Saisonvorschau: Gravel-Fahrerin Jade Treffeisen im Interview
Die 32 Jahre alte Jade Treffeisen aus Freiburg zählt zu den Top-Gravelfahrerinnen. 2022 wurde sie bei der Gravel-Weltmeisterschaft Vierte, 2023 belegte sie beim Unbound Gravel in den USA Rang zehn und fuhr bei den WM-Qualifikationsrennen mehrmals aufs Podium und in die Top Ten. Doch nicht nur ihre Resultate sprechen für sich, sondern auch ihr Werdegang. Sie kam ersrt während ihres Master-Studiums (M.Sc. Public- and Profitmanagement) zum Leistungssport. Davor studierte sie Politik- und Verwaltungswissenschaften in Konstanz und schloss mit dem Bachelor ab. Seit einigen Jahren arbeitet Jade Treffeisen als SAP Consultant Finance & Controlling in einem Freiburger Beratungsunternehmen.
Es gibt einige Veränderungen bei Dir zur neuen Saison. Die Größte ist wohl, dass Du als Semi-Profi in die Saison 2024 gehst. Darf man das so sagen?
Ich habe jetzt eine Profi-Lizenz über CANYON Collective gelöst, aber ich würde immer noch nicht sagen, dass ich zu 100 Prozent Profi bin. Denn ich habe ja immer noch einen Job, in dem ich immer noch 60 Prozent arbeite. Insofern ist die Bezeichnung Semi-Profi nicht ganz falsch.
Wie kam es zu alldem?
Da lief vieles im positiven Sinne zusammen. Zum einen kam nach der guten Saison 2023 Andreas Walzer, verantwortlich für den globalen Pro Sport bei Canyon, vergangenes Jahr auf mich zu und sagte: Lass uns mal über die Saison 2024 reden. Daraus ergab sich ein Zweijahresvertrag mit Canyon.
Zum anderen hatte ich für mich parallel schon überlegt, wie ich mein Set-up selbst verändern könnte, sodass es auch ökonomisch für mich Sinn ergibt – und ich es zeitlich hinbekomme. Beispielsweise habe ich in 2024 viele sehr gute Sponsoren. Aber je mehr Sponsoren man hat, desto mehr musst man unternehmen, um diese dann auch zufriedenzustellen. Daraus ergeben sich Verpflichtungen, die Zeit außerhalb des Trainings in Anspruch nehmen.
Zuallererst habe ich daher mit meinem Arbeitgeber Nagarro gesprochen. Die Firma ist sehr offen und supportet mich sowie noch andere Sportler und Sportlerinnen im Unternehmen. Für das Unternehmen hat mein Sport natürlich eine gute Außenwirkung in punkto Employer Branding. Dann habe ich einfach vorgeschlagen als Form des Sponsorings meine wöchentliche Stundenzahl zu verringern. Das Management stand sofort dahinter. Am Anfang dachte ich, es ist schon ganz schön krass zu fragen, aber ich dachte andererseits auch, verlieren kann ich nichts. Sie können ja immer noch nein sagen.
Das bedeutet, Die Arbeitgeber ist auch einer Deiner Sponsoren?
Ja, die sind auch auf meinem Trikot präsent.
Wie vereinbarst Du den Leistungssport mit Deinem Beruf?
Mein Arbeitgeber ist da sehr offen und natürlich muss bei bestimmten Projekten auch mal mehr gearbeitet werden. Aber das ist immer eine Frage der Abstimmung und der Planung. Das funktionierte in der Vergangenheit auch immer sehr gut. So konnte ich beispielsweise, wenn ich mal eine ganze Woche unterwegs beim Kunden war, meinen freienT ag in einer anderen Woche nehmen. So war’s für mich einfacher, mit der Zeit zu agieren.
Aber klar ist auch, dass die Arbeit in wichtigen Projektphasen vorging und auch weiter vorgehen wird. Ich werde auch nicht auf der Stundenzahl beharren und einfach den Stift fallen lassen, wenn mehr Arbeit anfällt. Das muss immer ein Geben und Nehmen sein. Meine Firma ist mir in der Vergangenheit auch sehr stark entgegengekommen und dann bin ich auch bereit, in Vorleistung zu gehen.
Meinst Du, dass Dir der Mix aus professionellem Sport und klassischem Beruf generell leichter fällt, weil Du ja nicht schon seit Deinem 13. oder 14. Lebensjahr Sportlerin bist, beziehungsweise bei Dir der Sport ja erst nach deiner Hochschul-Laufbahn in den Vordergrund gerückt ist?
Es ist glaube ich schon ein Unterschied, wenn Du es gar nicht anders kennst. Ich habe erst während meines Masters so richtig mit dem Radfahren angefangen. Wenn Du schon immer diese Doppelbelastung hast, dann ist es vielleicht auch ein wenig einfacher, es zu kombinieren. Ich habe ja dieses 100 Prozent Radfahren, wie es ein echter Profi macht, gar nicht kennengelernt.
Hinzukommt noch, dass man sich mit Anfang 20 sehr wahrscheinlich eine andere sportliche Karriere vorstellt, wie ich sie mit Anfang 30 jetzt mache.
Ich bin bereit, jetzt viel zu investieren. Aber ich finde es ehrlich gesagt auch illusorisch, zu glauben, dass der sportliche Horizont der gleiche ist, wie bei jemanden, der Anfang 20 ist. Die möglichen Erfolge sind begrenzt.
Würdest Du tauschen und im Endeffekt die Uhr sozusagen 10 bis 15 Jahre zurückdrehen, um dann zu sagen: Ich konzentriere mich nur auf den Sport, um zu sehen, was überhaupt möglich wäre?
Das ist schon eine interessante Frage, die ich mir auch manchmal stelle. Was wäre denn drin gewesen, wenn ich mit dem Sport angefangen hätte, als ich jünger war. Aber ich denke mir dann auch, da hätte ich aber auch echt viel verpasst. Was ich alles nicht gemacht hätte, wenn ich ab meinem 15. Lebensjahr jedes Wochenende Radrennen gefahren wäre. Vieleicht würde ich jetzt auch gar nicht mehr fahren, wenn ich den frühen Weg eingeschlagen hätte – wer weiß.
Sehr wahrscheinlich hätte ich keinen Master gemacht, wäre nicht zweimal während meines Studiums im Ausland gewesen. Ich hätte nicht die Praktika absolviert, die ich gemacht habe und hätte vielleicht auch nicht die Kontakte außerhalb des Radsports geknüpft. Daher denke ich, für das Set-up habe ich jetzt schon ganz schön viel rausgeholt. Und jetzt schaue ich, was passiert.
Mir macht mein Job sehr viel Spaß. Das Arbeiten hilft mir ja auch insofern, dass ich noch etwas anderes tun kann, bei dem sich nicht alles um Werte, Training und Ernährung dreht. Das ist zwar einerseits belastend und anstrengend, andererseits bin ich in dem Moment ja in einer komplett anderen Welt und kann mich sozusagen ganz automatisch vom Sport distanzieren. Ich bin dann in einem Umfeld, in dem nicht immer über Radsport oder Leistungssport gesprochen wird. So kann ich mich über andere Dinge profilieren und einen guten Job machen. Das nimmt andererseits auch den Druck, den man dann hätte, wenn man zu 100 Prozent nur den Radsport hat.
Wie viel Stunden pro Woche Zeit hast Du für das Training?
Das weiß ich noch gar nicht so genau. Aber 2023 habe ich im Schnitt 14,5 Stunden pro Woche trainiert. Da ist also noch Luft nach oben.
Apropos Training – Du arbeitetest jetzt auch mit einem Coach zusammen?
Ja, mit Lars Teutenberg. Auch in punkto Training wollte ich etwas verändern. Das hat in der Vergangenheit mit meinem Teamkollegen auch sehr gut geklappt und wir haben uns gut verstanden. Aber mit Lars ist das natürlich noch eine Spur professioneller. Das Set-up ist jetzt ein anderes.
Wie sieht Dein Rennkalender für 2024 aus?
Zunächst wollte ich mit dem UCI WM-Qualifikation Rennen in Österreich, dem Wörthersee Gravel beginnen. Aber als Vorbereitungswettkampf fahre ich Mitte Februar das Santa Vall Gravel in Girona, das zur Gravel Earth Serie zählt. Das ist ein Drei-Etappenrennen, mit einem Prolog gefolgt von zwei Etappen. Das haben wir einfach mal als Trainingsrennen mitreingenommen. Zudem lässt es sich ganz gut mit einer Woche Trainingslager in Girona verbinden.
Nachdem wie schon erwähnten ersten UCI-Quali-Rennen fahre ich dann einen Dreier-Block in Spanien. Ich beginne mit „La Indomable“ – ebenfalls ein WM-Quaifikationsrennen, bei dem ich im vergangenen Jahr Zweite geworden bin. Dann folgt Utopia Gravel, das zur Gravel Earth Serie gehört. Das liegt sozusagen ganz gut auf dem Weg zu „The Traka“. Dort werde ich erstmals antreten und in der 200-Kilometer-Distanz starten. Dann folgt das WM-Quali-Rennen mit dem 3Rides in Aachen.
Highlight werden aber auch die Rennen in den USA sein. Unbound Gravel am 2. Juni und dann Steamboat Springs im August. Zwischen den beiden US-amerikanischen Rennen werde ich noch ein paar Wettbewerbe aus der UCI-Serie fahren wie das Wish One Millau in Frankreich sowie das deutsche Gravel-Rennen im Hegau, das erstmals in dieser Saison veranstaltet wird. Die Rennen in der Schweiz und in Polen wollte ich auch fahren.
Wir – also mein Coach und ich – haben erst mal so grob geplant, da es ja auch irgendwann noch mal eine deutsche Meisterschaft und auch eine Europameisterschaft geben soll. Ich mach das auch ein bisschen von der WM-Vorbereitung abhängig, was ich davor noch fahre.
Was sind Deine großen Ziele für 2024?
Also ein Highlight wird wieder Unbound sein. Das verlief vergangenes Jahr auch schon gut für mich. Ich wurde dort Zehnte. Vielleicht bekomme ich das noch smoother hin als 2023. Mir sind dort ein paar Sachen passiert, wo ich im Nachhinein denke, da wäre noch ein bisschen mehr dran drin gewesen.
Aber bei einem Rennen wie Unbound muss man natürlich immer damit rechnen, dass unvorhergesehene Dinge passieren . Solche Rennen sind immer eine Wundertüte. Aber ich würde da schon noch mal gern so gut wie möglich fahren.
„Unbound Gravel wird eines meiner großen Ziele für 2024 sein“
Allerdings: Bei solch einem Rennen wie Unbound muss man schon extrem aufpassen, dass man nicht überpaced und sich das Rennen gut einteilen. Das verzeiht einfach die Distanz von 200 Meilen sonst nicht.. Außerdem können unterwegs auch so viele Dinge passieren, die einen mental brechen können. Das ist ein Rennen über 12 Stunden, da muss man sich auf alles gefasst machen.
2024 findet es anscheinend auf dem Nordkurs statt, der dann auch noch ein paar Höhenmeter mehr haben soll. Und auch technisch anspruchsvoller ist.
Die großen Rennen sind natürlich immer ein Ziel. Bei der EM und WM würde ich schon gerne gut fahren.
Und wie sieht es bei den UCI-Quali-Rennen aus?
Da würde ich auch gerne gut abschneiden. Was ich ja noch nie geschafft habe, ist, ein Rennen zu gewinnen. Ich war zwar schon ein paar Mal auf dem Podium und in den Top Ten. Aber die Konkurrenz wird ja nicht geringer.
Fotos: Fellusch, privat