Frühjahrsklassiker in Frankfurt: „Mein allererstes Jedermann-Radrennen
Als Rookie zum allerersten Rennen. Team Alpecin-Fahrer Bastian Picker feierte bei Eschborn-Frankfurt am 1. Mai seine Premiere als Jedermann-Rennfahrer. Wie es ihm dabei erging und warum die Taktik nicht ganz aufging, erfährst Du hier:
1.Mai. Eschborn-Frankfurt. Der Radklassiker. Bisher von mir meist im Fernsehen verfolgt. Doch in diesem Jahr ist ja sowieso alles anders! Noch schnell ein paar Sachen für die Uni erledigt, ging es am Vortag bereits gegen Mittag nach Frankfurt. Und was mich dort erwartete, knüpfte nahtlos an die Kalterer-Trainingswoche an. „Live like a Pro“ – ein Satz überragt alles. Denn alles war wie immer perfekt vorbereitet. Bereits bei meiner Ankunft prangte der große Alpecin-Bogen über der Einfahrt zum Hotelparkplatz und unsere kleine Alpecin-Stadt war komplett aufgebaut und mit Teamkollegen, Staff und Fans bevölkert. Überwältigt von diesem Empfang ging es für mich zunächst einmal zum Einchecken ins Hotel und nicht etwa zur Startnummernausgabe, denn auch das war schon für alle erledigt worden. Nach de Check-In ging es zurück zum Alpecin-Stand. Hier hatten sich in der Zwischenzeit auch zwei Katusha-Alpecin Profis eingefunden. Marco Haller und Reto Hollenstein sollten uns auf einen Recon-Ride in und um Eschborn begleiten – wie geil ist das denn?! Punkt halb 3 ging es los. Obligatorisches Gruppenfoto unterm Alpecin-Bogen und dann eine kleine Runde in Richtung Nordwesten. Na klar, kennt man ja schon, locker reinkommen am ersten Tag geht mit Lude meist nicht. Also direkt einmal den Mammolshainer Stich in Angriff nehmen, alles natürlich in einem angenehmen Tempo. Schon am Tag vor dem Rennen war das etwas Besonderes. Mit den Katusha-Jungs durch die Straßen zu fahren und bereits von einigen Leuten im Training angefeuert zu werden – hat was! Oben angekommen zeigten bereits einige ihre künstlerische Begabung: „Team Alpecin“ verzierte in mehrfacher Ausführung den Asphalt, die Farbe noch frisch! Die Jungs vom Fernsehen probten bereits den Kamerakran und auch die Videoleinwände waren bereits im Einsatz. Was für Eindrücke! Und wir waren erst am Anfang.
Nach einer weiteren(!) Runde über den Mammolshainer (ich erwähnte ja bereits, dass locker reinkommen mit Lude meist nicht möglich ist…), ging es zurück durch den Feierabendverkehr Eschborns, einige wütende Autofahrer inklusive. Jetzt war der Moment gekommen, an dem Zeit zum Ankommen war. Also schnappte ich mir mit Torsten (der auf Instagram mittlerweile unter dem Namen TottoBeene04 durchstartet) das eine oder andere Kaltgetränk und konnte die wunderbare Nachmittagssonne in Ruhe noch etwas genießen. Nach dem Duschen ging es zum gemeinsamen Abendessen, bei welchem auch endlich unsere Selma, die dritte Starterin des 2019er Teams beim Radklassiker, hinzustieß. Bei jeder Menge Gefachsimpel, der Ausarbeitung der Siegespläne für den Folgetag von Totto, alkoholfreiem Weißbier und einem hausgemachten Burger ging das gemeinsame Abendessen schon schnell in den gemütlichen Teil über. Dazu trafen sich alle noch einmal vor dem Hotel an unserem Caravan, um die letzten Informationen und Tipps für den nächsten Tag zu bekommen. Lude wurde dabei von José Azevedo, Teamchef der Profis, unterstützt. Es konnte also eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. Ich muss zugeben, nach der Teambesprechung kam das erste Mal ein Gefühl der leichten Aufregung in mir auf. Jetzt ging es also wirklich los. Das erste Rennen. Bisher hatte ich mich immer ein wenig davor gesträubt, bei den (über)motivierten Jedermännern mit am Start zu stehen. Doch jetzt führte kein Weg mehr daran vorbei. Teamchef Lude teilte mir kurzerhand noch seinen „Matchplan“ für den Radklassiker mit. Der war schnell erzählt. „Wir fahren nach vorne. Du kommst mit. Am Berg kann man abgehängt werden, vorher wird nicht geheult und erst aufgehört, wenn wir vorne sind.“ Der Plan war also klar. Ich war zwar noch etwas skeptisch, wie das so funktionieren wird, aber ließ mir das natürlich nicht anmerken…! Gegen 22 Uhr ging es aufs Zimmer, das Rad musste schließlich noch für den Renneinsatz vorbereitet werden. Die Startnummern waren schnell montiert, das Wichtigste legte ich schon einmal für den Morgen bereit und dann versuchte ich, relativ früh Schlaf zu bekommen, was allerdings weniger gut funktionierte. Das letzte Mal schaute ich gegen 0:30 Uhr auf das Handy, in dem Bewusstsein, dass nur knapp fünf Stunden später schon wieder der Wecker klingeln würde…
Der Renntag: leichtes Premierenfieber beim Rookie
Die befürchtete Müdigkeit hielt sich um 5:40 Uhr doch überraschenderweise in Grenzen. Dafür war ich jetzt etwas angespannt. Als Erstes wollte ich mir beim Frühstück eine gute Grundlage schaffen. Zwei Schalen Müsli, zwei Brötchen, ein doppelter Espresso, das sollte doch erstmal reichen. Zurück auf meinem Zimmer dann die letzten Vorbereitungen. Die Startnummer noch an die Weste, Riegel und Gels für den Energienachschub in die Trikottaschen. Das Ganze noch zwei- bis dreimal gecheckt, um auch wirklich sicherzugehen, dass ich nichts vergessen habe.
Eine gute Dreiviertelstunde vor Start ging es für die Alpecin-Fahrer in Startblock 2. Erste Reihe natürlich, um noch ein paar geile Fotos zu machen. Die Zeit bis zum Start war geprägt von einem ziemlich aufgedrehten Teamchef Lude, der sich die eine oder andere Sprungeinlage auf seinem Rad nicht nehmen lassen wollte, etwas frieren – im Schatten war es um diese Uhrzeit dann doch noch relativ frisch – und diversen Toilettengängen („guck an, der Picker ist nervös, der muss nochmal pinkeln!“ schallte es auf dem Weg zur Toilette aus dem hinter mir liegenden Startblock). Viel Zeit zum Nachdenken über die eigene Nervosität blieb gar nicht mehr.
Das Rennen: der erwartete Kampf um Positionen
Der Startschuss ertönte und plötzlich ging alles ganz schnell. Den Wahoo rechtzeitig wieder aus seinem Schlafmodus geweckt, in den er während der Wartezeit um Startblock gewechselt war und aufgerückt auf den ersten Startblock versuchte ich mich kurz an Ludes „Schlachtplan“ zu erinnern. Bevor ich mein Gedächtnis allerdings sortiert hatte, war er mir jedoch bereits entwischt. In der neutralisierten Phase… vor der ersten Kurve! Was für ein Fehlstart! Es muss eine winzige Lücke gewesen sein, die er genutzt hatte, um gefühlt 20 Positionen herauszuholen. Jedenfalls war er bei der Überquerung der offiziellen Startlinie schon nicht mehr in meinem Blickfeld. Es galt nun also, mein „eigenes Rennen“ zu fahren. Doch wie fährt man das eigentlich so sein eigenes Rennen? Nun, in diesem Fall ist die Geschichte schnell erzählt. Alle zuvor überlegten Pläne wie „erstmal ruhig angehen“, „Gruppe suchen“, „zusammenfahren“ waren innerhalb von Sekunden über Bord geworfen und ich befand mich in einer hunderte Meter lang gezogenen Reihe von Hobby- und Amateurradfahrern, welche meiner Ansicht nach entweder kurz vor dem Gewinn der Weltmeisterschaft standen, oder aber vor irgendetwas auf der Flucht waren. Kurzum: Es war verdammt schnell.
Mein Puls war bei weit über 170, ich interpretierte das für einen Sekundenbruchteil als unvorteilhaft für den weiteren Rennverlauf. Im selben Sekundenbruchteil ging mir die Stimme unseres Coaches Flo durch den Kopf: „Desch musst langsam angehe!!“ Doch auch diese Worte waren schnell vergessen, als vor meinem Vordermann die nächste Lücke aufging. Also wieder dasselbe: Überholen und Lücke zufahren, sonst ist die erste Gruppe weg. Und dann war da noch das, was uns der Chef am Abend vorher als Auftrag gegeben hat: Nach vorne fahren, ohne zu heulen… ein verrückter Plan, aber reizte mich nun doch, es vielleicht bis ganz nach vorn zu schaffen. Schließlich waren auf einer langen Geraden bereits die Führungsmotorräder der Polizei aus meiner Position zu erkennen! Es ging durch die Straßen Frankfurts – in einem irren Tempo. Zeitweise konnte ich ansatzweise über 60 km/h auf meinem Wahoo erkennen, später erfuhr ich, dass wir auch den Main zweimal überquert hatten. Das habe ich im Rennen gar nicht mitbekommen. Vor allem vor und nach den Kurven konnte ich einige Plätze gutmachen, was mich letztendlich langsam aber sicher weiter nach vorne brachte. Zwischenzeitlich dachte ich mir kurz, wie verrückt das eigentlich gerade ist, was ich hier mache. An einem Feiertag, kurz vor 9, mitten durch die City Frankfurts, mit 6000 anderen Bekloppten. Doch keine Zeit für große Gedanken.
Nach der Stadtdurchfahrt beruhigte sich die Situation etwas. Ich war mitten im Feld unterwegs. Eine Situation, wovor ich im Vorfeld am meisten Respekt hatte. Doch ich muss sagen, es ging besser als zuvor gedacht. Auf einer leicht abfallenden Bundesstraße gab es vor mir dann den von mir befürchteten Sturz, doch ich konnte glücklicherweise rechtzeitig bremsen und ausweichen. Allerdings gab es nun wieder eine Lücke zur Spitze… also begann das Spielchen wieder von vorne, bis etwa nach 30 Kilometern der Fuß des Feldbergs erreicht war. Und tatsächlich befand ich mich an dieser Stelle weiter vorne als erwartet. Etwa 15 Reihen vor mir war die Spitze des Rennens zu erkennen. Natürlich in Alpecin-Farben. Lude fuhr das Feld entspannt in den Feldberg hinein, es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass ich ihn während des Rennens sehe. Im Anstieg musste ich zunächst etwas rausnehmen, die Hetzjagd durch die City hatte ihre Spuren hinterlassen… Dennoch war es der Wahnsinn, was hier teilweise los war. Das war schon ein ziemlich geiles Gefühl von den Leuten am Streckenrand nach oben gepusht zu werden.
Auf der Suche nach der perfekten Gruppe
Die Fahrt in einer Gruppe, welche mein Tempo fuhr, wäre in dieser Situation natürlich ideal gewesen. Doch die „Suche“ danach gestaltete sich leider als ziemlich schwierig und lange Zeit aussichtslos. Das hatte zur Folge, dass ich nach dem Feldberg lange Zeit allein unterwegs war. Ein absolut sinnloses Unterfangen! Immer wieder versuchte ich, Ausschau nach hinten zu halten. Immer in der Hoffnung auf baldigen Windschatten. Der Anstieg nach Ruppertshain zog sich doch etwas länger als erwartet und tat ganz schön weh. Die Beine wurden zunehmend schwerer. Doch es wartete ja noch der Mammolshainer Stich, den wir ja bereits vom Vortag kannten! Also schnell noch ein Gel gefuttert – erstaunlicherweise ohne jeglichen Inhalt in der Gegend und auf mir zu verteilen – und rauf da! Wird schon nicht so schlimm werden! Gerade noch rechtzeitig rollte gut 25 Kilometer vor dem Ziel tatsächlich eine gut 30 Mann starke Gruppe heran. Die Rettung!
Ich machte es mir zunächst einmal im hinteren Teil etwas „gemütlich“ und bereitete mich mental schon einmal auf die letzte Prüfung des Tages vor. Da ich wusste, wann es wo bergauf ging, nahm ich das Ganze relativ entspannt und ließ die Stimmung auf mich wirken. Der Wahnsinn, was da los war! Meine Beine waren zwar komplett leer, aber ich kann jetzt ansatzweise nachvollziehen, wie einen solche Zuschauermassen pushen können. Trotzdem bin ich den „Mammolshainer“ im „Rennen“ langsamer gefahren, als am Tag zuvor. Für mich aber vollkommen okay, denn ich wusste, was ich zuvor an diesem Tag bereits getan hatte ? Man könnte denken, das war es nun. Doch in der Abfahrt in Richtung Eschborn befand ich mich plötzlich wieder allein auf der Strecke. Die Gruppe vor mir war mit fünf Leuten enteilt, keine Chance allein im Wind wieder ranzufahren. Also entschloss ich mich etwas rauszunehmen und auf eine größere Gruppe hinter mir zu warten. Eine gute Idee, wie sich herausstellen sollte. Hier befanden sich noch zwei Sportsfreunde des Mobil Oil Cycling Teams, die für diese Tageszeit noch relativ motiviert waren und voll im Saft standen. Ich fragte mich kurz, wo die beiden den Druck auf dem Pedal nach der Distanz noch hernahmen, ein Blick auf die Waden sollte mir relativ schnell die Antwort geben. Bei mir ging zwar nicht mehr wirklich viel, aber ich konnte mit letzter Kraft das Hinterrad meines Vordermanns halten und wir „rollten“ so noch einmal an die vordere Gruppe heran. Überraschend früh erkannte ich dann bereits am Streckenrand die Markierung des letzten Kilometers. Ich hatte erst 97 km auf dem Wahoo, traute der Geschichte also noch nicht so ganz. Doch tatsächlich tauchte nach dem besagten Kilometer der Zielbogen in Eschborn auf. Es war tatsächlich geschafft – mein erstes Rennen lag hinter mir.
Langsam rollte ich mit den anderen Fahrern in Richtung der „After-Race-Zone“, die Medaille um den Hals gehängt und ab in Richtung Alpecin-Caravan! Lude natürlich schon da, dass er noch nicht geduscht hatte, war alles. Meine Zeit von 2:47 Std. war für mich insofern zufriedenstellend, als dass ich zwischenzeitlich sogar dachte, es könnte mit den unter drei Stunden etwas eng werden. Also schnell eine kalte Cola aus dem Kühlschrank und erstmal einfach genießen. Es war geschafft. In diesem Moment erreichte mich schon die erste Nachricht auf meinem Handy. Ich hatte es in die Top 200 geschafft. Das liest sich doch ganz gut, finde ich, für das allererste Radrennen in meinem Leben. Natürlich gilt es jetzt, darauf aufzubauen und die Form für den ersten richtigen Höhepunkt – den Schleck Gran Fondo Ende Mai in Luxemburg – weiter zu steigern. Ich freue mich auf das was kommt und genieße weiterhin jeden Augenblick und jede neue Erfahrung. Da darf es zwischendurch auch gerne mal ein bisschen wehtun ?
Fotos: Alpecin Cycling/Henning Angerer, Alpecin Cycling/Stefan Rachow
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Auf Dauer die Radprofis im Fernsehen zu verfolgen, war dem Maschinenbaustudenten aus Aachen dann doch zu langweilig. Er wollte selbst erfahren, wie das so ist, seine Nase in den Wind zu stecken. Zudem suchte er einen aktiven Ausgleich zum Studium. Also erst mal ’nen gebrauchten Renner gekauft – ein T-Mobile-Replika aus Aluminium. Ein Trainingspartner war ebenfalls schnell gefunden, denn der Mitbewohner im Studentenwohnheim, ein Wettkampf-Ruderer, nahm ihn gleich mit zum Ausdauertraining an Land. Und die Strecken rund um Aachen nach Belgien und den Niederlanden bieten ja gleich echtes Klassiker-Feeling.