Faszination Einzelzeitfahren: Kampf gegen die Uhr und alle Widerstände
Contre la montre oder Race of Truth – für das Zeitfahren gibt es im Französischen und Englischen schön klingende Synonyme. Sie alle täuschen ein wenig über die Härte hinweg, die die Athleten bei diesem Wettkampfformat erwartet.
Wer sich mit Profis über diese Disziplin unterhält, hört immer wieder eines: Leiden – und zwar auf höchstem Niveau. Dieses Leiden gibt es auch bei den klassischen Rennen, aber es ist nicht so lang und wird von den Gegnern erzwungen. Beim Zeitfahren hingegen ist man sich selbst der größte Feind – physisch, psychisch und sogar physisch. Aber dazu später…
Es ist ein harter Kampf gegen sich selbst – von der ersten bis zur letzten Sekunde.
Rational gesehen ist es das fairste Rennformat, weil es sehr ehrlich und unbestechlich ist. Im Zeitfahren gibt es keine Möglichkeit, Energie zu sparen und sich zu verstecken – kein Windschatten, keine Unterstützung durch Teamkollegen.
Als Solist gegen den Wind
Ein Zeitfahrer ist für sich selbst verantwortlich. Er überlegt sich seine eigene Renntaktik und Pacing-Strategie, die nicht wie bei Straßenrennen von anderen durchkreuzt werden kann. Ausreden für einen Misserfolg zählen nicht. Es gewinnt immer der Stärkste.
Aber der Geschwindigkeitsrausch belohnt die Mühen und Anstrengungen. In aerodynamischer Position kann man allein mit Muskelkraft Geschwindigkeiten um die 50 km/h in der Ebene erreichen. Faszinierend, wenn man bedenkt, wie viel Energie sonst nötig ist, um dies motorisiert zu bewältigen.
Was aber macht einen guten Zeitfahrer aus? Schmerzen aushalten und „hart“ treten können? Ganz so einfach ist es nicht. Vor allem muss er die Disziplin und alles, was dazu gehört, verstehen und lieben. Gerade die Details. Gerade hier gilt es, wie in keiner anderen Disziplin, den größten Feind des Radfahrers zu schwächen: den Luftwiderstand.
Perfekt in Position
Im Zeitfahren wird alles daran gesetzt, diese unsichtbare Bremse zu lösen und dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Dies geschieht zum einen über das Material wie Rahmen, Laufräder, Kleidung und Helm, zum anderen aber auch über die Position.
Theoretisch! Denn die windschnittige Haltung muss fahrbar sein. Soll heißen: Die Position des Athleten auf seinem Aeroboliden ist immer ein Kompromiss zwischen Windschnittigkeit, Kraftübertragung und Komfort.
Je kürzer das Zeitfahren, desto eher kann der Komfortaspekt zugunsten der Aerodynamik vernachlässigt werden. Diese drei Parameter müssen am Ende zu einem perfekten Setup für den Fahrer und die zu bewältigende Strecke passen.
Aber nicht nur bei der Minimierung der Widerstände, sondern auch beim Pacing spielt die Physik eine nicht zu unterschätzende Rolle. Eine Zeitfahrstrecke immer mit der gleichen Leistung zu bewältigen, wird in den seltensten Fällen gelingen.
Raserei an der Schwelle
Es sollte im Vorfeld genau überlegt werden, in welchen Bereichen und an welchen Stellen es sich lohnt, zu schnell oder zu langsam zu fahren. Das Ziel sollte sein, bestimmte Abschnitte so schnell wie möglich zu befahren. Dabei spielt nicht nur die Steigung, sondern auch die Windrichtung und -geschwindigkeit eine große Rolle.
Aus physiologischer Sicht erfordert das Zeitfahren eine sehr gute maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit und eine hohe individuelle anaerobe Schwelle – was wiederum erklärt, warum einige Grand-Tour-Sieger auch mehr als passable Zeitfahrer sind bzw. waren und in dieser Disziplin Weltmeister und Olympiasieger wurden.
Fotos: Stefan Rachow/mr.pinko
Kampf gegen die Uhr: Hobbyradsportler und Ride Captain Philipp Lühmann tritt beim KOTL an
Unter professionellen Bedingungen an einem Zeitfahren teilnehmen. Das ist der Traum von Alpecin Ride Captain Philipp Lühmann. Vom Sportinstitut HYCYS wird er auf das Zeitfahren „King of the Lake“ vorbereitet. Das Rennen rund um den Attersee gehört bei Hobbysportlern und Amateuren zu den beliebtesten Zeitfahren weltweit.