Reifen-Tuning-Tipp: TPU-Schlauch als Tubeless-Alternative
Tubeless mit Dichtmilch oder Clincher mit Schlauch – die Frage aller Reifenfragen, die die Gravel- aber mittlerweile auch die Rennrad-Gemeinde bewegt. Was ist besser? Was funktioniert gut?
Zugegeben der Montage- und Wartungsaufwand ist bei Tubeless-Reifen schon höher als beim Fahren mit der klassischen Kombi aus Clincher und schwarzen Butyl-Schlauch. Dafür besticht Tubeless mit besserem Komfort, geringerem Rollwiderstand und viel höherer Pannensicherheit.
Doch es gibt etwas, dass die Vorteile beider Systeme vereinen soll – der TPU-Schlauch. TPU bedeutet ausgeschrieben thermoplastisches Polyuretan. Also Kunststoff statt Gummi, denn aus letzterem besteht der klassische Butyl-Schlauch.
Fahrradschlauch: Kunststoff versus Gummi
Die gummiartigen Eigenschaften des thermoplastischen Polyurethans haben einige Reifenhersteller dazu gebracht, diesen Werkstoff auch bei Fahrradschläuchen zu verwenden.
Aufgrund der Materialeigenschaften wie der hohen Festigkeit können TPU-Schläuche deutlich dünner und damit leichter sein als Butyl-Schläuche. Zum Vergleich: Während ein Butyl-Schlauch für ein Rennrad um die 110 Gramm wiegt, liegen TPU-Schläuche zwischen 23 und 43 Gramm. Die rotierende Masse verringert sich also beim Einsatz von TPU-Schläuchen gleich mal um mindestens 140 Gramm.
Jedoch ist TPU nicht gleich TPU. Hier macht es wie auch bei der Gummimischung des Reifens der Mix. „So kommen auch die Unterschiede beim Gewicht, den Fahreigenschaften und dem Pannenschutz zustande“, erklärt Felix Schäfermeier, Produktmanager vom Reifenhersteller Schwalbe.
Aerothan: Schwalbes TPU-Schlauch
Schwalbes TPU-Schlauch heißt Aerothan und kam mit als letztes auf den Markt. Schäfermeier erklärt warum: „Wir sind davon überzeugt, dass Tubeless rein in Bezug auf die Performance die beste Technologie ist. Aber wir haben auch gemerkt, dass damit nicht wirklich jeder glücklich wird. Mit der Entwicklung des Aerothan-Schlauchs wollten wir einen neuen Maßstab setzen – das war die oberste Prämisse“, so Schäfermeier.
Schwalbe hat hier mit dem bekannten deutschen Chemieunternehmen BASF einen Entwicklungspartner gefunden, der im Endeffekt das Material nach den Vorgaben und Wünschen des Schlauchproduzenten aus Reichshof-Wehnrath komponiert hat.
Gerade bei Hobbysportlern, die ihr Gefährt vielleicht auch mal eine längere Zeit nicht bewegen, ist der Wartungsaufwand enorm. Die Milch verklumpt, wenn der Reifen nicht ab und an rotiert. Und nach der monatelangen Winterpause ist das eigentlich so clevere System manchmal gar nicht zu gebrauchen. Im schlimmsten Fall ist der teure Mantel dann sogar „Müll“.
„Viele scheuen die Montage, die Handhabung und Wartung mit dem Tubeless-Reifen und der Dichtmilch. Deshalb war es unser Ziel bei der Entwicklung des Aerothan-Schlauches, den Fahrradschlauch neu zu definieren und die positiven Eigenschaften von Tubeless zu integrieren“, sagt Schäfermeier.
Schaut man sich Tests von renommierten Magazinen und Webseiten an, so ist eines schon mal klar. Der TPU-Schlauch schlägt den Butyl-Schlauch in jedem Bereich. Aussagekräftige Tests von Clincher-Reifen mit TPU-Schläuchen versehen versus Tubeless-Reifen gibt es allerdings kaum.
Allerdings zeigt der vermehrte Einsatz von TPU-Schläuchen im Rennsport durchaus, dass die Technologie auch ihre Vorteile hat. „Auf den Punkt gebracht würde ich sagen, dass bis auf die Selfhealing-Eigenschaften – also das Verschließen von Löchern mit Dichtmilch – unser Aerothan-Modell mit den Tubeless-Reifen mithalten kann“, sagt Schäfermeier. Aerothan-Schläuche sind sogar geringfügig leichter als Dichtmilch plus Ventil. Und unsere Schläuche lassen sich mit demselben geringen Luftdruck fahren wie ein Tubeless-Setup“ erklärt Schäfermeier.
Höhere Kurvengeschwindigkeiten dank TPU-Schlauch
„Das liegt an der hohen Festigkeit beziehungsweise Oberflächenspannung des Materials und der Stabilität des Schlauches, die er schon weit unter einem Bar Luftdruck entwickelt. So verleiht er einer sehr weichen Karkasse Stabilität und die Gefahr, dass in schnellen Kurven der Reifen bei geringem Luftdruck von der Felge gezogen wird, wird drastisch reduziert“, so Schäfermeier. Wer einem Aerothan Schlauch einmal nur ein paar Hübe Luft mit der Standpumpe einhaucht, sieht wie schnell der Schlauch eine runde Gestalt einnimmt – im Vergleich zu dem noch schlaffen Butyl-Schlauch, der wesentlich mehr Bar benötigt, um Form anzunehmen.
Bestes Beispiel dafür ist der Einsatz des Aerothan-Schlauches in Kombination mit Dirty Dan-Reifen bei Mountainbike Cross-Country-Weltmeisterschaften 2021 in Leogang. Matthias Flückiger fuhr auf dem matschigen Kurs in Leogang und wurde am Ende Vizeweltmeister.
Im Vergleich zum Butyl-Schlauch besitzt der TPU-Schlauch auch einen höheren Pannenschutz beim Durchstich – also beispielsweise, wenn über eine Scherbe gefahren wird. Getestet wird das via Kraft, die auf einer Nadel lastet, die den Reifen punktiert. „Um unseren Aerothan-Schlauch erfolgreich zu „löchern“, muss das drei- bis Vierfache an Kraft einwirken als auf einen Butyl-Schlauch“, erklärt Schäfermeier.
Auch bei den gemeinen Snake-Bites zeigen sich TPU-Schläuche widerstandsfähiger. „In der Praxis haben wir bei Testversuchen in ‚freier Wildbahn‘ viel seltener einen Snake-Bite als bei einem Butylschlauch“, sagt Schäfermeier. Grund hierfür ist die Eigenstabilität, die es ermöglicht, dass der Schlauch sich sehr gut komprimieren lässt.
„Beim Rollwiderstand liegt der Unterschied zu Tubeless bei unter einem Watt. Gegenüber Butyl-Schläuchen, die vier Watt mehr bei gleicher Geschwindigkeit von 30 km/h benötigen“, sagt Schäfermeier.
Allerdings ist in Tests der Latex-Schlauch dem TPU-Schlauch beim Rollwiderstand etwas überlegen. Jedoch ist dieses Gummi nichts, was außerhalb des Profiradsport und des Zeitfahrens überhaupt eingesetzt wird. Selbst im WorldTour-Peloton wird nur bei einigen wenige Rennen, bei denen es um absoluten Speed und sonst nichts geht, Latex-Schläuche in Kombination mit (Baumwoll)-Clinchern auf die Laufräder montiert.
Auch Profis setzen auf TPU-Schlauch
„Wir haben einige WorldTour-Profis, deren Teams nicht von uns gesponsert werden, die im Training Aerothan-Schläuche nutzen. Die von uns unterstützten Teams wie Canyon-Sram, Uno-X und Tudor setzen Aerothan-Schläuche auch bei Zeitfahren ein. Ansonsten fahren sie Tubeless“, erklärt Schäfermeier.
Und die Triathletin und Ironman-Siegerin von 2019, Anne Haug, fährt in ihrem Wettkampf-Set-up ebenfalls mit Aerothan-Schläuchen. „Sie hatte damit im Rennen noch nie einen Defekt; und da sie nicht immer einen Mechaniker an ihrer Seite hat – und sich nicht selbst um tubeless kümmern will, ist das für sie die beste Lösung“, sagt Schäfermeier. Wie wohl auch für viele Hobbyradsportler.
Apropos Triathlon. Patrick Lange, zweifacher Ironman-Weltmeister auf Hawaii setzt vorwiegend Aerothan-Schläuche im Renneinsatz ein; und ist zuletzt Vizeweltmeister in Nizza mit diesem System geworden.
Auch im Fall der Fälle leistet der Aerothan-Schlauch erste Hilfe bei einem Platten mit einem Tubeless-Reifen. „Aerothan Schläuche vertragen sich mit Dichtmilchrückständen“, erklärt Schäfermeier. „Zumindest mit unserer Doc Blue-Milch. Zu Problemen kann es nur führen, wenn die Partikel der Dichtmilch zu groß und scharf sind. Diese Partikel können dann das Schlauchmaterial beschädigen“, so Schäfermeier weiter
Zugegeben TPU-Schläuche sind um das Drei- bis Vierfache teurer als die klassischen Schläuche aus Butyl. Aber der höhere Preis wird durch eine einfache Montage – kein Einklemmen des Schlauches zwischen Reifen und Felge –, den besseren Fahreigenschaften sowie den höheren Pannenschutz und natürlich dem viel geringeren Gewicht (rotierende Masse) auch eine Investition wert.
Fotos: Schwalbe, Schwalbe / Michael Kull