Zwift-Rennen – Tipps von Radprofi Philipp Walsleben

12.05.2020

Radprofi Philipp Walsleben vom Team Alpecin-Fenix verrät im Interview, was Zwift-Wettkämpfe von den Straßenrennen unterscheidet, warum ihm das virtuelle Kräftemessen Spaß macht; und er gibt Hobbysportlern Tipps, was sie beim Racen auf Zwift beachten sollten.

Sie sind mehrere Zwift-Rennen gefahren. Wie fällt ihr Fazit aus?
Ich bin ehrlich gesagt positiv überrascht. Anfänglich hätte ich das nicht gedacht, da ich ungern auf der Rolle trainiere. Aber ich habe mich dann technisch wie taktisch reingefuchst. Jetzt finde ich es in dieser Zeit perfekt, um überhaupt Rennen zu fahren und sich mit anderen messen zu können. Für den Hobbysportler ist es aber noch eine viel bessere Alternative, da er ja auf lange Zeit gar keine Rennen bestreiten kann.

Apropos Rennen fahren. Lassen sich Indoor-Wettkämpfe mit Straßenrennen vergleichen?
Da gibt es nicht die eine Antwort. Zwift-Rennen sind kürzer, sie werden auch von der Leistungsabgabe ganz anders bestritten, es gibt viele kleine Details, die vollkommen verschieden sind. Aber wir Profis lieben es, Rennen zu bestreiten und uns mit anderen, messen zu können. Die virtuellen Wettkämpfe geben uns die Möglichkeit dazu. Grundsätzlich: Es ist vom Typ abhängig, ob es einen interessiert oder frustriert. Und: Den Vergleich mit den Straßenrennen sollte man gleich gar nicht ziehen; stattdessen sich der Sache ohne Vorbehalte annehmen. So habe ich es gemacht. Es war und ist immer noch ein Lernprozess für mich. Aber ich bekomme das Gefühl, das ich auch sonst vom Wettkampf kenne und das Adrenalin im Rennen pusht mich.

Es wird immer wieder behauptet, dass das Windschattenfahren komplett differiert?
Ja, das stimmt tatsächlich. Du kannst nicht wirklich einen von Erfolg gekrönten Ausreißversuch unternehmen, da die Gruppe durchs Drafting unglaubliche Vorteile besitzt. Das gleiche gilt, wenn Du einmal abgehängt wirst: Da kommst Du auch nicht mehr wirklich ran. Du kannst nicht wie auf der Straße wieder ranrollen. Das kann Dich jetzt frustrieren und Du kannst darüber lamentieren, oder Du nimmst das als gegeben hin und versucht das in Zukunft zu berücksichtigen.

Wie verändert sich das Fahren an sich?
Du musst bereit sein, viel öfter Spitzen zu fahren. Also wirklich mal bedingungslos anzutreten, nur um beispielsweise an der Spitze der Gruppe zu fahren oder eine Welle hochzufahren. Wenn man sich die Grafiken mit den Leistungswerten der Zwift-Cracks anschaut, dann erkennt man schnell, dass ihre Rennen von Spitzen- und Erholungsphasen geprägt sind, selbst wenn sie im Feld fahren. Diese Taktik ist erfolgreicher, als stumpf versuchen einen konstanten Wattwert zu treten. Letzteres funktioniert bei Zwift einfach nicht. Und da ist es natürlich wichtig zu lernen, wann man die Beine hängen lassen darf und wann eben nicht. Es gibt auch leichte Verzögerungen bei den Anstiegen. Daher gilt es, vorausschauend zu fahren und nicht erst im Anstieg in die Pedale zu treten. Ähnlich wie dem Positionskampf vor den Hellingen oder Kasseien bei den Frühjahrsklassikern.

Also immer vorne fahren?
Zumindest bei großen Feldern, sonst verpasst Du den Anschluss.

Sie sind mit einigen anderen Profis die Tour for All gefahren, haben auch Bundesligarennen bestritten und sind bei ganz normalen, offenen Zwift-Rennen gestartet. Wie unterscheiden sich diese?
Je kleiner das Feld und je homogener die Leistungsstärke, desto ruhiger das Rennen. Das bedeutet nicht weniger intensiv, aber das Fahren im Feld erinnerte bei der Tour for All mehr einem Straßenrennen. Bei Rennen mit großen Feldern will jeder, der mitkommt vorne fahren. Insofern schiebt virtuell jeder seinen Lenker immer wieder ein bisschen vor den seines Nebenmannes und das Tempo wird schneller und schneller.

Haben Sie und Ihr Team Alpecin-Fenix auch Teamfunk genutzt?
Ja, wir waren mit einer App mit unserem sportlichen Leiter – einem echten Zwift-Profi – verbunden. Er hat uns dann Tipps zur Strecke gegeben und uns auch mitgeteilt, wenn vorne eine Gruppe weg ging und wie viel Watt, die gerade treten. Das war schon enorm hilfreich.

Apropos Streckenkenntnis – wie wichtig ist ein Recon?
Ein Streckenkenntnis ist schon wichtig, da Du als Fahrer wissen musst, wann Du Druck draufgeben musst und wann Du lockerlassen kannst. Gerade das Fahren der Anstiege erfordert schon eine Kenntnis, da Du mit Schwung reinfahren musst. Apropos Schwung – Du musst das Schwungrad des Smart Trainer immer in Bewegung halten. Steht das still oder hast Du eine dicke Mühle gekettet, kommst Du nicht mehr mit – auch bergab mitzutreten, ist deshalb wichtig. Du musst immer in der Lage sein, schnell zu reagieren und antreten zu können.

Die Power-ups sind ein klassisches Gaming-Detail. Wie stehen Sie dazu?
Einige Straßenprofis wie auch mich stört die Beliebigkeit. Du fährst über den Berg und erhältst solch ein Gimmick zufällig – das ist ein bisschen Schade. Entweder Du hast alle „Waffen“ gleich zu Beginn oder eben gar nicht. Es gibt auch Rennen, die ohne Power-ups gefahren werden. Ich könnte mir vorstellen, dass da Zwift noch was ändert.

Auf Instagram haben Sie ein Foto gepostet, das zeigt was Sie alles miteinander verbinden müssen, um loslegen zu können. Sind sie ein Technikfreak?
Das können andere besser beantworten. Aber mir macht die technische Seite schon auch Spaß. Ich will das dann auch beherrschen. Mittlerweile ist der Wahoo Kickr Desk mein sportlicher Arbeitsplatz.

Haben Sie Tipps für Hobbysportler?
Belüftung und Flüssigkeitszufuhr sind eminent wichtig. Es ist nicht notwendig, in einer Pfütze Rad zu fahren. Ich habe das für mich so perfektioniert, dass da keine Wasserlache mehr entsteht und ich nicht über die Maßen schwitze. Denn die Überhitzung raubt Dir halt enorm viel von Deiner Leistungsfähigkeit, das habe ich am eigenen Leib gespürt.
Ich habe dafür den Wahoo Headwind perfekt positioniert, dann mache ich mir vor dem Rennen die Haare nass und ziehe ein in kaltes Wasser getränkte Trikot an. Kostet mich zwar am Anfang Überwindung, wirkt aber. Zusammen mit der Belüftung erzeugt das eine angenehme Verdunstungskälte. Im Rennen selbst trinke ich dann auch viel, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen.

Was sollten Hobbysportler taktisch beachten?
Der Start ist das A und O, denn Du fährst die Lücke, die danach entstehen kann, einfach nicht mehr zu. Deshalb fahre ich mich schon vor dem Rennen 30 Minuten warm und steigere dann in Drei Minuten-Abschnitten die Leistung. Allerdings mache ich dazwischen Pausen, in denen ich gar nicht trete, um nicht so enorm zu schwitzen.
Da Zwift-Rennen mit einem fliegenden Start beginnen, bedeutet das schon vor Beginn aufzudrehen und gleich beim Start loszusprinten, als würde man auf der Straße eine Attacke lancieren. Das tut zwar weh, aber so fährt man gleich vorne mit und vermeidet es, den Anschluss zu verpassen.

Und üben?
Ja unbedingt, Du gewinnst solch ein Rennen nicht auf Anhieb – auch wenn Du gut bist. Ich erinnere mich da an meinen ersten Wettkampf. Ich bin 5 Watt pro Kilogramm gefahren und war jenseits von Platz 30. Der Sieger hat mit 4,5 Watt pro Kilogramm gewonnen – da wusste ich, es gibt Verbesserungspotenzial. Aber das macht es ja gerade so abwechslungsreich.