Dead Ends & Cake 2022: Ein Bikepacking-Abenteuer mit Genuss
Für ein Stück Kuchen den Berg hochfahren und dann wieder auf demselben Weg ins Tal und das ganze gleich fünf Mal. Das ist – zugegeben stark vereinfacht – das Konzept des Bikepacking-Events Deads End & Cake, das 2022 bereits zum zweiten Mal stattfand. Alpecin Ride Captain Melina Borgmann war bei beiden Austragungen am Start und schildert in ihrem Erfahrungsbericht, wie es ihr 2022 erging – und warum Dead Ends & Cake mehr als nur Kuchen essen und Rad fahren ist.
„Radtouren und Kuchen bilden eine Kombination, die für viele genauso zusammenhängt, wie Sonntagabend mit Tatort. So wird ein Kuchenstück auf längeren Ausfahrten schnell zum lang ersehnten Energielieferanten, der mehr Konsistenz und Kulinarik zu bieten hat, als die üblichen Gels und Riegel. An anderen, unmotivierteren Tagen bietet der obligatorische Stopp beim Lieblingscafé überhaupt erst den einen überzeugenden Grund, aufs Rad zu steigen.
Doch egal, zu welchem Typ Du Dich jetzt zählst – hast Du Dir schon einmal die Frage gestellt, wie weit Du für ein Stückchen Kuchen fahren würdest?
Dead Ends & Cake: 500 Kilometer, 5 Kontrollpunkte, mindestens 5 Stücke Kuchen
Wie viele Strapazen wärest Du bereit auf Dich zu nehmen, um an den atemberaubendsten und abgelegensten Orten der Ostschweiz ein süßes Teilchen zu dinieren?
Für alle, die dieser Frage auf den Grund gehen möchten, empfiehlt sich das Dead Ends & Cake – ein Bikepacking-Event mit Start und Ziel in St. Gallen in der Schweiz.
Die Veranstaltung, welche als klassische Schnapsidee begann, ließ dieses Jahr bereits zum wiederholten Male das Herz von Snackenthusiasten und Kuchenliebhabern der Fahrradszene höherschlagen.
Das Grundprinzip ist denkbar einfach. Auf einer Distanz von ungefähr 500 Kilometern mit ca. 9000 Höhemetern geht es darum, fünf Stationen abzufahren, einen Stempel zu kassieren und natürlich Kuchen zu essen. Schließlich ist Velofahren ohne Kuchen einfach sinnlos. 😉
Normalerweise wäre der Kuchen nach den langen, aber landschaftlich wirklich eindrucksvollen Anstiegen schon Grund genug, um dabei zu sein. Allerdings gibt es neben dem Süßkram noch eine Vielzahl an anderen Dingen, die diese Veranstaltung zu etwas ganz Besonderem machen und ihr einzigartiger Charme verleihen.
Dead Ends & Cake: freie Routenwahl zu den Checkpoints in den Sackgassen
Im Vergleich zu anderen Bikepacking-Events lässt einem das Reglement recht viele Freiheiten. Ob Du mit einem Rennrad, Gravelbike oder Mountainbike startest, bleibt Die genauso überlassen, wie die Wahl Deiner Route und die Reihenfolge wie Du Deine jeweiligen Checkpoints anfährst.
Apropos Checkpoints – diese liegen, wie der Name Deadends & Cake schon vermuten lässt, natürlich nicht einfach irgendwo, sondern am Ende von in Sackgassen.
Diese Straßenart wird bei der alltäglichen Tour beziehungsweise Routenplanung üblicherweise eher gemieden. Jedenfalls kenne ich nicht viele, die freiwillig den gleichen Weg, auf dem sie kommen, auch wieder retourfahren möchten. Am Eventwochenende gehören Sackgassen aber einfach zum Programm und schaffen einen weiteren Anreiz für die Teilnahme. Meistens sind es dann kleine, in den Felsen geschlagene Sträßchen, steile Alpwege und rustikal gesprengte Tunnels, die Dich praktisch verkehrsfrei bis hoch auf die Alp oder ans Ende des Tals führen.
Dadurch bedingt, kämpfst Du unterwegs regelmäßig mit Steigungsgraden, die die Anzeige Deines Radcomputers garantiert rot aufblinken lassen. Gleichzeitig verlierst Du Dich in den Weiten der Schweizer Berge und der Imposanz ihrer Tierwelt. Was kann es Schöneres geben als ein Dutzend Murmeltiere, die einem nach 19 Kilometer Anstieg mit 1800 Höhenmeter den Weg zum Frühstückskuchen geleiten?
Spätestens in diesen Momenten realisiert man, dass die Welt auch in Sackgassen nicht immer zu Ende sein muss! Wer Routen abseits von fein asphaltierten Straßen nicht scheut, findet vielleicht sogar einen Weg am Ende des Tals oder auf der anderen Seite des Berges. Den Entdeckern gehört schließlich die Welt!
Die Vorbereitungen auf das Rennen ähneln dadurch ein wenig den Vorbereitungen für einen Abend mit Gästen. Spätestens in der Küche stehst Du vor einer ähnlichen Wahl; Entscheidest du dich für das „Geling sicher“-Rezept von Oma, oder gehst Du „all-in“ und vertraust auf ein neues, hippes Rezept aus irgendeinem Internetblog?
Beides kann selbstverständlich Vor- und Nachteile mit sich bringen und es kommt darauf an, ob Du bereit bist zu pokern. In diesem Jahr war die Versuchung auf alle Fälle groß, beim Glücksspiel in Sachen Tourenplanung mitzugehen. Auf der Karte trennten nämlich nicht einmal sechs Kilometer Luftlinie den Checkpoint der Alp Nurdagn und den des Safientals. Allerdings war die Alp für mich seit der Planung von allen Stationen diejenige gewesen, der ich den meisten Respekt entgegenbrachte. Der Weg führt nämlich auf über 2340 Meter Höhe in alpines Gelände. Die sechs Kilometer „Abkürzung“ zum anderen Checkpoint hätten aus der ganzen Bikepacking-Sache also zusätzlich ein spektakuläres Bike & Hike-Abenteuer gemacht.
Normalerweise hätte ich als „Wahlallgäuerin“ gegen einen kleineren Hike nicht mal etwas einzuwenden gehabt, aber eine Wanderung über den Farcletta digl Lai Grand auf 2700 Meter mit Gepäck und Gravelbike war mir dann doch eine Nummer zu extrem. Zumal Ende Juni die Chancen für Schnee dort oben noch recht hoch sind und eigentlich schon aus Sicherheitsgründen von dieser Passage abgeraten wurde.
Somit trotzte ich der Versuchung durch eine Wanderung wie dieser 80 Kilometer und 1200 Höhenmeter an Weg einzusparen und genoss stattdessen mit jeder Kurbelumdrehung die grandiose Aussicht auf die Berge des Naturparks Beverin und die Moorlandschaften rund um die Alp Anarosa, eine der höchstgelegenen Alpweiden der Schweiz.
Man sagt zwar immer, dass besonders spektakuläre Routen die Grundlage eines richtigen Abenteuers sind, aber spätestens, nachdem ich die Bilder meiner Mitstreiter von ihren Wanderungen über die Gipfel rüber ins Safiental sah, wurde mir klar, das wäre keine Option gewesen! Vor allem nicht bei dem Wetter von Freitag…
Dead Ends and Cake: bei der zweiten Auflage waren 90 Teilnehmer am Start
Es ist und bleibt jedes Mal wieder faszinierend zu sehen, wie die insgesamt 90 Starter in diesem Jahr (50 Single-Fahrer und 20 Zweier-Teams) wieder komplett unterschiedliche Ansätze fanden, das Rennen, um eines der begehrten Kuchenstücke zu bestreiten. An irgendeiner Stelle kommt schließlich immer wieder die gleiche Frage auf: Gönnst Du Dir großen Komfort oder leichtes Gepäck? Das eine geht nicht ohne das andere. Wieviel Luxus darf es unterwegs sein und was war ich bereit, die 9500 Höhenmeter in meiner Route auch bergauf zu transportieren?
Nachdem ich in diesem Jahr schon das zweite Mal dabei war und als Wiederholungstäterin galt, gab es aus meiner Sicht einiges zu optimieren. Hätte ich mit meinem Set-Up aus 2021 wahrscheinlich ohne Probleme beim Transcontinental-Race mitfahren können, wollte ich es jetzt etwas schmaler halten. Nur das Nötigste sollte mit. Ich wollte noch schneller unterwegs sein können und setzte auf die milden Temperaturen, die dazu einluden, das Gepäck auf ein Minimum zu reduzieren. Wenn es nötig sein sollte, so würde sich garantiert irgendwo draußen ein Schlafplatz finden.
Ich fing also an einzupacken; außer zwei Jerseys, einer Bibshorts, einem Baselayer, Handschuhen und Beinlingen nicht viele Klamotten. Okay zugegeben, die große Ausnahme bildeten drei dünne Wind/Regenjacken und Überschuhe. „Warum es denn gleich drei Stück sein mussten“, durfte ich mir einen Tag vor Abreise noch von diversen Freunden und selbsternannten Bikepacking Experten anhören…
Als es direkt am Freitagvormittag dann allerdings anfing zu regnen, als ich meinen ersten Checkpoint erreichte, wusste ich genau, warum drei Jacken eine gute Wahl waren.
Wie oft habe ich den Spruch gehört, es gibt kein schlechtes Wetter, sondern allenfalls schlechte Kleidung?
Allen Kritikern zum Trotz war ich also vorbereitet. Nur nicht für den „Worst Case“ – nämlich den restlichen Freitag komplett im Regen zu fahren.
Auf dem Weg zum zweiten Kuchenstopp in ein kleines fast vergessenes Dörflein namens Sankt Martin überlegte ich zum ersten Mal, ob es Sinn ergeben würde, die Reihenfolge der Checkpoints zu tauschen und umzuplanen. Völlig nass geregnet auf die Alp Nurdagn hinaufzufahren, wäre wahrlich keine Freude gewesen.
Erstmal genoss ich jedoch so gut es ging die Fahrt im Gebiet des UNESCO-Welterbes Tektonikarena Sardona. Das neben dem alten winzigen Dorf von 1312 einzigartige Einblicke in die Entstehungsgeschichte der alpinen Berge und Täler erlaubt.
Abgesehen von geologischer Geschichte zum Anfassen lernte ich an diesem Tag, dass mit blau unterkühlten Lippen selbst das schönste Stückchen Erdbeer-Vanille-Kuchen nur noch bedingt Geschmacksexplosionen im Mund auslösen kann.
Während andere Fahrer die Gelegenheit daher nutzten und sich in der warmen Stube des Dorfes aufwärmten, wollte ich auf jeden Fall weiter. Sitzenbleiben wäre sicherlich verlockend gewesen, aber nach einem Blick auf den Regenradar ohne eine Besserung in Sicht, zog ich es vor, den Weg ins etwas weniger hoch gelegene Safiental anzutreten.
Hier, wo die Berglandschaft Meter um Meter eindrücklicher wird, wollte ich den legendären Apfelkuchen im Turrahus genießen und bildete mir ein, dass der Regen einem bestimmt irgendwann gar nicht mehr so sehr auf die Nerven gehen würde.
Als ich gegen 18:45 Uhr dort ankam, war meine Zwangspause laut Regenradar besiegelt. Es sollte starke Gewitter geben und erst um Mitternacht wieder aufhören zu regnen. Ich traf in der Stube des Turrahus wieder auf ein paar gleichgesinnte Fahrer, die mit Decken umhüllt und leicht verfrorenem Gesicht vorschlugen das Event doch gleich in „Sackgassen und Suppe“ umzubenennen. Es war also klar, was ich an diesem Abend zu Essen bestellte. Danach mietete ich mich kurzerhand noch in ein klassisches Matratzenlager auf dem Dachboden ein, um eine heiße Dusche in Anspruch nehmen zu können.
Gegen 2:30 Uhr nachts wollte ich wieder aufbrechen, um die letzten beiden Kuchen einzusammeln. Die Gesamtdistanz war mittlerweile ebenfalls auf 280 Kilometer und 4200 Höhenmeter zusammengeschrumpft und ich sollte am Folgetag auch keine weiteren Pausen mehr einlegen.
Dead Ends and Cake: Auf die Wasserschlacht folgt die Hitzeschlacht
So fuhr ich das erste Mal überhaupt 280 Kilometer mit Gepäck. Von den Höhenmetern an dieser Stelle ganz abgesehen. Die Sonne wollte am zweiten Tag ausgenutzt werden und so folgte auf die Wasserschlacht vom ersten Tag eine Hitzeschlacht bei 30 Grad, mit der ich besser zurechtkam.
Plötzlich war ich einfach im Rausch. Ich genoss jede Minute auf dem Rad, fuhr von einem schönen Fleck wie dem Walensee zum nächsten und stellte Geschwindigkeitsrekorde beim Boxenstopp in der Tankstelle auf, um ein paar weitere Snacks zu kaufen. Samstagabend um 21 Uhr konnte ich meinen Radcomputer nach fast 16 Stunden Fahrzeit an diesem Tag stoppen und war zurück im Ziel. Zurück in St. Gallen.
Kommt man nun zur alles entscheidenden Frage zurück, wie weit man für ein Stück Kuchen fahren beziehungsweise in diesem Jahr gefühlt auch gerne mal schwimmen würde, dann sind 455 Kilometer mit 9450 Höhenmetern auf jeden Fall eine perfekte Länge, um es herauszufinden.
Mein persönliches Ziel war es, schneller zu sein als im Jahr zuvor und meine eigene Zeit zu schlagen. Mit 27,5 Stunden aktiver Fahrzeit ist mir das sogar besser gelungen als erwartet. Innerhalb der Platzierungen erreichte ich den 5. Platz bei den Frauen und 13. Platz Overall.
Dead Ends and Cake: Super Stimmung unter den Teilnehmern und dem Orga-Team
Doch um ehrlich zu sein, geht es bei Dead Ends & Cake gar nicht mal nur um Sackgassen und Kuchen. Denn wenn man den Enthusiasmus der Teilnehmer, Supporter und Kuchenfreunde an diesem Wochenende miterlebt, wird der „Cake“ zur schönsten Nebensache der Welt.
Viel mehr sind es die verrückt, lustigen Zusammentreffen von neuen und alten Gesichtern. Von Menschen, die sich gegenseitig unterwegs zuwinken und dank der ausgeteilten „Startersocken“ von weitem schon gut zu erkennen sind. Es geht um die Volunteers, die Dich an jedem Kuchenstopp mit einem Lächeln empfangen, Deinen Geschichten von harten Anstiegen und schnellen Abfahrten lauschen und Dich mit einem kurzen Lied auf der Ukulele motivieren, wenn Du gerade eher für ein Steak mit Pommes weiterfahren würdest, aber nicht mehr für ein Stück Kuchen.
Dead Ends & Cake ist multikulti, familiär und das Finisher-Barbecue am Sonntag mittlerweile eine Party für sich. Wenn der Bäcker um die Ecke also das nächste Mal leider keinen Kuchen mehr für Dich in der Auslage parat hat, dann lohnt sich möglicherweise eine kleine Entdeckungsrunde mit Abstecher in einer Sackgasse?
Denn nicht vergessen, die leckersten Kuchen warten hinter extremen Steigungen oder aber nach extremen Wetterlagen auf dich. Versprochen 😉“
Fotos: Tobias Schürer und Jonas Traber