Radprofi Eddie Anderson über die Faszination des Gravelbikens

10.03.2021

Das Team Alpecin-Fenix beschreitet in der Saison 2021 neue Wege. Neben dem Straßenradsport, dem Mountainbike und dem Cyclocross will die Equipe auch bei Gravel-Rennen erfolgreich sein. Dafür wurde der erst 22 Jahre alte Eddie Anderson verpflichtet. Der US-Amerikaner soll bei prestigeträchtigen Gravel-Wettkämpfen wie Dirty Kanza, Belgian Waffle Ride und Barry Roubaix. Sein Talent für dieses Disziplin ließ er bereits 2019 aufblitzen als er beim Belgian Waffle Ride nur vom ehemaligen WorldTour-Profi Peter Stetina geschlagen wurde und mit lediglich zehn Sekunden-Rückstand Platz zwei belegte. Anderson fühlt sich aber nicht nur auf Schotter, sondern auch auf der Straße wohl; das bewies ein Top-Ten-Ergebnis beim Baby-Giro 2020. Alpecin Cycling sprach mit dem Kalifornier über die Faszination des Gravelbikens.

Was fasziniert Dich am Graveln?

Ich mochte es schon immer, draußen zu sein, Dinge zu entdecken und Abenteuer zu erleben. Wenn ich gravele, spüre ich Abenteuer und eine Verbindung zur Natur, die ich sonst nirgends finde. Für mich ist das Gravelbike etwas, mit dem ich auf Entdeckungsreise gehen kann, ein Abenteuer, das mich daran erinnert, warum ich überhaupt erst mit dem Radfahren angefangen habe – um die Erfüllung zu erleben, die Abenteuer- und Entdeckungstouren auf zwei Rädern verschaffen.

Worin liegt für Dich der größte Unterschied zum Fahren auf der Straße?

Für mich besteht der größte Unterschied zwischen Graveln und Straßenradsport in der Freiheit, unbekannte Pfade und Umgebungen zu erkunden – mit einem Gravelbike ist man nicht länger durch 25-Millimeter breite Reifen eingeschränkt. Dank meines Canyon Gravelbikes habe ich viele neue, wunderschöne und abgeschiedene Pfade entdeckt. Obwohl ich auch gern auf meinen Rennrädern sitze, finde ich es erfrischend, auf mein Gravelbike zu steigen und ruhige, abgeschiedene Pfade abseits der Stadt zu erkunden.

Was sind die Gründe dafür, dass Gravelrennen und Gravelbiking in den USA so schnell immer populärer werden?

Dafür gibt es einige Gründe. Erst mal glaube ich, dass es viele Leute gut finden, nicht zwischen den Autos im Verkehr unterwegs sein zu müssen und auf weniger befahrenen Routen fahren zu können. Dann, so glaube ich, erinnert Graveln die Menschen auch an die Zeit, in der sie vielleicht einfach nur aus Spaß und Abenteuerlust Rad gefahren sind. Ohne sich Gedanken zu machen, ohne Stress oder Unterbrechungen. Und vermutlich mögen auch viele die entspanntere, lockerere Stimmung, die in der Gravelgemeinschaft vorherrscht.

Ich denke, Gravelrennen nehmen aus den gleichen Gründen zu. Sie vermitteln den Teilnehmenden das Gefühl von Abenteuer durch einen „epischen“ Tag auf dem Rad. Außerdem ist die entspannte und offene Atmosphäre, die in der Gravelszene herrscht, für alle Athletentypen attraktiv. Egal ob du ein Top-Rennfahrer bist, der gewinnen möchte, oder ein Hobbyfahrer, der einfach ins Ziel kommen will – alle sind bei den Events willkommen. So verbinden Gravelrennen viele verschiedene Radcommunitys und sind damit eine tolle Möglichkeit, den Radsport zu promoten, ihn wachsen und gedeihen zu lassen.

Warum Du überhaupt mit dem Graveln begonnen?

Ich habe mit dem Gravelbiken angefangen, um mehr Spaß und Abenteuer in meine Straßenradsport-Routine zu bringen. Außerdem fühle ich eine Verbindung zu meiner Umwelt und der Natur, wenn ich auf dem Gravelbike sitze, die mir hilft, zu entspannen und einen klaren Kopf zu bekommen.

Welche Fähigkeiten sind wichtig für einen Gravelbiker?

Um ein guter Gravelbiker zu sein, muss man die grundlegende Fahrtechnik beherrschen. Es ist wichtig, sich nicht zu verspannen und den Lenker nicht zu fest zu umklammern; es ist viel komfortabler, wenn man entspannt und ruhig unterwegs ist. Und es ist wichtig, die Bremse gut dosieren zu können, damit man schnell und effektiver abbremsen kann, wenn das nötig ist.

Welches war Dein erstes Gravelrennen und wie hast du es erlebt?

Mein erstes Gravelrennen war der Belgian Waffle Ride in San Diego, Kalifornien. Ich war zunächst einmal erstaunt darüber, wie viele Teilnehmer am Start standen und wie enthusiastisch sie alle waren. Dieser Enthusiasmus hat für eine sehr warme Stimmung gesorgt. Es war schön, Teil davon zu sein. Bei vielen Gravelrennen geht es um mehr als nur um das Rennen an sich; soll heißen: es gibt Möglichkeiten um das Event herum, um sich auszutauschen und Marken kennenzulernen, was wiederum die Fahrradkultur fördert. Und ich war auch beeindruckt, wie schwer das Rennen war – 200 km mit vielen Anstiegen. Es war ein epischer Tag auf dem Bike, nach dem ich im Ziel total leergefahren war.

Trainierst du anders als fürs Graveln als für Straßenrennen?

Ich habe nie mein Training speziell auf Gravelrennen angepasst.

Worin, glaubst du, bestehen die physiologischen Unterschiede zwischen Straßen- und Gravelrennen?

Ich glaube nicht, dass es große physiologische Unterschiede zwischen den beiden Disziplinen gibt. Aber aufgrund der Länge der Events ist es wichtig, dass man auch am Ende eines fünf- oder sechsstündigen Rennens noch Power hat. In gewisser Hinsicht sind Gravelevents den Eintages-Frühjahrsklassikern ähnlich.

Welche Ziele hast Du im Graveln und an welchen Rennen willst Du teilnehmen?

Dieses Jahr möchte ich gern bei einigen der größten Gravelevents der USA Top-Resultate erzielen. Dazu gehören Belgian-Waffle-Ride-Events, Steamboat Gravel und Leadville 100.

Wirst Du auch Bikepacking-Events machen?

Ich habe noch keine Bikepacking-Events für 2021 geplant, aber das ist etwas, das ich gern in Zukunft machen würde. Ich liebe es, in der der Natur zu sein und mag es, in der Offseason zu campen und Bikepacking zu machen. Deshalb glaube ich, dass Bikepacking eine tolle Möglichkeit sein könnte, meine Liebe zur Natur noch mehr mit meiner Liebe zum Radsport zu verbinden.

Welches Gravelrennen in den USA magst Du am liebsten und warum?

Von den Rennen, an denen ich bisher teilgenommen habe, gefällt mir der Belgian Waffle Ride in San Diego, Kalifornien, am besten. Nicht nur die Strecke ist wunderschön, hart und episch, auch die Atmosphäre dort vor, während und nach dem Rennen ist toll. Ich freue mich schon, 2021 dort wieder am Start zu stehen.

Mit welchem Gravelbike wirst Du ins Rennen gehen?

In dieser Saison werde ich voraussichtlich die meisten Events auf dem Canyon Grail fahren. Mit diesem Bike lassen sich nicht nur sehr technische Offroad-Schotterpassagen meistern, es ist auch auf Asphalt schnell. Das macht es zu einem kompromisslosen Allround- und Gravelbike. Ich bin in den vergangenen beiden Monaten ein Grail gefahren und beeindruckt, auf wie vielen unterschiedliches Terrains es schnell ist – zum Beispiel Straße, Schotter und sogar Singletrails!

Fotos: Jack Anderson