Tour-Tagebuch: Hobbysportlerinnen auf den Spuren der Frankreich-Rundfahrt der Frauen
Sechs begeisterte Hobbyradsportlerinnen haben sich auf die Spuren der Tour de France der Frauen 2022 begeben. Sie erkundeten den Parcours, den die Profi-Frauen Ende Juli absolvieren, und haben in einem Tagebuch aufgeschrieben, was sie auf und abseits ihrer Plantur Femmes Tour an Abenteuern erlebt und an Erfahrungen gemacht haben.
Prolog & Etappe 1 der Plantur Femmes Tour:
Paris Arc de Triomphe – Château de Vincennes – Sézanne
Unser erster Tag beginnt früh. Weil wir uns das einmalige Erlebnis auf den Champs-Élysées eine Runde zu drehen und am Arc de Triomphe fotografiert zu werden, nicht nehmen lassen wollen, stehen wir schon kurz vor sieben Uhr morgens vor dem Hotel abfahrbereit. Der erste Tag von unserem Abenteuer „Auf Spuren der Tour de France der Frauen“ ist zweigeteilt.
Wir beginnen mit einem Prolog. Vom Arc de Triomphe wollen wir raus in östlicher Richtung zum Château de Vincennes fahren, von wo unsere erste echte Etappe nach Sezanne führt.
Von Minute zu Minute wird der Verkehr mehr und mehr. Die Weltstadt erwacht und wir müssen auch hellwach sein. Den Triumphbogen haben wir schnell hinter uns gelassen. Obwohl wir extra auf der Bike-Lane an der Blechkarawane locker vorbeifahren können, ist von Entspannung nichts zu spüren. Wir müssen auf die vielen E-Scooter achten, die von links und rechts auf unsere Spur schießen und auch mal ganz gerne unvorhergesehen die Richtung wechseln. Aber dafür, dass wir bis auf unsere Female Cycling Force-Ladies Linda und Lara vorher noch nie zusammengefahren sind, funktioniert unsere non- und verbale Kommunikation ganz gut.
Nach dem Stress, der mehr psychisch als physisch war, gönnen wir uns im Café am Château de Vincennes erstmal ein zweites Frühstück. Zudem haben wir unser Begleitfahrzeug verloren, das sich durch den Pariser Berufsverkehr kämpft.
Im Café treffen wir dann unvermittelt unsere ersten Fans. Nicht schlecht für gerade mal 12 Kilometer Rad fahren – aber sechs Mädels in Plantur-pinken Trikots sorgen wohl schon für Aufsehen. Es sollten am heutigen Tag nicht die einzigen sein, die uns freudig bejubeln.
Nach kurzer Stärkung beginnt unsere erste Etappe. Durch den Schlosspark des Château de Vincennes geht es weiter in Richtung Osten. Als wir Paris und seine vielen Vororte endlich hinter uns lassen und die Marne überqueren, fahren wir auf kleinen Straßen vorbei an endlosen Feldern, die bis zum Horizont reichen. Wenig Autos begegnen uns während wir bei 32 Grad und Gegenwind auf rauem Asphalt dem Etappenziel entgegenpedalieren.
Die größte Herausforderung besteht aber eher darin, die passende Pace zu finden. So machen sich doch die unterschiedlichen Trainingslevel bemerkbar, so dass jede Einzelne gefordert ist, ihren Platz in der Gruppe zu finden.
Unterbrochen wird unser Windschattenfahren von einem Esel, der zweiten Fanbase des Tages, der uns lautstark begrüßt oder anfeuert. Genau kann das niemand sagen.
Die tollen Eindrücke hinterlassen jedenfalls bisher bei jeder von uns noch ein Lächeln im Gesicht und große Vorfreude auf Morgen.
Etappe 2 der Plantur Femmes Tour: Sézanne-Épernay
Die Vorfreude ist riesig. Zum einen, weil wir gestern so viel Spaß hatten, zum anderen führt die heutige Etappe durch die Champagne. Das bedeutet: Am Abend gibt es das beinah gleichlautende Getränk. Wir werden zwar nichts gewinnen, aber den Champagner direkt an der Quelle zu genießen, hat schon was. Allerdings, wer durch Weinberge fahren will, der weiß auch, dass es hügelig wird.
In den Weinbergen fahren wir auf der Originalroute der der 3. Etappe der Tour de France 2019, die Julian Alaphilippe mit einem späten Solo hinauf nach Epernay gewann. Diese Etappenfinale war auch Vorbild für den 3. Tagesabschnitt der Tour de France Femmes von Reims nach Epernay.
Wenn wir schon mal hier sind, wollen wir Reims natürlich auch einen Besuch abstatten. Und so hat Lara, die wir am Vorabend einstimmig zum Road Captain oder passender zum „Capitaine de Route“ gewählt haben, eine besondere Strecke virtuell gescoutet.
Vom Startort Sezanne zuerst durch Épernay und dann weiter über die Weinberge nach Reims und dann in einem Loop zurück in unseren Etappenzielort Épernay. Bis Épernay verläuft unser Parcours leicht hügelig und wir haben ein bisschen den belgischen Kreisel in der Gruppe trainiert, um mehr durchzuwechseln, aber auch um die Kommunikation in der Gruppe zu verbessern. Kurz nach Épernay folgt dann der erste von zwei etwas längeren Anstiegen. Auf der Abfahrt zeigt Nora direkt ihre gestern neu gewonnenen Abfahrtsskills.
In Reims machen wir dann direkt an der berühmten Kathedrale zur Mittagspause halt. Ein Glück, denn nur ein paar Minuten später verwandelt sich das Tröpfeln in Starkregen. Aber gut – wir sitzen im Trockenen und können was zu essen und trinken ordern. Nicht selbstverständlich am Pfingstsonntag, wie wir später noch erfahren werden.
Lara checkt minütlich die Wetter-App und versucht Route und Abfahrtszeit so zu legen, dass uns die Fahrt durch den Regen erspart bleibt. Doch die Hoffnung trockenen Fußes oder Beines das Ziel zu erreichen, stirbt von Minute zu Minute. Wir haben die Wahl zwischen nass und klatschnass.
Nass bedeutet aber ein paar Höhemeter mehr zurückzulegen – und zwar in Form von zwei steilen Rampen. Und die Steilste von beiden endet am Ende eines 20-Prozent-Abschnitts mitten im Wald. Kommando zurück. Für den Irrweg entschädigt aber die Abfahrt von Champillon nach Épernay.
Und natürlich das Abendessen mit Schampus – so unsere Denke. Und hier stellt sich dann das einzig echte Problem des Tages ein. Ohne Vorbestellung keine Chance auf einem Tisch in einem Restaurant – zu begehrt ist der Ort bei Franzosen, Belgiern und Niederländern am Wochenende. Allerdings sind die nicht wegen des Radfahrens hier.
Eine Stunde dauert die vergeblich Suche. Am Ende gibt es Pizza vom Lieferdienst, die aber superlecker schmeckt – und dazu Champagner. Wobei die eine oder andere von uns dann doch die Hopfenkaltschale als weiteres Getränk vorzieht.
Etappe 3 der Plantur Femmes Tour: Épernay-Troyes
Unseren dritten Tag würde man im Roadbook der Tour de France als typisches Transfer-Etappe bezeichnen. Wir müssen einfach Kilometer machen, um von Epernay zum nächsten Original-Etappenstartort nach Troyes zu kommen. Während der Tross der Tour-Frauen dies Strecken im Juli im Bus hinter sich bringen wird, fahren wir wie vorher abgemacht mit dem Rad.
Rund 100 Kilometer lang ist die Etappe mit rund 500 Höhenmeter. Da für den späteren Nachmittag stärkerer Wind vorausgesagt wird, starten wir schon um 9 Uhr, haben dann aber die Gewissheit, den Nachmittag entspannt ausruhen zu können. Die härtesten Etappen unserer Plantur Femmes Tour liegen ja noch vor uns.
Dem Wind trotzen wir mit unserem neu erlernten „Formationstanz“ – dem Belgischen Kreisel. Hier steckt nur immer eine von uns für ein paar Sekunden die Nase in den Wind und wird dann sofort wieder abgelöst. Wir haben das zwar schon am Vortag geübt, aber heute klappt es viel besser, weil jede von uns die Technik jetzt auch in der Praxis anwendet. So erreichen wir eine angenehme Reisegeschwindigkeit, ohne dass sich eine von uns zu sehr verausgaben muss.
Dementsprechend super ist auch die Stimmung. Ohne jegliche Zeitnot halten wir sogar noch an einem riesigen knallroten Mohnblumenfeld an und snacken, während wir die einzigartige Szenerie genießen.
Etwa später müssen wir allerdings nochmal unsere Cross-Skills unter Beweis stellen. Nicht dass wir einen „falschen“ Weg eingeschlagen hätten, wie am Vortag als die asphaltierte Straße in einen Mountainbike-Trail überging. Nein, dieses Mal hat der Wind am Radweg am Seine-Kanal einige Bäume umgerissen, sodass wir zwei Mal unser Rad schultern müssen, ehe es weitergeht.
Am frühen Nachmittag erreichen wir dann das Städtchen Troyes, das den kleinen Ortschaften, die wir heute passiert haben, an Verträumtheit in nichts nachsteht. Aber „unser“ bekanntes Ibis-Hotel gibt es – allerdings frisch modernisiert – auch hier.
Wie geplant, haben wir den Nachmittag Zeit, um nach dem Duschen ausgiebig zu chillen, uns zu regenerieren, ob auf der Blackroll oder martialisch mittels Massage-Pistole, oder die Kohlenhydratspeicher im Peter-Sagan-Stil mit Gummibärchen aufzufüllen. Nach einer ausgedehnten Siesta geht es zum Abendessen – ins Restaurant. Dieses Mal waren wir so schlau und haben reserviert.
Etappe 4 der Plantur Femmes Tour: Troyes – Chaumont
Der Regen verfolgt uns – und macht auch unsere minutiösen Planungen zunichte. Eigentlich sollte er spätestens um kurz vor neun Uhr heute Morgen vorübergezogen sein, aber jetzt um Punkt neun, fängt es erst so richtig an zu regnen.
Da wir uns auf herrlichstes französisches Sommerwetter eingestellt haben, und nicht alle von uns fully equippt sind, gehen wir erstmal shoppen – in den örtliche Radladen. Dessen Besitzer weiß gar nicht wie ihm geschieht, macht aber binnen Minuten das Geschäft seines Lebens, Ass Saver, Überschuhe, Regenjacken und Verpflegung wird von uns gekauft. Zum Dank bekommen wir noch `ne große Tüte voller Riegel und Gels und jede Menge guter Wünsche für unseren weiteren Weg in Richtung La Super Planche des Belles Filles. Jetzt aber nichts wie weg beziehungsweise in den Sattel. Mit über einer Stunde Verspätung fahren wir in Troyes los. Und was passiert? Der Klassiker, kaum sind wir komplett in Regenbekleidung gehüllt, hört der Regen auf. Na, vielen Dank auch.
Vor uns liegt die vierte Etappe der Tour de Frances Femmes, die über einige Gravelsektoren verläuft, und bei den Profi-Frauen Spannung verspricht. Bei uns auch, denn nicht jede von uns gravelt.
Los geht die Fahrt ins Ungewisse. Die Sonne kommt zum Vorschein und die erste Rampe empfängt uns zwischen den Weinbergen, gefolgt vom ersten Gravelsektor – oder „Chemins Blancs“ wie die Franzosen de weißen Schotterstraßen bezeichnen. Ihr Schotter ist durchaus etwas gröber als der der berühmten Strade Bianche in der Toskana und wir müssen schon schauen, wie wir uns zwischen den spitzen Steinrbocken den Weg bahnen. Zumeist verlaufen die Gravelabschnitte leicht abfallend beziehungsweise mit nur wenig Gefälle.
Durch den immer wieder wechselnden Untergrund, die malerische Umgebung und dem guten Wetter verfliegt die Zeit wie im Flug und die steilen Rampen zwischendurch fühlen sich gar nicht so schlimm an.
Obwohl wir nicht tubeless unterwegs sind, zählen wir nur zwei Platten, den letzten 1,2 Kilometer vor dem Hotel. Im Tagesziel fühlen wir uns ein wenig wie kleine Tour-Heroinnen.
Da wir auf dem Weg eine Straßensperrung umfahren mussten, zeigt das Display am Ziel in Chaumont 150 Kilometer und 1500 Höhenmeter an. Apropos Display. Beim allabendlichen Hochladen und checken der Strava-Files – denn was nicht auf Strava steht, ist ja auch nicht passiert – , macht Nora eine ungeheuerliche Entdeckung. Johanna hat sich so nebenbei unterwegs einen QOM gesichert und war sogar schneller als Annemiek van Vleuten beim Recon. Also WorldTour-Team aufgepasst: Wir haben hier ein bislang unentdecktes Talent in unseren Reihen.
Etappe 5 der Plantur Femmes Tour: Chaumont – Saint-Dié-des-Vosges
Die längste Etappe unser Plantur Femmes Tour steht an. 165 Kilometer mit 1900 Höhenmeter führen uns von Chaumont nach Saint-Dié-des-Vosges. Die Wettervorhersage und das Regenradar verspicht wenig Berauschendes. Dauerregen ab 11 Uhr. Daher sind wir auf der Flucht, starten schon um acht Uhr. Heute nur zu fünft, da sich Marie-Louise nicht gut fühlt und für diesen Tag ins Begleitfahrzeug steigt.
Der Morgen zieht sich, da unsere Beine noch müde und schwer sind – und das mit dem Einrollen funktioniert bei keiner von uns auf den ersten 30 Kilometern so richtig. Kein Wunder, müssen wir doch 500 Höhenmeter überwinden. Langsam nehmen wir etwas mehr Schwung auf und es läuft besser. Da liegt wohl auch daran, dass unerwarteter Weise ein Gravelsektor vor uns liegt, der für etwas Abwechslung sorgt zu den ewig weiten Feldern und den Wäldern.
Kurz vor Vittel, der Stadt des Wassers, sammeln wir uns kurz, da wir auf Gravel doch recht unterschiedlich schnell unterwegs sind. Wie wir dastehen und warten, kommt ein freundlicher Franzose auf uns zu, übergibt uns einen Six-Pack Vittel und wünscht uns, dass wir damit noch weit kommen! Wir sind echt begeistert über so viel Gastfreundschaft – aber Vittel hat zur Tour ja einige „gute Verbindungen“.
Vittel, das Wasser, ist nicht nur Sponsor von „Grand Boucle“, sondern die Stadt Vittel war im Laufe der 120-jährigen Geschichte der Frankreich-Rundfahrt schon oft Start-, Durchfahrts- oder Zielort. Und da Wasser alleine ja noch keine Mahlzeit ist, legen wir kurz später noch ein zweites Frühstück ein. Nachdem das am Vortag so gut angekommen ist, haben die Jungs zusammen mit Marie-Louise am Morgen Brot und Aufschnitt eingekauft und offerieren uns dann frisch geschmierte Baguettes am Wegesrand.
Der Plan mit dem frühen Aufstehen zahlt sich aus, die ersten 100 Kilometer sind wir trockengeblieben. Dann beginnt es zu regnen. Marie-Louise übernimmt den Part einer Soigneurin par excellence. Hilft uns beim Anziehen der engen Überschuhe, reichts uns die Regenjacken und Sweets und motiviert uns. Weiter geht’s.
Pitschnass sind wir trotz der am Vortag gekauften Ausrüstung. Nach 150 Kilometern und unzählige „Rolling Hills“ gehen bei Nora sogar die Beine auf, wie sie selbst sagt. Am Ende laufen wir erschöpft, aber glücklich in Saint-Dié-des-Vosges ein. Die Vogesen haben wir erreicht. Vive la Tour.
Ganz ehrlich: In den vergangenen Tagen haben wir einen Eindruck davon bekommen, wie es den Profis so ergeht, wenn sie tagelang durchs landwirtschaftliche Frankreich fahren. Abwechslung sieht anders aus und das Ganze ist auch ein bisschen ein Kampf gegen die Langeweile. Gut, dass wir uns sechs haben und so auch jede Menge Spaß.
Etappe 6 der Plantur Femmes Tour: Saint-Dié-des-Vosges-Sélestat
So das ist also unser „Restday“. Ganz ehrlich – für die meisten von uns ist es nur ein halber Ruhetag, denn bevor wir faulenzen dürfen, sind dann doch 60 Kilometer mit knapp 1000 Höhenmeter abzuspulen. Oder wie Linda zu diesem Tag sagt: „Endlich mal ein ganz normaler Fahrradtag!“
Einen Vorteil hat das Ganze aber. Wir dürfen ausschlafen und starten erst gegen halb elf. Obwohl es nachts noch geregnet hat, verzogen sich die Wolken am Morgen und wir starten mit Sonne auf diese Etappe.
Sie führt uns von Saint-Die-des-Vosges nach Schlettstadt im Elsass beziehungsweise Sélestat, wie das Städtchen im Französischen heißt, Damit wir nicht zu übermütig werden stehe einige Anstiege im Roadbook und auch ein kleiner Schauer kühlt uns dann ab. Aber die Vorfreude ist zu groß, auf da was kommt.
Nach dem letzten Berg des Tages in Ribeauvillé machen wir Pause – so richtig mit Mittagessen im Restaurant und nicht auf der Wiese oder der Ladekappe unseres Bullys. Auch das kleine Städtchen wird besichtig, ehe wir auf den finalen 20 Kilometern durch die Weinberge am Fuße der Vogesen „cruisen“. Am Ziel erwartet uns dieses Mal auch nicht das typische Ibis, sondern eine familiengeführte Auberge mit Pool.
Der ist für den Rest des Nachmittags unser und die Gedanken an den nächsten Tag – die Königsetappe durch die Vogesen – sind erst mal in Weite ferne gerückt.
Etappe 7 der Plantur Femmes Tour: Sélestat – Le Markstein
Die Queens-Stage unserer und auch der der Profi-Frauen führt über drei ganz anständige Tour-Berge in den Vogesen: Petit Ballon, Col du Platzerwasel und den Grand Ballon. Insgesamt 2800 Höhenmeter verteilt auf 137 Kilometer. Ein fettes Brett also – und wir haben vor dem Start dieses Abschnitts ja auch schon einiges an Höhenmeter und Kilometer in den Beinen.
Die Wettervorhersage verheißt für heute nur Gutes: sonnig und warm. Es wird also nicht episch mit Platzregen und Unwetter, aber wir wollen ja auch Spaß haben, wenn schon die Straße steigt. Und das tut sie nach rund 30 Kilometer langem Einrollen zum Fuß der Vogesen.
Wenn Petit Ballon auch harmlos klingt, kann der gar nicht so Kleine es mit den Großen aufnehmen. 9,3 Kilometer mit durchschnittlich 8,1 Prozent Steigung sind die offiziellen Angaben. In Wirklichkeit steigt die Straße aber viel früher an. Jede fährt berghoch, wie auch immer bergab ihr eigenes Tempo und wir treffen uns dann immer wieder.
Teilweise alleine teilweise im Duett klettern wir die langen Anstiege hoch. Jede hat auch ihre eigene Taktik. Marie-Louise denkt nur von Anstieg zu Anstieg, Linda schöpft Motivation aus besonderen Momenten – mehr dazu später, und Nora freut sich von Tag zu Tag mehr und strahlt, egal wie steil oder heiß es ist.
Von Gipfel des 1163 Meter kleinen Belchens – wie er auf Deutsch heißt – haben wir einen grandiosen Blick über das Rheintal bis hin zum Kaiserstuhl.
Nach kurzer Abfahrt auf einer alles andere als idealen Straße beginnt der nächste Anstieg: Über den Col du Platzerwasel führt die Straße nach Markstein. Zwei Anstiege haben wir in den Beinen und jede hatte so mit sich und ihren Wehwehchen zu kämpfen: Rücken, Füße, Knie, Hitze – doch niemand jammert oder steigt aus.
Dabei wäre es jetzt so einfach. Hier in Markstein haben wir die einmalige Chance, die Etappe zu beenden. Markstein ist nämlich Etappenziel. Oder aber wir fahren wie im Roadbook der Tour de France Femmes angegeben noch „eine Runde“ und klettern von der anderen Seite über den Grand Ballon wieder hier hoch.
Die Antwort ist jedoch für alle klar: ganz oder gar nicht! Also auf perfekt asphaltierter Straße surfen wir runter zum Lac de Kruth. Von dort nehmen wir dann über Weiler wieder den Grand Ballon in Angriff. Johanna fliegt wie immer den Berg hoch und zeigt keine Anzeichen von Müdigkeit.
Wir anderen müssen da schon mehr mit uns kämpfen. Nicht nur die Muskeln schmerzen, auch der Magen streikt aufgrund der vielen süßen Energielieferanten unterwegs. Aber wir ziehen durch.
Überglücklich und vor allem hungrig kommen wir am Hotel an. Am Abend feiern wir unseren Pässe-Ritt in einer urigen Almhütte und es wird gemunkelt, dass Linda am Anstieg ein paar Männer überholt hat, die in der Ebene an ihr vorbeigefahren sind und dass Lara dem einen oder anderen Mann gezeigt hat, wie Frau schnell und sicher bergab fährt.
Etappe 8 der Plantur Femmes Tour: Le Markstein – La Super Planche des Belles Filles
Die letzte Etappe liegt vor uns. Und uns allen ist es ein bisschen wehmütig ums Herz. Zwar schreien unsere Beine nach Pause und Urlaub, doch in dieser einen Woche sind wir sechs wildfremde Mädels zu einem richtigen Team zusammengewachsen – bis auf ein paar vereinzelten Auseinandersetzungen am Anfang der Tour war es sehr harmonisch und vor allem ironisch.
Apropos eine Woche – unglaublich wie schnell die Zeit verging, aber auch, dass wir gar kein Zeitgefühl mehr besitzen. Uns wurde vorhin prophezeit, dass wir nicht mehr wissen würden, welchen Tag wir haben und in welchem Hotel wir gerade sind – und genau das traf ein. Wir können jetzt nachempfinden, wie ein Profi sich auf einer Etappenfahrt fühlt – zumindest mental.
Unsere letzte gemeinsame Etappe führt uns von Markstein über den Ballon d‘Alsace hinauf zum berühmt-berüchtigten Super Planche des Belles Filles. Der Anstieg, an dem Primož Roglič 2020 in einem dramatischen Zeitfahren sein Gelbes Trikot gegen Tadej Pogačar verlor. Allerdings fuhren die beiden nur zum Planche des Belles Filles hoch– in diesem Jahr führt die Etappe noch über einen weiteren Gravelabschnitt mit mehr als 20 Prozent; ein Grund, warum der Anstieg jetzt den Beiname „Super“ erhalten hat.
Rund 90 Kilometer mit gut 1700 Höhenmeter liegen vor uns. Abwärts führt die Strecke vom Start in Markstein zum Lac de Kruth. Schon sehr angenehm, wenn die ersten Kilometer ohne jegliche Anstrengung geradezu verfliegen; einige von uns schießen förmlich bergab und können wohl kaum die Anstiege erwarten.
Vom Lac de Kruth führt uns das Roadbook zum Anstieg des Ballon d‘Alsace. Trotz seiner acht Prozent Steigung im Schnitt und unseren müden Gliedern kurbeln wir dort flüssig hoch. Oben angekommen füllen wir nochmal die Flaschen auf und machen uns dann auf zum Grande Finale am Super Planche des Belles Filles.
Auf der Abfahrt vom Ballon d‘Alsace kurbeln wir die Beine wieder locker und pedalieren entspannt an den Fuß des mittlerweile legendären Anstiegs. Die Einheimischen nennen es bereits ihr „Alpe d‘Huez“. Sechs Mal fuhr die Tour de France hier bereits hinauf. Angekündigt sind 6 Prozent im Schnitt plus eine letzte, sehr steile Schotterrampe mit bis zu 24 Prozent.
Doch der Einstieg hat es in sich. Eine Wand mit 13 Prozent türmt sich auf und und der kleinste Gang ist gerade richtig, um vorwärtszukommen. Von dem entspannten Anstieg, den wir uns vorher ausgemalt hatten, ist weit und breit nichts zu sehen und zu spüren. Naja, so ist das eben mit den Angaben im Internet. Wir bündeln nochmal all unsere Energie, feuern uns gegenseitig an und bezwingen auch diesen Berg inklusive aller Rampen auf Teer und Schotter.
Glücklich, erleichtert und vor allem sehr stolz fallen wir uns in die Arme und feiern mit einer Sektdusche unsere starke Leistung der vergangenen acht Tage auf dieser Plantur Femmes Tour. Ein Erlebnis, das wir sechs sicher nie vergessen werden.
PS: Wir sind schon dabei, uns was neues Verrücktes zu überlegen.
Fotos: Sebastian Friedrich