Fahrtechnik auf dem Rennrad: Richtig abfahren – so fährst Du schneller bergab!

12.06.2019

Fahrtechnik: Rennradfahrer auf Abfahrt in den Bergen

Schnell und sicher abfahren! Ex-Profi Jörg Ludewig gibt Dir Tipps für die perfekte Abfahrtstechnik auf dem Rennrad.

„Pilot statt Passagier“ – das ist das Motto und die Grundlage für die Abfahrtstechnik. Du selbst bestimmst, wohin das Rad unter Dir fährt, beziehungsweise welche „Linie eingeschlagen“ wird. Oftmals beobachte ich Fahrer dabei, wie ihnen die Kontrolle allmählich entgleitet und sie quasi „gegen das Rad ankämpfen“. Das muss aber nicht sein. Mit der richtigen Technik, ein wenig Körpergefühl und dem Bewusstsein in die eigenen Fähigkeiten, lassen sich Abfahrten sogar genießen – und Du hast so die Möglichkeit, Dich zu erholen, Dich zu verpflegen und damit zu neuen Kräften zu kommen.

Sitzposition optimieren: Sportlich, aber dennoch komfortabel solltest Du sitzen, um das Rad vernünftig „handeln“ zu können. Tipp: Schaltbremsgriffe etwas höher montieren oder den Lenker etwas „anstellen“. Das sattere Greifen gibt mehr Sicherheit und verbessert gerade in „schnellen“ wie engen Kurve das Handling drastisch. Damit Du Dein Gewicht möglichst gleichmäßig auf Vorder- und Hinterrad verteilst und damit ein Wegrutschen insbesondere des Hinterrades vermeidest, solltest Du Dein Gesäß auf dem Sattel weit nach hinten schieben und Druck auf den – nicht zu hoch eingestellten Sattel – ausüben. Übrigens: Ein zu hoch montierter Sattel bedeutet bei mir persönlich 20 Prozent weniger Abfahrtsperformance, da ich den Grenzbereich nicht mehr ausloten kann.

Fahrlinie fokussieren: Immer den Punkt anvisieren, wo Du auch hinfahren möchtest! Sieh niemals dorthin, wo mögliche Gefahren drohen. Im Zweifelsfall solltest Du eher riskieren, wegzurutschen, als direkt geradeaus in die drohende Felswand einzuschlagen oder über die Leitplanke zu fliegen. Das tut in 90 Prozent der Fälle viel mehr weh!

Fahrtechnik: Rennradfahrer auf Abfahrt in den Bergen

Körpergewicht verlagern: Um eine Kurve technisch sauber zu durchfahren, stellst Du das kurveninnere Pedal nach oben, auf das obere, kurvenäußere Pedal sowie dem Lenker gibst Du Druck. So bekommt das Rad Stabilität und die Reifen bekommen Grip! Das Fahrrad legst Du in die Kurve, Deinen Körper dabei heraus! Der Fahrer bleibt quasi gefühlt eher zentral über dem Rad, ähnlich wie beim gut durchgeführten Wiegetritt. Einfachen und guten Anschauungsunterricht kannst Du Dir bei Eurosport während jeder Übertragung eines Profiradrennens holen.

Geschwindigkeit vor der Kurve regulieren: Dein Ziel muss es sein, vor dem Einlenken das Tempo so zu wählen, um damit die Kurve am sicheren Limit durchfahren zu können. Wenn Du in einer Kurve nachregulieren musst, ist es ratsam, dies sehr feinfühlig mit beiden Bremsen sitzend und mit dem Körpergewicht nach hinten verlagert zu tun und dabei möglichst wenig Schräglage zu haben. Auch hier gilt wieder das gleiche Prinzip: vorausschauend fahren. Leichte Kurve: Zwei Gänge hoch, also leichter schalten. Bei echt knackigen Richtungsänderungen wie Haarnadelkurven und Serpentinen solltest Du sogar drei bis vier Sprünge wagen. Du musst ja quasi fast von null km/h wieder auf Maximum-Speed hochbeschleunigen.

IVorder- und Hinterrad bremsen clever dosieren: Vorne bremsen und hinten verzögern – das Verhältnis bei der Bremskraft sollte meiner Meinung nach bei ca. 65 Prozent vorne und 35 Prozent hinten liegen. So lassen sich auch sicher Vollbremsungen durchführen ohne dass das „schwarze Gold“ in Rauch aufgeht – vorausgesetzt das Gewicht wird nach hinten verlagert.

Bergab pedalieren: Immer treten, wenn die Strecke es zulässt! Auch bergab ist es sinnvoll, ohne großen Druck mit 80 bis 120 Watt „weiterzutrampeln“. Das erhöht nicht nur die Fahrstabilität, sondern ist auch zugleich aktive Regeneration – das Laktat wird schneller abgebaut, die Durchblutung verbessert sich. Zudem kühlt Deine Muskulatur nicht so stark aus. Wenn Du das beherzigst, kommst Du auf der nächsten Geraden oder dem folgenden Anstieg schnell wieder in Deinen Tritt.

Fahrtechnik optimieren: Du kannst in Schrittgeschwindigkeit einige Übungen auf einem großen Parkplatz machen. Dazu zählen Slalomfahren durch aufgestellte Trinkflaschen, das Aufheben der Bidons aus langsamer, rollender Fahrt oder auch mal Stehversuche auf kleinstem Raum sowie Vollbremsungen. Bei den Vollbremsungen darauf achten, dass das Hinterrad nicht blockiert, sonst riskierst Du einen Bremsplatten und machst das dynamische System instabil. Also, etwas Mut und mal auf dem Parkplatz ran ans Limit. Am besten sitzend Vollbremsungen üben, wo auch mal ausschließlich nur die Vorderradbremse genutzt wird. Sanft mit 20 km/h starten, bis sich das Gefühl dafür einstellt und dann die Geschwindigkeit steigern. Wichtig: Gewicht nach hinten, Hintern auf dem Sattel – sonst wird das nicht funktionieren und schlechtesten falls in einem Salto enden!

Ein Tipp zum Schluss: Bei einem Zeitfenster fürs Training von 3 Stunden, nur 2:30 Stunden radeln und die restlichen 30 Minuten stattdessen in Fahrtechnik oder etwas Core-Training sowie Faszien-Massage mit der Blackroll investieren. Auch ganz wichtig: Die Radpflege nicht vergessen. Dann läuft‘s auch wie geschmiert.

Euer „Lude“

Fotos: Alpecin Cycling/Stefan Rachow