Die besten Trainings-Tipps für Gravel-Rennen
Mal Schotter, mal Modder, mal flach, mal wellig, mal Waldautobahn, mal Singletrail – ein Gravel-Race bietet unglaublich viel Abwechslung, fordert dafür aber auch den kompletten Fahrer. Und belohnt mit Natur pur. Doch wie trainiert man jetzt idealerweise für diese neue Rennspezies?
„Zunächst einmal muss man sich, wie bei jedem anderen Wettbewerb, an dem man teilnehmen will, mal überlegen, was für Fähigkeiten im Rennen gefordert sind“, empfiehlt Markus Hertlein, Sportwissenschaftler und Coach beim Trainingsinstitut HYCYS in München. Wer sich die Strecke der klassischen Gravel-Rennen ansieht, wird feststellen, dass diese Kurse bei weitem nicht so viele Höhenmeter aufweisen wie ein Alpenmarathon; und es selten lange Anstiege gibt.
Je nach Gelände sind es bei Gravel-Rennen sogenannte Rolling Hills, worüber es sich drücken lässt oder kurze knackige Anstiege, an denen es sich lohnt, mal kurzzeitig über die Schwelle zu gehen, um sich im Anschluss wieder davon zu erholen beziehungsweise das Laktat durch eine gewisse Intensität schneller wieder anzubauen.
Gravel-Training: Darauf kommt es an
Da viele der klassischen Gravel-Rennen nicht so mit Höhenmeter gespickt sind, kommt es auf das absolute Leistungsvermögen an. „Also eine höchstmögliche absolute Leistungsabgabe an der individuellen anaeroben Schwelle“, erklärt Markus Hertlein. Kurzum der Athlet sollte besonders gut drücken, beziehungsweise Tempo bolzen können – gerade auch, weil er oft alleine unterwegs sein wird.
Die gute Nachricht: „Das eigene Körpergewicht ist gar nicht so entscheidend. Es kommt dafür auf zwei andere Parameter an: die höchstmögliche absolute Leistungsabgabe an der individuellen anaeroben Schwelle und ein ökonomisch arbeitender Stoffwechsel“, erklärt Hertlein. Ein großer Hubraum also, der einen geringen Spritverbrauch hat – physiologisch ausgedrückt eine hohe maximale Sauerstoffaufnahme. Der geringe „Spritverbrauch“ bedeutet, verhältnismäßig wenig Kohlenhydrate zu verbrauchen, was sich physiologisch durch eine niedrige Laktatbildungsrate widerspiegelt.
Im Gegensatz zu Rennen auf der Straße bringt das Fahren in einer Gruppe nicht ganz so viele Vorteile. Zwar profitiert auch der Graveller grundsätzlich vom Windschatten, aber dadurch, dass der Rollwiderstand auf Schotter höher ist, muss auch in den „hinteren Reihen“ mehr Druck aufs Pedal gebracht werden als auf Asphalt. Auch ist der aerodynamische Nutzen des Windschattens aufgrund der tendenziell niedrigeren Geschwindigkeiten nicht so groß. Der wechselnde und teilweise ruppige Untergrund erfordert ebenso eine deutlich vorausschauendere Fahrweise, weshalb selten ganz dicht an dicht, wie auf der Straße gefahren werden kann,
Apropos Aerodynamik. Zwar spielt aufgrund der niedrigeren Geschwindigkeiten diese eine weniger große Rolle wie auf der Straße, doch auch hier gilt: Wer lange als Solist unterwegs ist, profitiert natürlich von einer aerodynamischen Position. Das mögen viele Graveller nicht gerne hören, aber wenn es um das schnellere beziehungsweise energiesparendere Fortkommen geht, lohnt sich eine aerodynamische Position, ob das jetzt Unterlenker- oder geduckte Bremsgriffhaltung oder sogar das Fahren im Auflieger ist. Gerade auf langen Forststraßen ist natürlich eine strömungsgünstige Position von Vorteil und bringt schon ein bis 2 km/h beziehungsweise kann 10 bis 20 Watt bei einer normalen Reisegeschwindigkeit von 25 bis 30 km/h.
Trainings-Tipp 1: Viel im Gelände trainieren
Eine dauerhafte und gleichmäßige Leistungsabgabe unabhängig vom Untergrund oder Linienführung ist der Schlüssel zum Erfolg und für ein erfolgreiches Finishen extrem wichtig “, erklärt Hertlein. Das bedeutet: Konsequent und ohne Rollphasen, wann immer es möglich ist, über Feld- und Waldwege zu fahren.
Das Rad auf Spur und Geschwindigkeit zu halten, macht im Gelände extrem viel aus und da unterscheidet sich das Graveln auch vom Straßenrennen. In den teilweise enorm langen Rennen sollte bei Antritten im Gelände auch gar nicht so reingehackt und aufgezogen werden, sondern es sollte stattdessen smooth um die Kurve gefahren und langsam wieder aufgedreht werden, um Leistungsspitzen und damit den erhöhten Kohlenhydratverbrauch zu vermeiden.
Unter dem Motto „Train the competion“ sollten dann auch die intensiven Einheiten im Gelände gefahren werden. „Gerade längere 20-minütige G2-Intervalle oder auch vier- bis achtminütige EB-Intervalle sowie Over-Under-Einheiten auch mal auf einem etwas holprigen Feldweg fahren und währenddessen versuchen, den Druck beizubehalten. Gleichzeitig eine gute Linie zwischen den Schlaglöchern finden und nicht wie ein Rodeo-Reiter von Schlagloch zu Schlagloch hüpfen“, empfiehlt Hertlein. So wird dann gleich in einer Einheit die Physiologie und auch das Handling sprich die Radbeherrschung trainiert.
Übrigens: „Bei den Intervall-Einheiten im Gelände ist es nicht das vorrangige Ziel, die angegebene Wattzahl exakt zu treffen. Man darf sich schon in einem Korridor von fünf bis zehn Prozent nach oben und unten bewegen – anders ist das auf solch einem technisch anspruchsvollen Parcours auch gar nicht möglich“, erklärt Hertlein.
Trainings-Tipp Nr. 2: Wochenend-Einheiten plus die richtige Ernährung nutzen
Wer seine Touren am Wochenende gezielt nutzen will, um zu trainieren und dabei Spaß zu haben, dem empfiehlt der Coach einen praktikablen Gravel „Sleep low“-Mini-Block: Am Samstagnachmittag eine zwei -bis vierstündige Ausfahrt, die unter dem Zeichen der Intensität steht. Eine Tour in denen dann länge G2-Intervalle sowie Intervalle an oder über der Schwelle immer wieder eingestreut werden. Ziel ist, viel Sauerstoff umzusetzen auch über die höheren Intensitäten. Da dies eine energetische sehr intensive Einheit ist, darf Kaffee und Kuchen davor beziehungsweise währenddessen nicht fehlen.
Aber: Nach der Einheit sollte es dann umso weniger Kohlenhydrate mehr geben – stattdessen Proteine und Fette – also Gemüse, Salat, Eier, Fisch und Fleisch. Wer zum Grillen eingeladen ist, findet über der Glut das Richtige, allerdings muss er das dann mit Wasser runterspülen. Denn die durchs Training der geleerten Glykogenspeicher soll sich am Sonntag zunutze gemacht werden – zur Ökonomisierung des Fettstoffwechsels und Senkung der Laktatbildungsrate.
Am Sonntag geht es dann nach einem Low Carb-Frühstück auf die nächste lange Tour. Hier ist es jetzt ganz entscheidend, die ersten ein bis zwei Stunden – je nach Vorerfahrung – locker durchs Gelände oder auch auf der Straße zu fahren und so den Fettstoffwechsel bewusst zu triggern und nicht zu intensiv unterwegs zu sein. Der gewünschte Effekt ist, dass der Organismus aufgrund der entleerten Kohlenhydratspeicher nicht auf diese zurückgreifen kann und muss stattdessen Fette nutzen.
Nach dieser Low-Carb-Phase dürfen und sollten Kohlenhydrate wieder gegessen werden – je nach Intensität und Dauer der noch folgenden Tourenabschnitte.
Wer beispielsweise die ersten Stunden zum Treffpunkt mit seinen Kumpels fährt und diese Anfahrt fürs Low-Carb-Training nutzt, der darf und sollte bevor er in der Gruppe auf Zug durchs Gelände fährt, schon eine Banane, einen Stück Kuchen oder einen Riegel essen und sich auch währenddessen gut mit Kohlenhydraten versorgen.
„Den Nutzen des Low-Carb-Trainings hat der Athlet durch den ersten Teil der Tour. Danach sollte er, was die Energieversorgung betrifft, kein Risiko eingehen und sich in einen Hungerast zu fahren. Wenn er alleine locker weiterfahren will, sollte er so rund 30 bis 50 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde zuführen, um gut versorgt zu sein“, sagt Hertlein.
Noch ein Tipp vom Profi-Coach: Idealerweise in der letzten Stunde dieser langen Sonntagstour noch einmal 20 Minuten im G2-Bereich fahren. „Zum einen drückt das die Laktatbildungsrate, zum anderen weiß der Athlet, wie es sich anfühlt, im ermüdeten Zustand Leistung bringen zu müssen,“ sagt Hertlein. Nach dem Training gilt in Sachen Verpflegung „all-in“, was die Kohlenhydratversorgung angeht. Ziel sollte sein, möglichst zeitnah nach der Einheit mit dem Auffüllen der Speicher zu beginnen. Denn, der Gesamtload des Wochenendes liegt ja dann zwischen intensiven sechs bis acht Stunden oder sogar mehr.
Solch ein Miniblock mit Einheiten an aufeinanderfolgenden Tagen lässt sich auch während der Woche einbauen. Besonders wenn man sich zwischen den Einheiten normal ernährt und nicht der Kohlenhydratmast frönt. Dann dürfen die Touren auch kürzer und intensiver sein – beispielsweise an einem Tag Intervalle Im Gelände, am anderen ein Fahrtspiel. „Der zusätzliche Reiz ist hier, schon mit vorentleerten Speichern in das zweite Training zu starten “, so Hertlein.
Training-Tipp Nr. 3: Core-Training für die Stabilität
So schön das Fahren in der und durch die Natur auch ist – mindestens eine, am besten aber zwei Einheiten müssen dann doch zuhause absolviert werden. Aber keine Angst! Nicht auf der Rolle, sondern auf der Matte. Denn was sich nur ungenügend auf dem Gravelbike trainieren lässt, ist der Rumpf – sprich die berühmte Core-Muskulatur. Dies zu trainieren ist ein Muss, da die Muskeln im Rumpf für Gravelbiker noch viel wichtiger als für einen Rennradfahrer sind.
„Allein schon durch die Schläge und die technischen Anforderungen im Gelände muss diese Muskulatur mehr einstecken und leisten“, erklärt Markus Hertlein. Also wer auch nach viele Stunden im Sattel noch schmerzfrei fahren und die Kraft perfekt aufs Pedal übertragen will, der macht diese Übungen zwei- bis dreimal pro Woche. Im Idealfall zu einem festen Zeitpunkt wie nach dem Aufstehen, um eine Routine zu entwickeln.
Tipp: Core-Workout – die besten Übungen
Experte: Markus Hertlein
Der Sportwissenschaftler arbeitet als Coach beim Trainingsinstitut HYCYS in München. Dort ist fürs Training von Hobbysportler und Amateuren verantwortlich. Hertlein selbst ist auch begeisterter Rennradfahrer und hat den Ötztaler Radmarathon sowie den Glocknerkönig auf den vorderen Plätzen beendet.