Interview mit Gravel-Weltmeister Gianni Vermeersch
Im Interview mit Alpecin Cycling spricht der erste Gravel-Weltmeister der Geschichte, Gianni Vermeersch, über die Faszination des Gravelbikens. Außerdem wirft der belgische Alpecin-Deceuninck-Profi einen Blick auf Strecke und Konkurrenz bei der WM 2023.
Was fasziniert Sie am Gravelbiken?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, es ist der Frieden und die Ruhe, die man findet, wenn man auf dem Gravelbike durch die Natur fährt. Ich habe natürlich auch meinen Background vom Cyclocross. Offroad zu fahren ist zusagen in meiner DNA. Mit dem Gravelbike habe ich verschiedene Optionen: Ich kann einfach raus und fahren oder ich nutze es auch fürs klassische Training.
Wenn Du Dich selbst etwas gelangweilt fühlst, dann kannst Du wunderbar auf kleine Straßen mit Schotter ausweichen oder auf Wegen durch den Wald fahren. Du hast beziehungsweise findest dann einfach Spaß beim Radfahren. Durch die Landschaft ist es zudem sehr abwechslungsreich. Deswegen mag ich es sehr.
Für mich ist eigentlich das Schönste daran, dass ich überall dorthin fahren kann, wohin ich gerade Lust habe, ohne besonders auf den Untergrund achten zu müssen. Anders als mit dem Rennrad. Mit dem Rennrad ist es dann doch echt schwieriger, weil du manchmal einfach entweder am Ende einer Straße stehst. Oder der Untergrund ist zu matschig oder zu steinig, und Du läufst wirklich Gefahr, einen Reifenschaden zu bekommen. Mit dem Gravelbike ist das alles gar kein Problem.
„Mein Training findet auch auf dem Gravelbike statt“
Nutzen Sie das Gravelbike auch während der Saison zum Trainieren?
Ja, manchmal mache ich das. Die vergangenen Monate habe ich darauf trainiert, um mich speziell auf die Gravel-WM und -EM vorzubereiten. Es ist natürlich auch ein technisch anderes Fahren, da du natürlich immer noch schnell um die Kurve herumfahren willst und dabei immer darauf achten musst, wie beschaffen der Untergrund ist.
Manchmal nutze ich mein Gravelbike auch während der klassischen Straßensaison mal an einem Tag, an dem nur eine lockere Einheit auf dem Trainingsplan steht und fahre damit schöne einfache Offroad-Strecken. Weil ich es eben mag.
Worin unterscheiden sich Straßen- und Gravel-Rennen aus taktischen Gesichtspunkten?
Bei den Gravel Rennen, die ich bis jetzt bestritten habe, wurde von Beginn an Vollgas gefahren. Kein überlegen und taktieren, einfach volle Power. Einfach Spaß haben auf dem Rad ist das Motto dieser Rennen. Beim Straßenrennen gibt es schon eine klare Dramaturgie beziehungsweise diese haben oft eine klassische Storyline.
Die meisten Straßenrennen, die wir fahren, laufen im Endeffekt gleich ab. Die erste halbe bis eine Stunde wird richtig schnell gefahren. Dann bildet sich eine Ausreißergruppe. In der Folge wird das Rennen von den Teams im Hauptfeld kontrolliert und dann kommt es gegen Ende zum großen Finale. Die meisten Straßenrennen verlaufen so, aber Gravel-Rennen sind eigentlich unvorhersehbar. Es ist Vollgas den ganzen Tag über. Und das ist eigentlich auch für mich das Schöne und Spaßige daran.
Glauben Sie, dass in Zukunft wie auf der Straße auch mehr mit Team-Taktiken bei Gravel-Rennen agiert wird?
Ich hoffe nicht. Bei den Rennen, die ich bis jetzt bestritten habe, sind wir immer von Beginn an voll gegangen. Das ist ja gerade das Schöne am Graveln, dass es dieses Teamregime nicht gibt. Ich glaube ehrlich gesagt auch nicht, dass Gravel-Racing so ein Teamsport wird, wie Rennen fahren auf der Straße. Es eignet sich auch nicht so, da von Beginn an gleich Vollgas gefahren wird. Zudem ist es in der Praxis auch echt schwierig zusammenzufahren, allein durch die schmalen Wege. Für mich ist das Schöne am Gravel-Racing, dass im Endeffekt jeder für sich fährt.
Natürlich fährst du mal mit einem Freund in einer Gruppe. Und wenn der dann wegfährt, dann bist du nicht der Erste, der hinterherfährt. In jedem Rennen hast du im Endeffekt so eine Art von Taktik. Aber bei Top-Sportlern liegt das einfach in den Genen, wir wollen gewinnen. Und das ist das Schöne am Gravel-Rennen: Jeder, der antritt, möchte um den Sieg fahren.
„Ich würde gerne mal Unbound in den USA fahren“
Würden es Sie reizen Gravel-Klassiker wie Unbound in den USA zu bestreiten?
Ich würde gern einmal dort fahren, wenn ich die Chance hätte, dort anzutreten. Aber dieses Jahr war es halt einfach aufgrund unseres Rennkalender geradezu unmöglich. Ich würde es aber gern einmal versuchen. Aber es ist auch eine andere Art Gravel-Rennen zu fahren als das, was wir hier aus Europa kennen.
Die Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr waren 165 km lang und wurden vom ersten Meter an Vollgas gefahren. Wenn du natürlich so lange Rennen fährst wie bei Unbound mit seinem gut 300 Kilometern, dann musst du im Endeffekt energiesparender fahren. Du musst versuchen, dann fürs Ende des Rennens immer noch was im Tank zu haben.
Ich hörte Geschichten von Fahrern, die teilgenommen haben, dass sich nach ein bis zwei Stunden eine große Gruppe an der Spitze des Rennens bildet. Diese Fahrer arbeiten dann gut zusammen und bleiben vorne, bis sie das Finale des Rennes erreicht haben. Aus dieser Gruppe kommt dann auch der Sieger.
Es ist schon ein wenig anders als die Rennen, die ich bisher gefahren bin. Ich würde es versuchen, dort mal mitfahren zu wollen, denn die längeren Rennen taugen mir natürlich auch. Ich bin auch schon Rennen gefahren, die knapp 300 Kilometer lang waren. Ich denke, dass die Länge für mich kein großes Problem sein dürfte.
Wie steht es um Ihre körperliche Verfassung? Sie haben bei den Gravel-Europameisterschaften ein starkes Rennen gezeigt und sind am Ende knapp Vierter geworden.
Ich denke, ich kann mit meiner derzeitigen Form sehr zufrieden sein. Nach der Renewi Tour war ich eine Woche lang krank und konnte da auch überhaupt nicht trainieren. Ich hatte danach wirklich einige Fragezeichen bezüglich meiner Form. Aber die letzten Rennen habe ich mich doch sehr gut gefühlt. Ich war in der ersten Gruppe bei den Super 8 Classics, die Mathieu van der Poel gewonnen hat. Da habe ich dann schon gespürt, dass die Form sehr gut ist. Und auch bei der EM habe ich mich sehr gut gefühlt. Natürlich war Jaspers Stuyven am Ende der Stärkste.
Aber mit anderen zusammen habe ich hart um den zweiten Platz gefightet. Natürlich war der Schnellste im Sprint Tim Merlier. Es war schwierig für mich, aber ich denke, dass ich die Beine hatte, auch ganz vorne zu landen.
Mit was für einem Rad sind Sie bei den Europameisterschaften angetreten – mit einem Straßenrad oder einem Gravelbike?
Ich bin mit dem neuen Gravelbike von Canyon gefahren. Vergangenes Jahr haben wir die Weltmeisterschaften noch auf dem Straßenrad bestritten. Aber dieses Jahr hat uns Canyon ein brandneues Gravelbike zur Verfügung gestellt. Das gibt es noch nicht zu kaufen. Ein paar Profis sind schon damit Rennen gefahren. Ich mag dieses Rad sehr. Es ist sehr agil und im positiven Sinne sehr aggressiv. Ich mag es wirklich sehr, um damit Gravel-Rennen zu fahren.
Welchen Reifenwahl haben Sie getroffen?
Wir haben uns für den Vittoria Terreno Dry in 35 Millimeter Breite entschieden. Den gleichen Reifen mit dem wir auch schon vergangenes Jahr bei den Weltmeisterschaften gefahren sind. Wir hatten keine Platten. Das ist auch der Grund, warum wir diese Reifen jetzt auch wieder verwendet haben. Sie funktionieren sehr gut. Wir hatten auch bei den Europameisterschaften keinen Reifendefekt. Das ist ein wirklich wichtiger Teil des Gravel-Rennens, dass Du auch ohne Defekte durchkommst.
„Wout van Aert ist für die Gravel-WM der Top-Favorit“
Wen sehen Sie als Top-Favorit bei denen Gravel-Weltmeisterschaften?
Wout van Aert ist ganz sicher der Top-Favorit. Bei jedem Rennen, bei dem er antritt, zählt er automatisch zum Favoriten-Kreis. Das wird jetzt dieses Wochenende bei der WM genauso sein. Ich habe auch gehört, dass Alessandro Valverde antreten wird. Da es ein sehr hügeliges Rennen wird, könnte er auch für eine Überraschung sorgen und um den Sieg mitkämpfen.
Kennen Sie den WM-Kurs?
Nein, nicht wirklich. Ich habe lediglich das Höhenprofil schon mal gesehen. Es sieht sehr anspruchsvoll aus. Wir werden am Mittwoch anreisen und uns dann die Strecke am Donnerstag und Freitag ansehen.
Ich habe gehört, dass einige der längeren Anstiege auf Asphalt gefahren werden.
Ich weiß es nicht. Für mich wäre das schade. Aber wir werden sehen.
Viel Erfolg für die Gravel-Weltmeisterschaften …
Danke
Fotos: Photonews.be