Essen und Trinken im Trainingslager – die größten Ernährungssünden
Viele Hobbysportler fahren ins Trainingslager um in Form zu kommen – und zwar in doppelter Hinsicht: Zum einen natürlich um ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern zum anderen aber auch um Gewicht zu verlieren. Doch ist letzteres wirklich sinnvoll? Sportwissenschaftler und Performance-Coach Björn Geesmann vom Trainingsinstitut HYCYS erklärt im Interview mit Alpecin Cycling, worauf Radsportler im Trainingslager in puncto Ernährung achten sollten.
Warum ist die Gewichtsabnahme im Trainingslager wenig zielführend?
Oberstes Ziel eines Trainingslagers, das ja nicht nur Zeit, sondern auch Geld kostet, sollte die Verbesserung der Leistungsfähigkeit sein. Und wer diese verbessern will, muss auch ausreichend Energie zuführen. Dem jetzt eine Diät entgegenzuhalten ist kontraproduktiv. Ich kann ja bei höherem Umfang und höherer Intensität des Trainings nicht weniger essen als zuhause.
Aber gerade der erhöhte Energiebedarf müsste doch die Pfunde purzeln lassen?
Gewicht zu verlieren, funktioniert nicht so einfach von heute auf morgen. Klar kann das sein, dass man am Ende des Trainingslagers ein halbes Kilo weniger wiegt. Aber man sollte das Trainingslager nicht darauf abstellen beziehungsweise den Fokus auf das Abnehmen legen. Es gibt auch Sportler, die sehr gut trainieren und aufgrund von Wassereinlagerungen mit etwas mehr Gewicht direkt aus dem Trainingslager kommen.
Was schlagen Sie stattdessen vor?
Wer Gewicht machen will, kann das in der Off-Season machen und kann beispielsweise dann eine stärkere Gewichtung auf protein- anstatt kohlenhydratreiche Speisen legen. Dies lässt sich während der Saison auch an trainingsfreien Tagen oder Wochen umsetzen. Aber bitte nicht dann, wenn der Körper eh schon mehr leisten muss als er es normalerweise gewohnt ist. Hinzu kommt ja noch, dass der Athlet eine Ernährungsumstellung zuhause viel besser sprich praktischer umsetzen kann. Da weiß er, wo er einkaufen kann, kann jederzeit sein Essen selbst zubereiten. Im Trainingslager dagegen würde sich dann ja extrem viel um Essen einkaufen und zubereiten drehen, was auch mit viel mehr Aufwand und Stress verbunden wäre.
Wo sehen Sie bei der Ernährung im Trainingslager die größten Fehler?
So wie die einen es übertreiben und zu wenig essen, glauben andere den Reisepreis am Buffet abessen zu müssen. Aber das Frühstück am Morgen muss nicht so ausfallen wie bei den Profis vor Paris–Roubaix. Ein klein wenig mehr essen als zuhause – beispielsweise das Rührei – das reicht schon. Das größte Problem während solcher Trainingslageraufenthalte sehe ich aber eher, darin, dass zu den falschen Zeiten gegessen wird. Gerade was das Mittag- und Abendessen betrifft. Vielfach kommen die Rennradfahrer am Nachmittag zurück und wissen dann nicht so richtig, was zu tun ist. Aus falschem Ehrgeiz hungern sie dann bis zum Abendessen, das es selten vor 19 Uhr gibt. Das verzögert und verschlechtert somit die Regeneration für die nächsten Tage und das Immunsystem ist bei Hunger auch nicht so einfach gnädig zu stimmen.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, Heißhungerattacken zu bekommen und dann wahllos Speisen in sich hineinzuschaufeln. Ideal wäre es dagegen, noch vor dem Duschen einen Recovery-Shake zu trinken oder -riegel zu essen und nach dem Duschen bei einem späten Mittagessen die Kohlenhydratspeicher wieder aufzufüllen. Allerdings besteht die Kunst dann darin, abends am Buffet zurückhaltend zu sein und dann nur zum Gemüse, Fleisch und Fisch zu greifen und nicht den Teller mit Pommes und Nudeln aufzufüllen.
Apropos Recovery – Eiweiß zu jeder Mahlzeit?
Auf jeden Fall. Der Organismus befindet sich durch den erhöhten Trainingsumfang und der unvollständigen Regeneration zwischen den Trainingseinheiten in einem katabolen Zustand. Das bedeutet: er schreit förmlich nach Protein. Allerdings sollte man das nicht nur einmalig in Form eines Recovery-Shakes einnehmen, sondern zu jeder Mahlzeit. Also Frühstück, direkt nach der Einheit, beim späten Mittagessen sowie zum Abendessen. Profis nehmen sogar kurz vor dem Schlafen noch ein wenig Protein zu sich.
Ein Tipp, wie man die Gelüste unterdrückt, wenn am Buffet die Sünden lauern?
Ich beobachte bei Hobbysportlern, aber bei mir selbst auch, dass man in den ersten zwei Tagen am Buffet noch sehr diszipliniert ist und um die Pommes und den Nachtisch lediglich herumschleicht. Aber dann nach spätestens nach drei Tagen schmeißt man die guten Vorsätze über Bord und schlägt zu. Deshalb lieber von Beginn an, mit Augenmaß an die Sache rangehen, sich normal ernähren, allerdings den Nachtisch ganz weglassen. Denn sind wir doch mal ehrlich – zuhause ist doch auch keiner von uns als Nachtisch ständig Eis, Schokotorte oder ähnliche Kalorienbombe. Eine Scheibe Melone, eine Kiwi oder eine Mandarine sind erlaubt.
Was sind die größten Ernährungssünden im Trainingslager?
Süßigkeiten und Alkohol. Schließlich ist man ja im Urlaub und will sich was gönnen beziehungsweise sich belohnen. Und das ist der Kardinalfehler. Mache ich Urlaub mit dem Rad oder will ich trainieren – die Frage sollte man sich wirklich vorher beantworten. Wer trainieren will, muss sich auch auf das Drumherum mit gesunder, ausgewogener Ernährung einlassen und das dann durchziehen. Kein Mensch sagt, dass das leicht ist. Aber es ist professionell.
Also auch kein obligatorisches Bier nach der Tour?
Das ist lecker – ohne Frage. Aber wenn wir von einem Trainingslager sprechen und nicht über Urlaub mit dem Rad, dann passt es nicht wirklich – genauso wenig wie die Schokotorte als Nachtisch.
Foto: Henning Angerer