Nie wieder frieren! Die perfekte Winterbekleidung für Rennradfahrer

09.12.2020

Was anziehen im Winter und bei Kälte? Im Alpecin Cycling-Bekleidungsguide erklärt Heiko Wild, Besitzer des Bekleidungsshops Bikedress in München und Verkäufer aus Leidenschaft, was wirklich warm hält. Und auf was Rennradfahrer bei der Winterbekleidung besonders achten sollten.

Oberkörper: Winterjacke & Baselayer clever kombinieren

„Es gibt im Endeffekt zwei Faktoren, die entscheidend aber bei jedem ganz individuell sind. Zum einen der Anwendungsbereich, zum anderen das persönliche subjektive Kälte- beziehungsweise Wärmeempfinden“, sagt Heiko Wild.

„Ich muss beispielsweise etwas anderes anziehen, wenn ich zwei Stunden im Wald crosse oder gravele und mich intensiver bewege, als wenn ich drei oder vier Stunden locker meine Grundlageneinheiten fahre und ich mich bei weitem nicht so anstrengen muss“, erklärt Heiko Wild.

„Der Crosser braucht aufgrund der höheren Intensitäten eher ein Oberteil mit sehr hoher Atmungsaktivität, beim Langstreckenfahrer sollte die sehr gute Wärmeleistung und -isolation sowie der Windschutz im Vordergrund stehen“, erklärt Wild.

Kunden, die noch gar nicht wissen, ob sie bei klirrend kalten Temperaturen überhaupt draußen fahren werden, dem empfiehlt Wild neben einem funktionellen Baselayer ein Wintertrikot aus dem flauschigen Super-Roubaix-Material. Dies lässt sich je nach persönlichen Kälteempfinden bei Temperaturen bis um die acht Grad fahren. „Wenn der Wind auffrischt, blockt die klassische Weste – darüber gezogen – die Kälte ab“, so Wild.

Generell reichen aber im Winter zwei Lagen völlig aus. Sofern sie gut miteinander kombiniert werden. Auch wenn immer wieder das Zwiebelprinzip propagiert wird – also mehrere Schichten übereinander – so birgt das Mehrlagenkonzept die Gefahr, dass der Schweiß aufgrund der vielen Stofflagen nicht mehr nach außen transportiert werden kann.

Die Folge: Der Körper wird feucht und kühlt aus – genau das, was es zu vermeiden gilt. Denn Kälte ist nicht nur unangenehm, sondern versetzt auch das Immunsystem in Abwehrbereitschaft – unnötigerweise.

Der enganliegende Baselayer – also das Unterhemd – nimmt den Schweiß auf, der auf der Haut produziert wird und gibt ihn an die Jacke weiter. Diese muss dann so konzipiert sein, dass sie den Schweiß nach außen transportiert ohne die Wärmeisolation zu stark beeinträchtigen.

Gerade bei den Baselayern gibt es eine große Auswahl an ganz unterschiedlichen Produkten. Neben Feuchtigkeitstransport und Wärmeisolation entscheidet der Tagekomfort, da dieses Bekleidungsstück direkt auf der Haut anliegt.

Oftmals kommt Merinowolle zum Einsatz. Diese wärmt nicht nur sehr gut, sondern hat gegenüber anderen Naturfasern den Vorteil, dass es selbst in feuchtem Zustand nicht kalt wird und so den Körper nicht auskühlt.

„Eine neue Winterjacke zu kaufen, verspricht zwar ein größeres Einkaufserlebnis, aber der Kunde sollte sich schon intensiv mit den verschiedenen Arten von Baselayern befassen“, rät Wild. Einige haben sinnvolle Features wie einen wärmenden enganliegenden Stehkragen oder eine integrierte Kapuze.

Über dem Baselayer wird dann die Winterjacke getragen. Wild ist generell ein großer Verfechter von technischen – also hochfunktionellen – Stoffen. Denn die Jacke soll bei unterschiedlichen Bedingungen einen sehr guten Wetterschutz gewährleisten; beispielsweise den kalten eisigen Wind abblocken. „Hier kommt vielfach atmungsaktive, winddichte und wasserabweisende Membrantechnologie zum Einsatz“, erklärt Wild.

Je nach Material sind diese Eigenschaften unterschiedlich gewichtet. Vielen bekannt sind sicher die GoreTex-Membranen, die bei Jacken und Westen zum Einsatz kommen. „Polartec beispielsweise ist ein schön wärmender Stoff, aber nicht so wahnsinnig funktionell. Er nimmt den Schweiß zwar auf, aber transportiert ihn nicht so einfach und schnell weiter wie andere Materialien“, sagt Wild. Dafür fühlt sich Polartec unglaublich flauschig an, fast ein wenig die Teddyfell auf der Haut an und wird vielfach eingesetzt.

Wild selbst hat für seine eigene Radbekleidungsmarke Monaco Velo Club eine Winterjacke auf Basis des „c_change“-Materials von Schoeller entworfen. Schoeller, einer der weltweit führenden Hersteller von Funktionsmaterialen und -stoffen, hat diese Membran so konzipiert, dass sie sich ähnlich wie ein Tannenzapfen bei Wärme und Feuchtigkeit von innen öffnet und bei Kälte schließt.

Egal, was für ein Material bei einer Winterjacke verwendet wird, entscheidend ist, dass die Feuchtigkeit, die sich im Inneren angesammelt hat, nach außen transportiert wird. „Das kann natürlich über die Membran erfolgen, aber noch besser sind natürlich im Endeffekt dünnere Stoffe beziehungsweise Flächen, an denen die Feuchtigkeit im Endeffekt entweichen kann“, erklärt Wild.

Früher wurde bei vielen Winterjacken vorne, wie hinten der gleiche Stoff verwendet. „Das ist natürlich kontraproduktiv, da der Rücken bei weitem nicht eine so exponierte Stellung im Wind einnimmt wie die Brust“, so Wild. Daher kann nach dem Bodymapping-Prinzip am Rücken auch dünnerer Stoff verwendet werden.

Beine: Lange Radhose mit oder ohne Sitzpolster?

Eine für die heutige Zeit unkonventionellen Weg geht Heiko Wild persönlich bei der Wahl der Winterhose. Er trägt über die kurze Bib eine lange Winterhose ohne Einsatz. „Als ich mit dem Rennradfahren begonnen habe, gab es gar keine langen Radhosen mit Sitzpolster“, sagt er.

Er ist aber kein Traditionalist, sondern schätzt die Vorteile des Duos. „Es ist oft schwer genug für Radsportler die passende kurze Hose – was Schnitt und Polster betrifft – zu finden. Und das gleiche nochmal bei der Winterhose durchzumachen – bei einer vergleichsweise kleineren Auswahl – ist schwierig“, sagt er. Denn: Nicht immer gibt es zur kurzen Radhose das Äquivalent in lang.

Da es kaum mehr Hersteller gibt, die lange Winterhosen ohne Einsatz anbieten, findet sich in der Winterkollektion, der von ihm gegründeten Marke Monaco Velo Club eine solches Modell. Wichtig ist der Tragekomfort bei der „Langen“, denn die Hose darf keine Falten werfen und muss gerade im Schritt und am Po eng anliegen“, so Wild.

Von speziellen Windstoppereinsätzen oder allzu festen Materialien hält er daher wenig, da diese zu Lasten der Passform gehen. „Wenn es wirklich a…kalt sein sollte, dann lieber eine kurze Hose mit dickerem Roubaix-Stoff darunterziehen, um das Becken und die Extremitäten warm zu halten“, so sein Tipp. Nicht style-konform für Rennradfahrer, dafür bei Gravelbikern der letzte Schrei:  Mountainbike-like eine Baggy drüberziehen.

Füße: Winterradschuhe und „warme“ Socken

„Ich habe jahrelang im Winter mit klassischen Radschuhen, dicken Socken und Überschuhen herumexperimentiert. Aber spätestens nach zwei Stunden hatte ich Eiszapfen an den Füßen“, sagt Wild. „Mittlerweile fahre ich mit Winterschuhen von Northwave“, so Wild weiter.

In speziellen Winterschuhen gibt es nicht die klassischen Kältebrücken an den Sohlen wie beim Sommerschuh, der sich ja gerade durch gute Belüftung auszeichnet. Winterschuhe sind stattdessen rundum geschlossen, verfügen über eine Thermosohle, wärmendes Innenfutter und besitzen wasserabweisende und / oder atmungsaktives Obermaterial. Hinzu kommt noch der Komfort beim Anziehen. Wohl jeder kennt das ungelenke Verrenken, bis die Überschuhe richtig sitzen.

Wer dennoch mit dem klassischen Sommerradschuh im Winter fahren will, dem seien die dickwattierten Überschuhe von Gore Bike Wear C5 empfohlen – mit Gore-Tex-Membran und Primaloft-Futter. Sie verwandeln zwar den schmalsten Leisten in einen Moon Boots, halten aber vergleichsweise gut warm.

Über allem steht – analog zu den Skischuhen – dass der Fuß schon warm sein muss, ehe er in den Schuh schlüpft. Sonst nützen die wärmsten Schuhe und Socken nichts. Apropos Socken. Hier durchaus ein paar Euro mehr ausgeben und eine hochfunktionale Socke aus beispielsweise wärmender, atmungsaktiver Merinowolle im Mix mit schnelltrocknenden Primaloftfasern kaufen.

Hände: Mit dünnen Unterziehhandschuhen die Wärmeleistung erhöhen

Kalte klamme Finger sind ein NoGo. Denn die Finger sind bei Radfahren systemrelevant – fürs Schalten und Bremsen in allerster Linie. Entscheidend für viele Rennradfahrer ist daher das sogenannte Griffgefühl. Kein Wunder also, dass die Wahl eher auf dünne filigrane Handschuhe aus elastischem Material fällt. „Tunen beziehungsweise die Wärmeleistung deutlich erhöhen lässt sich solch ein Modell ganz einfach mit einem dünnen Unterziehhandschuh beispielsweise aus Merinowolle oder Seide“, so Wild.

Kopf: Helmmützen wärmen

Während der eine unter dem Helm selbst bei Minusgraden nur die klassische Radmütze trägt, muss ein anderer schon eine warme Helmmütze mit Ohrenschützern aufziehen – so subjektiv ist das Kälteempfinden am Kopf. „Es gibt aber für jeden Kopf die passende Mütze“, sagt Wild. Wie auch bei jedem anderen Bekleidungsstück ist es wichtig, dass die Mütze perfekt unter dem Helm sitzt und nicht verrutscht.

Exkurs: Bodymapping

Der Körper ist eine Landkarte – schon gewusst? Bodymapping ist ein Verfahren, bei dem der menschliche Körper in Klimazonen zerlegt wird. Jede dieser Zonen stellt unterschiedliche Anforderungen an das Material. So gibt es beispielsweise Regionen, die besonders stark schwitzen oder extrem dem Wind ausgesetzt sind. Bodymapping ist nicht ganz neu, dafür aber die Umsetzung der Hersteller. Die einen lösen diese Klimakontrolle mit einem gekonnten Mix verschiedener Materialen, andere erzeugen mit einer Faser unterschiedliche starke Strukturen.

Fotos: Sven Jürgensmeier, Lytemotiv