Faszination Einzelzeitfahren: Kampf gegen die Uhr und alle Widerstände

06.09.2021

Contre la montre – Kampf gegen die Uhr – oder Race of Truth – Rennen der Wahrheit – für das Zeitfahren gibt es im Französischen und Englischen schön klingende Synonyme. Sie alle überdecken ein wenig die Brachialität, die die Athleten in diesem Wettkampfformat erwartet.

Wer mit Profis über diese Disziplin spricht, hört immer wieder eines raus: Leiden – und zwar auf höchstem Niveau. Dieses Leiden gibt es auch bei klassischen Rennen, doch ist es nicht von solch langer Dauer und wird durch die Kontrahenten erzwungen. Beim Zeitfahren dagegen ist man sich selbst der größte Feind – physisch, psychisch und sogar physikalisch. Doch dazu später…

Es ist ein harter Kampf gegen sich selbst – von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Rational betrachtet ist es das fairste Rennformat, da es sehr ehrlich und unbestechlich ist. Im Zeitfahren gibt es keine Möglichkeit, Energie zu sparen und sich zu verstecken – kein Windschatten, keine Unterstützung durch Teamkollegen.

Als Solist gegen den Wind

Ein Zeitfahrer ist selbstverantwortlich. Er überlegt sich auch seine eigene Renntaktik und Pacing-Strategie, die nicht wie bei Straßenrennen von anderen durchkreuzt werden kann. Dafür zählen auch keine Ausreden für den Misserfolg. Es gewinnt immer der Stärkste.

Doch für die Mühen und Anstrengungen belohnt der Geschwindigkeitsrausch. In aerodynamischer Position lassen sich nur durch die eigene Muskelkraft angetrieben auf der Ebene Geschwindigkeiten von um die 50 km/h erreichen. Faszinierend, wenn man bedenkt, wie viel Energie sonst notwendig ist, um dies motorisiert zu bewältigen.

Doch was macht einen guten Zeitfahrer aus? Schmerzen zu ertragen und „feste“ treten zu können? Jein, ganz so einfach ist es nicht. Zuallererst muss er die Disziplin und alles, was dazu gehört, verstehen und lieben. Gerade die Details. Gerade hier und wie bei keiner anderen Disziplin, gilt es den größten Feind des Radfahrers zu schwächen: den Luftwiderstand.

Perfekt in Position

Bei Zeitfahren wird alles darangesetzt, diese unsichtbare Bremse zu lösen – sprich dem Wind wenig Angriffsfläche zu bieten. Das gelingt zum einen über das Material wie Rahmen, Laufräder, Bekleidung und Helm, zum anderen aber auch über die Position.

In der Theorie! Denn die windschnittige Haltung muss fahrbar sein. Will heißen: Die Position des Athleten auf seinem Aero-Boliden ist immer ein Kompromiss aus Windschnittigkeit, Kraftübertragung und Komfort.

Je kürzer das Zeitfahren, desto eher lässt sich der Komfortaspekt zugunsten der Aerodynamik vernachlässigen. Diese drei Parameter müssen letztendlich zum perfekten Setup für den Fahrer und dem zu bezwingenden Parcours passen.

Doch die Physik spiet nicht nur bei der Minimierung der Widerstände eine nicht unerhebliche Rolle, sondern auch beim Pacing. Einen Zeitfahrkurs dauerhaft mit der identischen Leistungsabgabe zu absolvieren, wird in den seltensten Fällen erfolgreich sein.

Raserei an der Schwelle

Es muss im Vorwege genau überlegt werden, in welche Sektoren und Passagen es lohnt, überschwellig oder unterschwellig unterwegs zu sein. Bestimmte Abschnitte möglichst schnell zu absolvieren sollte das Ziel sein. Hierbei spielen aber nicht nur das Gefälle, sondern auch Windrichtung und Geschwindigkeit eine große Rolle.

Physiologisch betrachtet verlangt Zeitfahren eine sehr gute maximale Sauerstoffaufnahmekapazität und eine hohe individuelle anaerobe Schwellenleistung – was wiederum erklärt, warum auch einige Grand Tour-Sieger mehr als passable Zeitfahrer sind, beziehungsweise waren und in dieser Disziplin Weltmeister sowie Olympiasieger wurden.

Fotos: Stefan Rachow/mr.pinko

Kampf gegen die Uhr: Hobbyradsportler und Ride Captain Philipp Lühmann tritt beim KOTL an

Unter professionellen Bedingungen an einem Zeitfahren teilnehmen. Das ist der Traum von Alpecin Ride Captain Philipp Lühmann. Vom Sportinstitut HYCYS wird er auf das Zeitfahren „King of the Lake“ vorbereitet. Das Rennen rund um den Attersee gehört bei Hobbysportlern und Amateuren zu den beliebtesten Zeitfahren weltweit.

Mehr