Abenteuer Alpencross: In vier Etappen von Oberbayern nach Kaltern in Südtirol
Der Alpencross gehört noch zu den letzten großen Abenteuern, die Rennradfahrer unter die Räder nehmen können. Ob Gipfelstürmer, Easy Rider, Langstreckenpilot, Bikepacker – jeder Rennradfahrer-Typus erfährt beim Alpencross sein ganz persönliches Abenteuer. Denn für viele ist der Weg das Ziel.
Die Hauptdarsteller in diesem Plot sind nicht das Stilfser Joch, Passo Giau, Gardasee oder der Zielstrich, sondern der Rennradfahrer selbst. Denn er durchlebt und schreibt hier seine ganz eigene Geschichte. Verkürzt und zugegeben abgedroschen ist das Erlebte auf dem Weg das Ziel; ganz egal über welchen Giganten aus Stein oder moderaten Pass die Route letztendlich führt. Und dieses Erlebte kann sich ganz schnell ändern und unterliegt ganz unterschiedlichen Betrachtungsweisen. Denn Lust und Leid, Frust und Freude können sich hier schnell abwechseln, und das Ganze zu einem wahren Wechselbad der Gefühle machen lassen.
Zwar ist die Route geplant, aber bei der Umsetzung kann viel passieren. Und anders als im Training oder im Rennen gibt es weder die Optionen DNS (Did Not Start) noch DNF (Did Not Finish), denn das Ziel muss erreicht werden. Wie die Strategie für einen solchen Mehrtages-Tour über die Berge aussieht, erklärt dieser Artikel: Alpencross: Die besten Taktik-Tipps für eine Transalp mit dem Rennrad
Auf solch ein Abenteuer ließen sich auch die Hobbysportler des Team Alpecin ein; allerdings nicht blauäugig drauflosfahrend, sondern akribisch geplant von keinem Geringeren als Ex-Radprofi und Coach Mario Kummer. Einer, der die Berge kennt und auch sehr viel Erfahrung im Guiden von Gruppen besitzt – nicht jeder Weltmeister und Olympiasieger kann das von sich behaupten.
Vier Tage im Sattel hatte Mario Kummer geplant, um vom Starnberger See zum Kalterer See in Südtirol zu kommen und dabei in den schweißtreibenden Genuss der Schönheit der Dolomiten und der umliegenden Gebirge zu kommen.
Alpencross 1. Etappe: Starnberger See – Mayrhofen
Vom Starnberger See führt der 180 Kilometer lange Abschnitt entlang der niederbayerischen Gewässer Großer Ostersee, Kochelsee, Walchsee uns Sylvenstein Stausee nach Österreich. Über Achenkirch und den Achensee führt die Route ins Zillertal. Ziel dieser „Seefahrt“ mit ihren 2600 Höhenmetern ist der Ort Mayrhofen in Tirol.
„Die erste Etappe unseres Alpencross verlief ziemlich ruhig. Unser Guide Mario Kummer, Olympiasieger und Ex-Weltmeister, hatte sich für den ersten Tag eine „ruhige“ Strecke ausgesucht. Wir fuhren von Bernried am Starnberger See bis nach Mayrhofen im Zillertal. Aus der ersten Etappe wurde eine kleine Seenrundfahrt – angefangen vom Starnberger See, Kochelsee dem Achensee und zum Abschluss fuhren wir rund um den größten Alpensee Deutschlands, dem Walchensee. Landschaftlich eine traumhafte Strecke vorbei am Sylvensteinsee und Achensee durch das Voralpenland. Besonders schön war es, dass wir als Gruppe geschlossen die Etappe fahren konnten.“
Alexander Claas, Team Alpecin 2015
Alpencross 2. Etappe: Mayrhofen - Lienz
Kurz nach dem Start führt die zweite Etappe hoch auf den Gerlospass (1531 m). Nach der Abfahrt verläuft die Strecke durch den Pinzgau, ehe das Highlight auf die Rennradfahrer wartet: die Großglockner Hochalpenstraße. Sie schraubt sich bis zum Hochtor auf 2504 Meter .Von oben führt eine erfrischende und lange Abfahrt ins Tagesziel Lienz, das nach rund 170 Kilometern erreicht wird.
"Nachdem wir die erste Tagestour des Alpencross gut überstanden hatten, stand als Highlight der zweiten Etappe der 32 Kilometer lange Anstieg der Großglockner Hochalpenstraße an. Bei diesem Berg handelt es sich mit 3.798 Metern um den höchsten Berg Österreichs und „König der Ostalpen“ im Hohe Tauern Gebirge. Zuerst ging es an diesem Tag, sozusagen zum Warmfahren, über den Gerlospass.
Danach ging es rasant bergab, woraufhin eine längere, flache und sehr angenehm zu fahrende Strecke über Wald im Pinzgau, Mittersill und Kaprun weiter bis nach Bruck an der Großglocknerstraße folgte. Dort eröffnete sich vor unseren Augen ein riesiger, imposanter Gebirgskamm. Als ob man sich der Höhle des Löwen nähern würde, zog langsam eine dicke Wolkendecke vor die Sonne und der Himmel verdunkelte sich.
Von Bruck aus ging es mit einer moderaten Steigung von 2% bis nach Fusch. Hier, am Fuße des mächtigen Hohe Tauern-Gebirges, machten wir nochmal einen letzten Stopp um die Energie- und Flüssigkeitsspeicher aufzufüllen. Ab diesem Streckenpunkt, begleitet von Nieselregen und Nebel, fuhr jeder sein eigenes Tempo.
Die Männer, die teilweise mit sehr hohem Tempo starteten, verschwanden dabei sehr schnell aus meinem Sichtfeld. Einige bekamen den übertriebenen Ehrgeiz allerdings gegen Ende der Hochalpenstraße sehr stark in den Beinen zu spüren. Aufgrund meiner geringen Passerfahrung hielt ich mich strickt an meine Wattbereiche und strampelte mit durchschnittlich 210 Watt langsam aber stetig die nächsten 7 km hinauf.
Meine Teamkollegin Anja, die sich einige Meter vor mir befand, hatte ich dabei immer im Blick. Nach einem etwas steileren Stück von 1,5 Kilometern, pendelte sich die Steigung bis zur Mautstation Ferleiten bei 5 Prozent ein. Ab diesem Punkt nahm die Steigung auf durchschnittlich 10-12 Prozent zu. Um in meinem Wattbereich zu bleiben kurbelte ich nur noch mit rund 50 Umdrehungen den Berg hoch.
Während der Fahrt begleitete Mario jeden einzelnen Teamfahrer abschnittsweise und so leistete er auch mir zeitweise nette Gesellschaft. Neben einer sehr angenehmen Unterhaltung gab er mir hilfreiche Tipps zum Wiegetritt. Die letzten 3 Kilometer bis zum Fuscher Törl waren geprägt durch Serpentinen. In den Kehren, die etwas flacher waren, fühlte sich die Steigung geradezu eben an und sorgte zumindest für einen kurzen Moment für etwas Erholung.
Auf den letzten Kilometern spielte ich durchaus mit dem Gedanken für einen kurzen Moment stehen zu bleiben. Allerdings wollte ich nicht das Hinterrad von meiner Teamkollegin verlieren, der ich mich nach und nach angenähert hatte. Auf dem letzten Stück konnte ich sie sogar noch überholen. Dem Ziel nahe verzog sich nun auch langsam der Nieselregen und Nebel, sodass man einen freien Blick auf die beeindruckende Bergwelt hatte. Als kleines niedliches Highlight entdeckte ich sogar noch ein süßes Murmeltier am Straßenrand.
Auf 2.482 Metern Höhe, endlich am Fuscher Törl angekommen, hielten meine Teamkollegin Anja, Mario und ich kurz an um den Blick auf das tolle Alpenpanorama zu genießen. Es war eine beeindruckende Aussicht. Nach einer kurzen Abfahrt, ging es die letzten Meter wieder hinauf bis zum 2.504 Meter höchsten Punkt, dem Hochtor. Hier wartete kurz vor dem Tunnel unser technischer Support Maik mit dem Bus, Verpflegung und warmer Kleidung auf uns. Dort voller Glücksgefühl angekommen, machte sich in meinem Gesicht ein dickes Grinsen breit – die Höhle des Löwen war erfolgreich bezwungen."
Martina Weber, Team Alpecin 2015
Alpencross 3. Etappe: Lienz - Cortina d'Ampezzo
Über insgesamt sechs Anstiege – darunter mythische Giro-Berge wie Monte Zoncolan und Tre Croce Domini (Drei Zinnen) - verläuft die Königsetappe von Lienz in die Olympiastadt Cortina d’Ampezzo in den Dolomiten. Zum Aufgalopp führt die Route bis zur österreichisch-itaienischen Grenze über Gailbergsattel und Plöckenpass. Nach einer längeren Abfahrt geht es dann über die Giganten aus Stein. 180 Kilometer und 4700 Höhenmeter summieren sich auf dem Abschnitt, die auch problemlos eine schwere Giro-Bergetappe sein könnte.
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„Am Tag der Königsetappe schien die Sonne und wir versuchten, beim Frühstück soviel wie möglich zu essen. Am diesem Tag standen die Highlights Monte Zoncolan und Passo Tre Croci Richtung Cortina d’Ampezzo auf dem Programm. Dazu war es durchgehend „wellig“ mit immer mal wieder ein paar hundert Höhenmetern am Stück. Die absolute Krönung war in jedem Fall der Monte Zoncolan. Mit 1200 Höhenmetern auf gut 14 Kilometern ist das wahrlich ein harter Anstieg.
Nach relativ flachen ersten Kilometern konnte ich die folgenden acht Kilometer relativ rhythmisch bei 6 bis 15 Prozent Steigung fahren. Nach elf Kilometern standen dann ungefähr 700 Höhenmeter auf dem Pioneer-Leistungsmesser, und genau das war das Problem. Es folgten weitere drei Kilometer mit unfassbaren 500 Höhenmetern.
Ich konnte den Berg fast ausschließlich im Wiegetritt bei einer extrem niedrigen Trittfrequenz fahren, da einige Abschnitte bis über 25 Prozent Steigung aufwiesen und ich im Sitzen wohl hinten rübergefallen wäre. Die Oberschenkel brannten extrem, der Puls raste und der Schweiß tropfte bei 30 Grad und Sonne nur so vom Körper auf den heißen Asphalt.
Das waren definitiv die längsten und anstrengendsten 3000 Meter meines Lebens! Oben angekommen machte sich bei mir eine Stimmung aus völliger Erschöpfung und Stolz breit, diesen Wahnsinnsberg ohne abzusteigen bezwungen zu haben.
Die Abfahrt war mit ihren engen Kehren und durchgängig über 15 Prozent Gefälle auch ein echtes Highlight, bei dem man aufgrund der engen, schlecht einsehbaren Kurven extrem aufpassen musste. Direkt nach der Abfahrt stand der nächste „Hügel“ mit 600 Höhenmetern auf dem Programm, ehe es über den Passo Tres Croci Richtung Cortina ging. Bei den Anstiegen war ich dann schon sehr erschöpft und quälte mich vom Tag gezeichnet die Berge hoch.
Unsere Betreuer Philipp und Lude unterstützten uns wo sie konnten und aus unserem Begleitfahrtzeug wurden uns immer wieder Getränke und Essen gereicht. Trotz der körperlichen Qualen konnte man zwischendurch immer wieder die traumhaften Panoramen der Dolomiten genießen. Nachdem wir uns dann den letzten der knapp 4500 Höhenmeter hochgequält hatten, konnten wir eine mal wieder traumhafte Abfahrt nach Cortina genießen."
Matthias Bröker, Team Alpecin 2015
Alpencross 4. Etappe: Cortina d'Ampezzo - Kaltern am See
Von Cortina d'Ampezzo sind in den Dolomiten Passo di Giau, Passo Fedeai am Fuße der Marmolada und Karerpass zu erklimmen, ehe es hinunter ins Ziel nach Kaltern am See geht.
„Ich stieg mit echt dicken Beinen aus dem Bett und wusste nicht, wie ich am Finaltag nochmals über 3000 Höhenmeter bewältigen sollte. Nach einem ausgedehnten Frühstück quälte ich mich ein letztes Mal in die Radklamotten. Es sollte laut Roadbook nicht der schwierigste Tag werden, doch der Tag wurde für mich zu einer echt mentalen und körperlichen Herausforderung. Die vorherigen Tage haben einfach so viel Körner gekostet und ich war nicht mehr wirklich bei Kräften. Trotzdem stieg ich auf mein Rad und startete zur Finaletappe nach Kaltern, das ich von unserem Frühjahrstrainingslager ja kannte.
Bei leicht wolkenverhangenem Himmel fuhren wir nach nur rund zwei Kilometer direkt in den den ersten Anstieg. Der 13 Kilometer ging es hoch zur Passhöhe des Passo di Giao. Je länger ich fuhr, desto besser fühlte ich mich und hatte auch lange Zeit keine Probleme. Die Etappe – von Mario Kummer perfekt designt – war wieder ein Hingucker, die Landschaft und das Panorama der Berge machten die Schmerzen etwas wett und es ging weiter in Richtung Kaltern.
Der Berg des Tages sollte die Marmolada werden, mit einem sehr langen und zähen Anstieg hinauf zum Passo die Fedaia. Dieser war nicht sehr angenehm zu fahren, denn er ist eher untypisch, anstatt mehrerer Kehren und Spitzkurven zu fahren musste man hier sehr lange Geraden hochstrampeln. Man hat zwar das Ziel gesehen, doch wir kamen im gefühlt nicht näher. Das zehrte nicht nur an der Energie sondern auch an den Nerven. Die Temperaturen stiegen nach der Abfahrt schlagartig an, da wusste ich, dass wir weiter Richtung Südtirol kommen. Jetzt ging es noch über den Karerpass und vorbei am Karersee, der zum Abkühlen einlud.
Nach einer Tempoverschärfung meiner Gruppe hatte ich aber allmählich keine Kraft mehr, sodass die letzten Kilometer des Tages zu einer echten Anstrengung wurden. Vielleicht lag es auch daran, dass ich an diesem Tag einfach weniger gegessen hatte und mir deshalb die Kraft gegen Ende ein wenig weggeblieben ist. Dennoch erreichten wir überglücklich das Ziel in Kaltern am See.“
Alexander Claas, Team Alpecin 2015