappe unter diesem Motto stehen. Die Freude darüber, schon bald im Ziel angekommen zu sein, wurde nur kurz getrübt, als meine rechte Pedalplatte nach einiger Zeit den Geist aufgab – und bevor nun jemand den Kopf schüttelt: ich habe diese extra am Tag vor dem Start erneuert! Ich ärgerte mich aber gar nicht lange, sondern rollte mit den anderen mit, bis ich im nächsten Dorf auch schon einen top ausgerüsteten Bike-Shop fand. Italien halt!
Wieder auf Fahrt mit frischen Pedalplatten ging es dann in Richtung des ersten Checkpoints. Die Bewohner verteilten hier nicht nur frische Brötchen mit italienischen Spezialitäten, sondern es gab auch ein Glas Prosecco. Fast wie der Champagner während der letzten Etappe der Tour de France! Die Kinder haben alle Schulfrei bekommen, um uns zu empfangen, und sammelten fleißig Autogramme. Wir fühlten uns wie richtige Profis und Mary machte mit einem Mann, mit dem wir schon in den letzten Tagen viel gefahren sind, einen internen Wettbewerb aus: Wer ist schneller auf der letzten Abfahrt? Den KOM dort hält kein Geringerer als Vincenzo Nibali. Auf seinen Spuren fuhren wir auch für die nächsten Kilometer: erst wenige Woche zuvor führte nämlich der Giro d’Italia über unsere Route! Der letzte Anstieg war noch einmal fies, aber wir waren dank jeder Menge Melonen und anderer Naschereien beim Checkpoint 2 gewappnet – außerdem war das Ziel schon zum greifen nah!
Wir hielten die Stimmung weiterhin hoch, indem wir italienische Lieder vor uns hin trällerten, und dann konnten wir auch schon die letzte Kurve sehen. Wir waren nicht nur froh, dass das Klettern nun geschafft war, sondern auch, dass wir bislang trocken geblieben sind – denn wieder einmal war eigentlich nicht so sommerliches Wetter angesagt. Womöglich hat es aber geholfen, dass ich mit wasserdichten Überschuhe und Regenjacke ausstaffiert losgefahren bin, denn wie jeder weiß, regnet es nie, wenn man alles dabei hat. So stand Marys Challenge nichts mehr im Wege – und ihr Grinsen am Gipfel zeigte schon, dass sie es ernst meinte!Vor dem Ziel warteten wir in einer Gelateria aufeinander und rollten durch die ersten Regentropfen los in Richtung Finishline. Das Serotonin schoss ein, als wir die ersten Töne von “unserem Song” A new Error von Moderat hören konnten, und so fehlte die Konzentration, um die Ziellinie in der richtigen Richtung zu überqueren. Fragt nicht, wie wir das geschafft haben – aber es war uns auch egal, wir hatten alle fünf Etappen gesund und mit Spaß überstanden und so fielen wir uns einfach in die Arme. Und Mary konnte endlich ihre Fahrt auf Strava hochladen! Was soll ich sagen: Hanno, gegen den sie gefahren war, muss seine Radsportkarriere nicht an den Nagel hängen, weil Mary kurz hinter einem LKW feststeckte, aber sie war nur 28 Sekunden langsamer als der Abfahrts-König Nibali himself!
Die Stimmung im Ziel war ausgelassen, nicht nur wir Teilnehmer feierten, die ganze Stadt war da, um uns zu gratulieren, und es war total egal, dass es wie aus Eimern schüttete. Wir machten uns noch kurz im Hotel frisch, bevor es zur legendären Afterparty losging. Und die Erzählungen waren absolut nicht übertrieben: es gab sogar einen Heiratsantrag! Wir feierten und tanzten bis spät in die Nacht. Unsere Beine waren wieder ganz leicht und man fühlte sich einfach wie in einer großen Familie. Wir hatten das alle geschafft. Gemeinsam. Und wir haben es genossen! “
Fotos: (c) Rad Race / Björn Raschek, Arturs Pavlovs, Christoph Mannhardt, Christoph Steinweg
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Nora Helene Turner kam als Rennradrookie ins Team Alpecin 2018. Sie saß gerade mal ein halbes Jahr auf dem Rad. Mit beständigem Training schaffte die in Wien lebende Hamburgerin die L‘Etape du Tour 2018 und hat jetzt Feuer gefangen – an Wettkämpfen. Im Winter 2018/2019 bestreitet sie Cyclocross-Rennen und 2019 will sie auch an Lizenzrennen auf der Straße teilnehmen. Über ihre Abenteuer auf dem Rennrad berichtet sie auf ihrem Blog unicorncycling.me.