Winter-Training: Ohne Formverlust durch die kalte Jahreszeit
Schluss mit Saisonpause, Formverlust und Gewichtszunahme! Wer jetzt wöchentlich vier bis sechs Stunden in sein Training investiert, kommt mit sehr guter Form aus dem Winter. Alpecin Cycling gibt Tipps.
Off-Season – das gerade bei Rennradfahrern am häufigsten genutzte Wort. Doch viele verbinden es fälschlicherweise mit Ruhe und Müßiggang anstatt mit dem Ende der Wettkampfsaison. Denn ehrlich gesagt ist jetzt die beste Zeit, um wieder ins Training einzusteigen. Im Winter wird die Basis gelegt, das wusste schon der fünffache Tour-de-France-Sieger Bernard Hinault von dem der Satz stammt: „Im Winter gewinnt man, nicht im Sommer.“ Doch werden jetzt einige widersprechen und sagen, schließlich machen die Profis ja auch Pause. Ja, stimmt, aber das ist auch deren Job und sie machen diesen Break auch, um den Kopf frei zu bekommen – so wie normale Menschen ihren Jahresurlaub nehmen. Ein Profi hat am Ende der Saison 30 000 Kilometer abgespult, verteilt auf fast alle Kontinente, und war im schlimmsten Fall gerade einmal 40 Tage zuhause. Da ist ein Reset wichtig. Beim Hobbyfahrer verhält es sich anders. Er macht es, weil es sein persönlicher Zeitvertreib ist.
„Ein klassischer Hobbysportler sollte sich hier nicht mit den Weltklasseathleten vergleichen; und selbst deren Pause ist mittlerweile auch nur noch 3 bis 4 Wochen“, erklärt Björn Geesmann, Sportwissenschaftler von HYCYS.
Wintertraining-Tipp: Früh wieder ins Training einsteigen
„Entscheidend ist es, Pause vom Trainingsplan zu machen“, sagt Geesmann „und ein wenig Abstand zu bekommen, vom durchstrukturierten Training.“ Wer also tatsächlich bis heute streng nach Vorgaben gefahren ist, kann 2 bis 3 Wochen auf dem Rad machen, was er will. Für alle anderen, die in den vergangenen Wochen die Saison locker ausklingen lassen, ist es eigentlich höchste Zeit wieder einzusteigen, wenn sie in 2023 „Was reißen wollen“ oder einfach nur mit besserer Form in die neue Wettkampfsaison starten wollen.
In der grauen Theorie macht das Beine hochlegen durchaus Sinn. Aber oft genug gibt es auch während des Jahres Pausen im Trainingszyklus durch Urlaub mit der Familie, Schlechtwetterperioden oder zu viel Arbeit im Job bzw. Geschäftsreisen. Der gemeine Hobbysportler kann also weitertrainieren, und tut dabei sogar noch gutes. „Er baut ganz einfach auf dem bis dahin vorhandenen Leistungsvermögen auf und wird, wenn er es beibehält, von Jahr zu Jahr besser“, so Geesmann.
Wintertraining-Tipp: Keinen Formverlust riskieren
Wer dagegen rastet, der rostet – im Sinne der Leistungsfähigkeit. Schon nach zwei, drei Wochen des sportlichen Nichtstuns sinkt die Form drastisch. Und auch der Stoffwechsel „spielt verrückt“; bei vielen laufen die Sättigungshormone Amok und die Gewichtszunahme ist sozusagen vorprogrammiert.
Aber keine Angst, jetzt muss aber nicht mit demselben Umfang wie im Sommer trainiert werden – außer dieser Plan war auch schon sehr zeitoptimiert. Wer er schafft, sich 3-mal pro Woche für insgesamt 6 bis 8 Stunden in den Sattel zu schwingen und bei diesen Fahrten bestimmte Schwerpunkte setzt, kann mit einem Formzugewinn rechnen.
Wintertraining-Tipp: Mit Struktur trainieren
Allerdings sollte auch das Training in Herbst und Winter eine gewisse Struktur haben, denn nach „gut Wetter“ zu fahren, wie noch im Spätsommer, funktioniert halt so gar nicht. Deshalb sollte umgestiegen werden: auf Rolle und bzw. oder Geländerad – welche Gattung ist bei letzterem völlig egal. Crosser, Mountain- oder Gravel-Bike – entscheidend es fährt gut auf rauem Untergrund. Das „Tolle“ an den Fahrten abseits des Asphalts ist neben den vor Wind und Wasser geschützten Strecken durch den Wald, dass es nicht wirklich rollt. Der Sportler muss praktisch permanent pedalieren, Rollphasen wie auf der Straße speziell beim Gruppefahren reduzieren sich. Selbiges gilt übrigens auch für das Rollentraining. „Das steigert natürlich ungemein die Effizienz des Trainings, weil immer Zug auf der Kette ist“, erklärt Björn Geesmann, was physiologisch übersetzt bedeutet: Es wird „anständig“ eine größere Menge an Sauerstoff und Energie umgesetzt, was wiederum der Verbesserung der aeroben Ausdauer zugutekommt.
Wintertraining-Tipp: Die besten Trainingseinheiten
Ein Fahrtspiel im Gelände mit einer Länge von 90 bis 120 Minuten, eine kurz und knackige Rollen- oder Cross-Einheit mit Schwellenintervallen wie 4 x 4 Minuten sowie eine längere, zwei- bis dreistündige Geländetour am Wochenende – das reicht, schon, um die Leistungsfähigkeit zu verbessern. „Wer noch Zeit für eine 4. Einheit übrighat, kann noch eine sehr intensive 30-30-Vo2max-Session indoor in sein Training integrieren“, empfiehlt Björn Geesmann.
Tipp: Die besten Trainingseinheiten fürs Indoor-Training
Vom stundenlangen Grundlagefahren im Winter auf der Straße, rät Geesmann ab. Viele verbinden ja Wintertraining mit dem Fahren von langen und lockeren Einheiten. „Der Körper kühlt hier aus, das stresst Organismus zusätzlich. Zudem braucht man ein normaler Hobbysportler langen Fahrten zu dieser Jahreszeit nicht wirklich“, so Geesmann.
Profis darf er sich hier auch nicht zwingend zum Vorbild nehmen. Denn diese Sportler-Spezies muss schon im Januar in sehr guter Form sein. Die langen Einheiten, die für viele Hobbysportler auch gerade für den Kopf wichtig sind, lassen sich dann im Frühjahr bei gutem Wetter bzw. im Trainingslager nachholen – dann aber gezielt und als Block.
Wintertraining-Tipp: Kontinuität ist Trumpf
Neben den Inhalten ist gerade die Kontinuität sehr wichtig. „Also nicht 1 Woche trainieren, dann wieder 2 Wochen nicht“, sagt Geesmann. Das fällt gerade bei nasskalten Bedingungen wir sie bei unseren Breitengraden ja von November bis April vorherrschen schwer.
Es ist durchaus verständlich, die Lust zu verlieren, um bei diesem Wetter freiwillig vor die Tür zu gehen – gerade wenn das Saisonhighlight in weiter Ferne liegt. Da liegt der Gedanke nahe, dass es doch reicht, sich erst ab April so richtig auf die im Spätsommer stattfindenden Alpen Challenge vorzubereiten, zumal oft kolportiert wird, dass 3 Monate Vorbereitung reichen. „das ist alles eine Frage der Zielsetzung“, sagt Geesmann. „Natürlich reicht das, aber wenn ein Athlet kontinuierlich an sich arbeitet, wird er dort mit einer vielen größeren Leistungsfähigkeit am Start stehen; die Frage ist immer was will ich und bin ich bereit dafür Zugeständnisse zu machen“, so Geesmann.
Wintertraining-Tipp: Clever Ziele setzen
Doch zurück zur Motivation – wie lässt sich diese über eine so lange Zeit aufrechterhalten? Um durchzuhalten und auch bei schlechtem Wetter vor die Tür zu gehen, gibt es zwei ganz entscheidende Faktoren: mit Kumpels fahren – gerade die längere Wochenendtour – sowie eine clevere (Zwischen)Zielsetzung.
Die Kumpels – da sind sich die Sportpsychologen einig – vergrault man ungerne. Wenn es dann noch Freunde oder gute Bekannte sind, die man nicht vor dem Kopf stoßen will, umso besser. Allerdings sollte die Gruppe auch nicht zu groß sein, denn sonst bleibt das unentschuldigte Fehlen unentdeckt.
Der zweite Punkt muss taktisch angegangen werden. Ein großes Ziel, noch dazu ein Dreivierteljahr entfernt, reicht für viele Hobbysportler nicht aus, um hier und heute aufs Rad zu steigen. Hier gibt es zu Dinge, die momentan in Konkurrenz dazu stehen. „Wer seine Saisonplanung macht, sollte immer wieder Events miteinbauen, auf deren Teilnahme man sich freut und auch bereit ist, dafür zu trainieren“, erklärt Björn Geesmann. Das kann die Teilnahme im Frühjahr an der Jedermannveranstaltung der Ronde van Vlaandern sowie Strade Bianche oder einem der ersten Radmarathons in Deutschland sein; oder aber der Start bei den CTF den Winter hindurch, bei denen man fit am Start stehen will. „Auch, wenn diese Tourenfahrten keine Rennen oder Wettkämpfe im klassischen Sinne darstellen, so will man ja doch dafür gewappnet sein und ist dann auch bereit darauf zu trainieren“, erklärt Geesmann.
Wintertraining-Tipp: Physiologie trainieren
Wer das Wintertraining noch etwas strategischer angehen will, setzt sich auch physiologische Zwischenziele – wie zum Beispiel die Verbesserung der individuellen anaeroben Schwelle innerhalb eines bestimmten Zeitraums oder das Verringern des Körpergewichts. Alles lohnenswerte Ziele mit denen nicht erst kurz vor dem Wettkampf begonnen werden sollte. Hier lohnt es sich aber, professionelle Unterstützung durch Trainer, Sport- und Ernährungswissenschaftler zu haben. Denn diese können realistisch einschätzen, welches Ziel realistisch ist und wie der Weg dorthin aussieht. Also, worauf noch warten? Mit Schwung durch die Off-Season.
Fotos: Kalas, Kathrin Schafbauer