Radbeherrschung? Kein Problem!
Haarnadelkurven, steile Abfahrten, Hand vom Lenker nehmen – typische Situationen, in denen sich einige Rennradfahrer nicht ganz sicher fühlen. Tipps, um das mulmige Gefühl im Sattel zu vertreiben.
Radfahren macht glücklich. Das bestätigen verschiedene Studien, unter anderem eine aus dem Jahr 2018. In der fühlten sich die Probandinnen und Probanden, die sich regelmäßig auf den Fahrradsattel schwangen, an knapp 22 Prozent weniger Tage pro Monat psychisch schlecht als diejenigen, die körperlich nicht aktiv waren.
Manchmal weicht auf dem Rennrad das Glück aber temporär auch einem mulmigen Angstgefühl – vor allem bei Einsteigern, mitunter aber auch bei routinierteren Radsportlern. In gefährlichen Situationen, zum Beispiel im Straßenverkehr mit anderen, meist motorisierten Verkehrsteilnehmern, mögen diese Angst und etwas Vorsicht durchaus berechtigt sein.
Es gibt aber auch an sich harmlose Situationen, die schlicht deswegen Angst machen, weil man sie noch nicht kennt, nicht einschätzen kann oder nicht weiß, wie man sich am besten verhält. Wie sich die gängigsten davon üben und entschärfen lassen, weiß Tino Zieger, ehemaliger Radrennfahrer und Besitzer des Radladens Elbbikes in Pirna
Fahren mit Klickpedalen
Speziell Rennradneulinge sind zu Beginn häufig noch unsicher, wenn es um das Fahren mit Klickpedalen geht: Komme ich an der Kreuzung schnell genug raus? Denke ich rechtzeitig daran, dass ich ausklicken muss … Vielleicht ist es schon beruhigend zu wissen, dass die meisten Rennradler wegen ihrer Klickpedale schon einmal umgekippt sein dürften. Manche behaupten sogar, man wäre erst dann ein richtiger Rennradfahrer, wenn man sich mindestens einmal unfreiwillig (und eingeklickt) auf die Matte gepackt hat.
Den Umgang mit Klickpedalen und die Automatisierung der Ein- und Ausklickbewegung lässt sich am besten einüben, indem man sich mit ihnen auseinandersetzt. Und zwar nicht erst an der ersten roten Ampel, sondern zunächst einmal, indem man sich an einer Mauer oder Ähnlichem festhält und das Ein- und Ausklicken im Stand übt.
„Die ersten paar Mal kann man dabei noch nach unten schauen, danach sollte man den Blick aber nach vorn richten. Das muss man später im Straßenverkehr ja auch, sonst übersieht man vielleicht Gefahren“, rät Tino Zieger.
Klappt die Grundbewegung gut, ist es sinnvoll, auf einer überschaubaren Fläche fahrend zu üben, zum Beispiel in einer Hofeinfahrt oder auf einem leeren Parkplatz. Gegebenenfalls lässt sich das Auslösemoment für die meisten Systempedale auch verringern, sodass Fahrer oder Fahrerin den Fuß leichter freibekommt. „Wenn am Anfang noch Unsicherheit besteht, empfehle ich, schon in der Anfahrt auf eine Ampel oder Kreuzung auszuklicken, also recht früh. Man muss erstmal ein Gefühl für das Rad bekommen. Jeder hat mal angefangen“, beruhigt Zieger.
Flasche während der Fahrt greifen
Der Hals wird immer trockener, aber die komplette Gruppe ausbremsen, weil man zum Trinken anhalten muss? Dann lieber durstig bleiben. Oder, die deutlich bessere Option: Üben, die Flasche während der Fahrt zu greifen und wieder in den Flaschenhalter zu stecken.
„Auch hier gilt: Viel hilft viel“, erklärt der Elbbikes-Chef. Er empfiehlt, auf einer verkehrsfreien Fläche kleine Kreise zu fahren und dabei immer mal wieder eine Hand vom Lenker zu nehmen. Auch einhändig um kleine Hindernisse herumzukurven und sich erstmal nur Richtung Unterrohr hinunterzubeugen, ohne die Flasche zu greifen, verbessere das Gefühl für das Rad.
Wer sich unsicher fühlt, kann dies auch erstmal ohne Klickpedale in Turnschuhen machen, damit er oder sie sich ganz aufs Balancehalten konzentrieren kann. Bei der Ausfahrt dann erstmal auf ruhigen, geraden Streckenteilen die Flasche aus dem Halter nehmen, „nicht in Abfahrten, Kurven oder gar Rennsituationen“, mahnt Zieger und ergänzt: „Grundsätzlich sollte man nicht verkrampfen, lieber einmal zurücknehmen und abwarten, als Lockerheit und Freude verlieren.“
Abfahrten meistern ohne Dauerbremsen
Tempo machen? Klar, deswegen hat man sich ja für ein Rennrad entschieden! Während es die meisten im Flachen gern krachen lassen, sieht es bergab mitunter ganz anders aus. Da schleicht sich plötzlich das Gefühl ein, die Kontrolle zu einem gewissen Grad zu verlieren, wenn der Tacho immer höhere km/h-Zahlen anzeigt. Was, wenn ich unvermittelt bremsen muss? Kriege ich die Kurve bei dem Tempo? Und rutschen die dünnen Reifen nicht sofort weg?
„Die Geschwindigkeit sollte auch und vor allem bergab dem Fahrniveau entsprechend sein. Den Umgang mit hohem Tempo kann man nur durch viele, viele Kilometer auf dem Rad lernen. Gerade für Anfänger gilt es, kein Risiko einzugehen. Ein Rennrad verhält sich anders als zum Beispiel ein Trekkingrad“, erklärt Tino Zieger, betont aber auch ab, dass niemand „Angst vor den zu schmalen Reifen zu haben braucht. Der Grip ist eigentlich immer gut gegeben.“
Vorausgesetzt, man fährt vorausschauend. Nur dann erkennt man Sturzrisiken wie Schotter in einer Kurve und hat die Chance zu reagieren, wenn der Straßenbelag sich in Schmierseife verwandelt hat, wie dies nach einem Regenschauer auf Mallorca oft der Fall ist.
Auch wichtig, gerade bei langen Passabfahrten, ist die richtige Kleidung, so der „Elbbiker“. Denn wer friert, verkrampft und kann schlechtestenfalls mit klammen Fingern die Bremse nicht mehr fein dosieren. Deshalb immer eine Weste oder Windjacke mitnehmen und gegebenenfalls auch ein Extrapaar Handschuhe.
Kurven fahren wie auf Schienen
Egal ob sich die Kurve im Flachen oder in einer Abfahrt befindet: „Wenn ich auf sie zufahre, sollte ich als Erstes abschätzen, welchen Radius die Kurve hat. Ist sie langezogen oder macht sie eher zu“, rät Tino Zieger. Entsprechend muss die Durchfahrt erfolgen: als gleichmäßiger Bogen oder eher als sinuskurvenartiger Schwung.
Im normalen Straßenverkehr gilt es zudem, das Risiko zu minimieren, das heißt: Nicht auf die Gegenfahrbahn tragen lassen! Die ideale Kurventechnik beschreibt Tino Zieger folgendermaßen: „Angepasst verzögern, kurveninneres Bein hoch, gerade in sehr engen Kurven erst am Kurvenausgang weitertreten und den Blick zum Kurvenausgang richten.“ Denn dort, wo man hinschaut, lenkt man auch hin.
Wer die Möglichkeit hat, kann ein paar Mal hinter einem erfahrenen Radsportler herfahren, vor allem auf kurvigen Abfahrten, und sich ein bisschen was von ihm oder ihr abschauen: „Wer in einem Abstand von fünf bis zehn Metern hinterherfährt, bekommt ein Gespür für die richtige Linie“, ist der ehemalige Rennfahrer überzeugt.
Bei Rennen nicht unter die Räder kommen
Bei Rennen und Radmarathons herrscht im Startbereich und auf den ersten Kilometern oft heftiges Gedränge. Ganz vermeiden lässt sich das „Mitschwimmen“ im Pulk meist nicht: „Einen optimalen Startplatz, bei dem man sich ganz raushalten kann, gibt es leider nicht“, sagt Tino Zieger.
Am Rand des Feldes geht es aber oft weniger trubelig zu als in der Mitte, weiter hinten ist es häufig ruhiger als ganz vorn, wo um Platzierungen gefahren wird, außen in Kurven ist für gewöhnlich mehr Platz als innen.
„In erster Linie sollte man gerade bei Marathons Ruhe bewahren und in der Anfangshektik nicht die Nerven verlieren. Die Strecke ist lang und abgerechnet wird am Ende“, so der Ex-Rennfahrer und ergänzt: „Man sollte die Weitsicht wahren und schauen, was vorn passiert, nicht neben oder hinter mir. Meist legt sich nach einigen Kilometern die Hatz.“
Hin und wieder dürfe man aber auch Selbstbewusstsein zeigen und mal den Ellbogen rausnehmen, wenn die Situation es erfordert. Natürlich immer im Rahmen des Fairen. Üben lässt sich so ein Wettkampfstart gut mit Sportfreunden auf einem kleinen Platz: „Man kann nebeneinander mal Stehversuche ausprobieren oder so simple Dinge wie auf einer Linie langsam entlangrollen. Hierfür nicht unbedingt die Radschuhe anziehen“, rät Tino Zieger. Und wer mag, kann das sich Batteln auch mal bei einem Ortsschildsprint trainieren, um im „Ernstfall“ sein Sportgerät im Griff und selbst Spaß zu haben. Angst? Doch nicht auf dem Rennrad!
Text: Carola Felchner